Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer

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Reihenfolge, mit Verdi an letzter Stelle) ergangen ist. Während Mercadante als einziger auf das Angebot nicht reagiert, stellt Donizetti eine irrwitzige Forderung (30.000 Francs), das Sechsfache des von Nini begehrten Honorars. Die Wahl wird letztendlich auf Verdi fallen, weil der Bürgermeister von Venedig, Giovanni Correr, der gemäß den Statuten des Teatro La Fenice die Entscheidungen des Direktoriums des Opernhauses absegnen muß, sich für ihn ausspricht.

      Verdi beantwortet das Schreiben auf der Rückreise nach Italien und leitet damit einen umfangreichen Briefwechsel ein, der als faszinierendes Dokument des italienischen Musiklebens jener Zeit überliefert ist. Verdi – in künstlerischen und finanziellen Angelegenheiten ein gleichermaßen harter Verhandler – hat schon zu Beginn der Verhandlungen präzise Vorstellungen über den Arbeitsablauf:

      Ich könnte die komplett fertiggestellte Partitur nicht bis zum 15. Dezember abliefern: ich könnte allerdings die fertige Komposition abliefern, und zwar so, daß ich alle Gesangspartien und Chöre herausschreiben könnte, doch was die Instrumentation anlangt, so mache ich sie gewöhnlich erst, wenn die Klavierproben begonnen haben.[158]

      Das ist deshalb von Interesse, weil sich zeigt, daß Verdi die in Italien seit langem geübte Praxis beibehält, die Komposition erst im letzten Moment an Ort und Stelle zu instrumentieren. Das vor allem deshalb, weil der dramatische Ausdruck bei den Klavierproben erarbeitet und die Instrumentation oft den stimmlichen und ausdrucksmäßigen Fähigkeiten der Solisten angepaßt wird, wobei auch Qualität und Stärke von Orchester und Chor sowie akustische Gegebenheiten berücksichtigt werden.

      Ende April 1843 – Verdi hält sich in Parma auf, wo Nabucco mit Giuseppina Strepponi in der Rolle der Abigaille aufgeführt wird – scheinen die Fronten beinahe geklärt. Verdi soll bei seinem Venedig-Aufenthalt auch seine Lombardi inszenieren: „Für mich, um die neue Oper zu schreiben und I lombardi zu inszenieren: zwölftausend österreichische Lire“[159] – ein hohes Honorar, das der überaus sparsame Mocenigo nach anfänglichem Zögern aber akzeptiert. Und Bedingungen stellt Verdi: Die Instrumentation wird erst bei der Hauptprobe abgeliefert (wie hat das Orchester bei der Premiere wohl geklungen?), zwischen der Aufführung der Lombardi und der Uraufführung der neuen Oper muß mindestens ein Monat liegen, die Honorarauszahlung hat bei der Generalprobe zu erfolgen (und nicht, wie sonst üblich, erst bei der dritten Vorstellung: Zu gut erinnert sich Verdi, daß Un giorno di regno nicht einmal die zweite Aufführung erlebte), der Komponist wird die Sänger selbst unter jenen auswählen, die am Fenice unter Vertrag stehen.[160] Am 28. Mai – zwei Wochen, nachdem Verdi zum zweiten Mal mit Rossini zusammengetroffen ist, den er sehr bewundert – wird der leicht modifizierte Vertrag verfaßt und Verdis Bedingungen im großen und ganzen akzeptiert. Nun kann die Suche nach einem geeigneten Sujet beginnen:

      Ich bitte Ew. Hochwohlgeboren, mich, sobald Sie können, die Namen der Mitglieder der Truppe wissen zu lassen.

      So bald als möglich werde ich dem Direktorium das Sujet der Oper mitteilen, das auch von den Sängern, die mir zur Verfügung stehen, abhängig ist. Hätte ich zum Beispiel einen Künstler mit der Kraft eines Ronconi, dann würde ich Re Lear[161] oder Il corsaro[162] wählen, doch da es wahrscheinlich vorteilhaft sein wird, sich auf die Primadonna zu stützen, könnte ich mich vielleicht entweder für die Fidanzata d’Abido[163] oder für etwas anderes entscheiden, bei dem die Primadonna die Hauptperson ist.[164]

      Fünf Tage nach diesem Brief nimmt Verdi Kontakt mit seinem Freund Ignazio Marini auf, der den Oberto bei der Uraufführung gesungen hat und sich im Moment in Barcelona aufhält:

      Ich höre mit größtem Vergnügen, daß Du zu uns zurückkehrst; die Mailänder werden ihren Lieblingsbaß mit Begeisterung aufnehmen. Ich habe zuletzt zwei Opern geschrieben: den Nabucco und die Lombardi, in welchen Du eine Rolle hast, in der Du sicher brillieren wirst. Im Nabucco die Partie des Propheten und in den Lombardi die Rolle des Pagano; beide scheinen wie für Dich geschrieben, ja, ich sage Dir, daß ich sie am liebsten von Dir hören würde. Ich werde im Karneval in Venedig schreiben, weil ich nicht das Risiko eingehen wollte, jetzt eine weitere Oper in Mailand zu schreiben, und ich war gezwungen, all die freundlichen Angebote, die mir Merelli gemacht hat, abzulehnen. Wir werden ein anderes Mal zusammenkommen und ich werde mich sehr glücklich schätzen, eine Oper für einen Künstler wie Dich schreiben zu können, und glaub’ mir, ich werde Dir eine Rolle geben, die Deiner würdig ist.[165]

      Falls Verdi Ideen von Marini erwartet haben sollte, kommt es nicht dazu. Das Lear-Projekt wird Verdi viele Jahre begleiten, es wird bis zu einem fertigen Libretto und möglicherweise bis zu Kompositionsskizzen gedeihen, letztendlich aber doch nicht zustandekommen.[166] Den Corsaro wird er 1848 für Triest komponieren, ein nicht restlos geglücktes Werk. Von einer Oper über Caterina Howard (der fünften, 1542 wegen angeblicher ehelicher Untreue enthaupteten Gattin Heinrichs VIII.) ist die Rede – Verdi stellt Anfang Juli sogar eine Szenenabfolge zusammen –, von einem Cola di Rienzi (hier befürchtet man Zensurschwierigkeiten), von La caduta dei Longobardi, von I due Foscari (Byrons The Two Foscari) – dieses Werk wird Verdi 1844 für das Teatro Argentina in Rom komponieren. Doch es kommt vorläufig zu keiner Entscheidung. Schließlich taucht ein Cromvello (Cromwell)-Projekt auf, wohl in Erinnerung an den Erfolg von Victor Hugos gleichnamigem Drama (1827). Ein gewisser Francesco Maria Piave, ein Dichter aus Murano und Freund des Sekretärs des Teatro La Fenice, Guglielmo Brenna, hat ihn dem Opernhaus vorgeschlagen. Verdi, der nach Cammarano, Solera und Bancalari, von denen er abschlägige Antworten bekommen hat, weiterhin Kontakte zu arrivierten Librettisten sucht, mißtraut zwar einem Anfänger, kann aber den Vorschlag des Fenice nicht gut übergehen. Er prüft den Text, dessen Titel alsbald von Cromvello in Allan Cameron abgeändert wird (Forschungen haben ergeben, daß es sich um ein und dasselbe Libretto handelt, und nicht um zwei verschiedene, wie ursprünglich angenommen wurde) und akzeptiert ihn.

      Mitte August erhält Verdi den ersten Akt des Cameron-Librettos. Er findet Piaves Arbeit akzeptabel, lehnt es aber ab, in Tranchen zu komponieren: „Ich halte diesen ersten Akt unter Verschluß, denn ich will nicht zu arbeiten beginnen, bevor mir das Libretto nicht zur Gänze vorliegt.“[167] Am 27. August ist das Libretto fertiggestellt, Verdi trifft mit Mocenigo in Mailand zusammen, um es zu begutachten: Beide beurteilen es übereinstimmend als schwach, und das, obwohl es in der Zwischenzeit die Zensur passiert hatte. Mocenigo stimmt wohl oder übel weiterer Sujetsuche zu und läßt in einem Brief an Verdi (2. September 1843) den Namen Hernani fallen. Zwar stellt man praktische Überlegungen an: Piave hat seine Arbeit abgeliefert und somit Anspruch auf sein Honorar, auch die Zensurklippe hat man überwunden, sollte man also nicht doch den Cameron in Angriff nehmen und ihn wieder in Cromvello umbenennen? Doch Verdi erkennt, daß die Situation endgültig verfahren ist:

      Dieser Cromvello ist gewiß nicht von großem Interesse, wenn man die Anforderungen des Theaters bedenkt. Die Anlage [des Stückes] ist ordentlich, klar und alles in allem gut gemacht, es fehlt aber an Handlung: schuld daran ist mehr das Sujet als der Dichter. [...]

      Oh, wenn man den Hernani machen könnte, das wäre etwas Schönes! Es ist schon richtig, daß es für den Dichter eine große Anstrengung bedeuten würde, aber ich würde alles daran setzen, ihn dafür zu entschädigen, und wir könnten mit Sicherheit beim Publikum große Wirkung erzielen.

      Herr Piave hat eine leichte Hand beim Verseschmieden, und beim Hernani wäre nur zu ordnen und zu straffen: die Handlung ist fertig: und das Interesse ist riesig![168]

      Noch gibt es hinsichtlich des Umstiegs von Cromvello auf Hernani – immerhin ist es inzwischen Mitte September geworden – offene Fragen: Piaves Honorarforderung von 400 österreichischen Lire zusätzlich zu den für das fertige Cameron/Cromvello-Libretto geschuldeten 600 scheint Verdi zu hoch zu sein; er wird von ihm eine Reduzierung auf 300 österreichische

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