Die kuriosen Abenteuer der J.J. Smith 01: Oma Vettel. M.E. Lee Jonas
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Oma Vettel hebt ihr Glas Milch in die Höhe, was die anderen Gäste am Tisch spontan nachmachen. Dann stürzen sich alle auf die Pfannkuchen mit Karamellsoße, Sahne und Vanilleeis. Jezabel ist zwar noch satt von dem üppigen Picknick, aber die Kuchen zerschmelzen förmlich auf ihrer Zunge, sodass sie nicht aufhören kann zuzugreifen. Zwischendurch schielt sie immer wieder an der Tafel entlang. Links neben ihr sitzt Lincoln, der Halbtagshund, und auf ihrer rechten Seite stopft sich das Werschwein Diggler geraden den fünften Pfannkuchen in seinen Mund, während er wie immer einen Klecks Sahne auf der Nasenspitze hat. Als er bemerkt, dass sie ihn ansieht, hält er verlegen inne und putzt sich mit einer Serviette ordentlich die Nase sauber.
»Ich wollte dir noch etwas sagen, Jezabel. Es lag mir die ganzen Jahre schwer auf dem Herzen! Ich habe damals wirklich nicht in deine Geburtstagstorte gebissen! Ich habe doch dieses Problem. Ich verwandle mich manche Nacht in eine schreckliche Kreatur, die sich durch die Speisekammer frisst und alle Vorräte plündert. Am nächsten Morgen erwache ich meist im Garten und kann mich an gar nichts mehr erinnern! Lincoln und die anderen Bewohner glauben mir nicht und behaupten sogar, ich wäre ein Hypochonder! Aber das stimmt nicht! Ich war sehr traurig darüber, dass ich mich gerade in der Nacht vor deinem sechsten Geburtstag wieder in dieses Monster verwandelte, das etwas von der Torte stibitzte. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, dass du das weißt!«
Die Augen des Werschweins ziehen sich zusammen und wirken in Kombination mit seinem Schmollmund, sehr mitleidserregend, sodass J.J. ungewollt loslachen muss. Sie krault ihm die Ohren und versetzt seiner Nase einen leichten Stups.
»Ich denke, ich kann dir verzeihen. Oh, und wenn die anderen dich ärgern, sag mir Bescheid!«
Diggler gibt einen glucksenden Laut von sich und grinst so breit, dass sie seine Zähne zählen kann. Lincoln, der alles mit anhörte, verdreht genervt die Augen und streckt seinem Freund die Zunge raus. J.J. sieht derweil gedankenversunken durch den Raum.
»Merkwürdig. Vor ein paar Tagen habe ich mich noch über ein fliegendes Tablett aufgeregt und jetzt bin ich auf einem Besen zu diesem wundersamen Haus geflogen, wo ich mit einem halben Hund, einem Werschwein, einem Geisterfrosch, sprechenden Blumen und einer Schneefrau an einer prächtig geschmückten Tafel sitze und Kuchen esse. Ich kann mit diesen seltsamen Wesen sprechen und habe einem Schwein mit einem Klecks Sahne auf der Nase die Beichte abgenommen! Nicht zu vergessen: Meine Großmutter ist eine böse, dunkle Hexe! Dennoch fühle ich mich wohl und kann mich nach und nach an alles erinnern. Aber irgendwie ist das alles nicht wirklich real. Eher wie ein Tagtraum. Vielleicht habe ich hohes Fieber und liege in Marton im Bett und halluziniere? Ich habe schon Angst davor, dass ich morgen früh aufwache und wieder im Internat bin.«
Ein Luftballon zerplatzt direkt über ihrem Kopf und reißt J.J. damit grob aus ihren Gedanken. Sie schüttelt sich kurz und sieht zu ihrer Großmutter, die sie unsicher anlächelt.
»Alles in Ordnung, Liebes? Möchtest du noch einen Pfannkuchen oder Orangenlimonade?«
J.J. schüttelt den Kopf und bittet Flick, sie hinüberzubringen.
»Großmutter, ich bin doch ganz schön fertig. Würdest du mich zu meinem Zimmer bringen? Ich würde mich nämlich gern etwas frisch machen«, flüstert sie Oma Vettel ins Ohr, die daraufhin sofort hochschnellt.
Als die anderen Gäste spontan das Gleiche tun, macht J.J. eine besänftigende Handbewegung, das sie sich wieder hinsetzen sollen. Dieser Trubel um ihre Person ist neu für sie und macht sie ganz verlegen.
»Danke für die tolle Begrüßung! Ich möchte mich jetzt ein bisschen ausruhen. Wir sehen uns morgen früh und dann erzählen wir uns alles«, ruft J.J. und winkt noch einmal fröhlich in die Runde, bevor sie vorsichtig von Flick herabsteigt.
»Danke, Flick. Ich bin heute genug geflogen und gehüpft. Ich werde den Rest laufen.«
Der Teppich zieht sich zurück und legt sich am Ende des Esssalons nieder. J.J. hakt ihre Großmutter unter und geht mit ihr in die Diele.
»Ich werde dich morgen früh durch das Haus führen. Ich muss mich auch erst einmal umsehen. Es scheint, als ob es sich vor lauter Aufregung gänzlich umgestaltet hätte. Die Tür dahinten war heute Morgen noch nicht da und der Flur war bis zu meiner Abreise königsblau tapeziert. Ich hoffe nur, dass wenigstens unsere Schlafzimmer noch in der zweiten Etage sind und nicht wieder ganz oben. Das hatten wir erst vor zwei Jahren. Da war mein Schlafzimmer plötzlich in der neunten Etage! Aber es gab einen Lift, das war dann schon lustig.«
J.J. bewundert die Fotos und Porträts, die sich über dem Treppengeländer befinden. Oma Vettel bemerkt ihre Blicke und bleibt mitten auf der Treppe stehen.
»Das sind unsere Vorfahren. Ganz schön konservativ, nicht wahr! Aber sie gehören zu uns, und ohne sie wären wir nicht das, was wir sind. Das hier ist Sir Arthur William McBeefel, dein Ururururgroßvater oder war es Ururururururugroßvater?«
Die alte Dame beginnt, mit den Fingern zu zählen, und schüttelt hilflos den Kopf.
»Ach! Wer weiß das schon so genau? Ich müsste das noch einmal ganz in Ruhe nachzählen. Wichtig ist, dass mit ihm alles anfing! Er hat sich nämlich unsterblich in Yvi Jozlin Vultagi von Winterhardt verliebt und sich auf sie eingelassen. Als er erfuhr, dass sie eine Hexe ist, wollte er die Verbindung sofort lösen, aber da war es schon zu spät! Er musste sie heiraten und in dieser Ehe wurde diese junge Dame geboren. Eliza Gretchen Ufhalis von Winterhardt. Ein Teufelsweib, wie man sich erzählt. Sie hat den größten Teil der mächtigsten Zaubersprüche unserer Familie entdeckt und soll unerbittlich gewesen sein. Sie heiratete einen Mann vom dunklen Phad und sie bekamen einen Sohn Namens Viktor Redgref von Winterhardt. Das war die erste Periode, die unsere Familie ohne Zaubernachkommen ausharren musste. Also lag die ganze Hoffnung auf Viktor. Er heiratete eines Tages die wunderschöne Margret Elaine Shoraia. Meine Großmutter! Sie mussten lange warten, bis sie meine Mutter endlich in ihre Arme schließen konnten. Das ist diese Dame! Josie Elisabetha Darla von Winterhardt, meine Mutter und deine Urgroßmutter.«
J.J. wird bei den vielen ungewöhnlichen Namen schwindelig.
»Wieso hießen sie alle von Winterhardt?«, fragt sie verwundert.
»Oh, das ist einfach so gekommen. Wir sind eine Familie mit adligem Ursprung und der Name hat sich durch den Status immer wieder durchgesetzt. Bis zu deinem Vater.«
J.J. bemerkt, dass der Blick ihrer Großmutter auf einem kleinen Foto verharrt, dass sie wehmütig betrachtet, während sie sanft darüber streicht. J.J. geht hinüber und starrt auf das Bild, auf dem sie ihre Großmutter erkennt. Bildschön, aber noch sehr jung, steht sie stolz neben einem etwa fünfjährigen Jungen, der auf einer Schaukel sitzt und lacht.
»Die beiden wirken so glücklich.«
J.J. wird plötzlich sehr traurig. Sie kann diesen kleinen Jungen zwar nicht mit ihrem Leben in Verbindung bringen, aber sie weiß, dass es ihr Vater ist.
»Ich weiß überhaupt nicht mehr, wie meine Eltern ausgesehen haben«, flüstert sie betroffen.
Oma Vettel löst sich aus ihrer Starre und seufzt.
»Wir haben viel Zeit, um das alles nachzuholen, mein Kind. Aber das schaffen wir nicht an einem einzigen Tag. Das übersteigt selbst meine Kräfte!«
J.J. fasst ihr leicht an die Schulter und zieht sie weiter. Währenddessen sieht sie das Treppenhaus hinauf und versucht die Anzahl der restlichen Stockwerke zu zählen. Doch das ist unmöglich.