Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer

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      Wien, im November 2012

      Ch. S.

In allen Opernhäusern der Welt fehlt ein Raum. Dieser Raum müßte ein beträchtliches Fassungsvermögen besitzen und allen Besuchern vor Beginn, vor allem aber nach Ende der Vorstellungen zugänglich sein. Über seinem Eingang müßte die Aufschrift „Auf der Suche nach den verlorenen Goldenen Zeitaltern“ angebracht sein. Der Raum, den ich meine, ist der Klageraum. Ch.S.

      Prolog

      W

      er sich für Gesang in seiner speziellen Ausformung als Operngesang interessiert und zu diesem Thema einschlägige Äußerungen von Komponisten, Sängern, Impresari, Gesangspädagogen, Dirigenten und sonstigen Experten aus den Jahrhunderten seit Erfindung der Kunstform Oper nachliest, wird zwei Dinge bald bemerken. Erstens: Der Begriff „Gesangskunst“ ist seit jeher untrennbar mit dem Wort „Niedergang“ verbunden. Und zweitens: Wirklich gut gesungen wurde anscheinend weniger in der jeweiligen Gegenwart, als vorwiegend in lange zurückliegenden „Goldenen Zeitaltern“.

      Die Existenz mancher dieser Goldenen Zeitalter ist nicht von der Hand zu weisen. Viele in sich abgeschlossene Phasen oder Perioden weisen ein solches Goldenes Zeitalter auf, womit eine Zeit der Hochblüte gemeint ist. Das gilt sowohl für Kulturen – vom Alten Ägypten über das antike Griechenland bis zum Römischen Imperium – als auch für Musikepochen, die Karrieren von Komponisten, Interpreten usw. All das kann nur im Rückblick erkannt und zeitlich abgegrenzt werden. Weder Bach noch Mozart, Beethoven oder Verdi hätten ihre Periode bezeichnen, den Verlauf ihres Schaffensprozesses definieren oder deren jeweilige Höhepunkte bezeichnen können.

      Das Gesagte gilt auch für die Lebenszeit einer Kunstform wie der Oper. Ungeachtet aller Stile und im nachhinein gewählter Epochenbezeichnungen wie Barock, Klassik oder Romantik hat auch die Kunstform und ihre Ausübung immer wieder Zeiten der Hochblüte erlebt, ob es sich nun um die Epoche der neapolitanischen Oper oder jene der Zeiten der großen Interpreten des Belcanto wie Primadonnen und Kastraten im 17. und 18. Jahrhundert gehandelt hat. Daß die einzelnen Komponisten – abgesehen von den Pionieren wie Peri oder Monteverdi – eine Hochblüte der Kunstform und ihrer Interpretation jeweils zumeist in der Zeit der eigenen Jugend ausmachten und die eigene Gegenwart im Vergleich dazu als Niedergang betrachteten, liegt in der Natur der Dinge und der menschlichen Psyche.

      Daraus abzuleiten, daß früher alles besser war, ist – nicht nur wegen der pauschalen Vereinfachung und Verallgemeinerung des Sachverhaltes – ein zweischneidiges Schwert. Der Ausspruch: „Früher war nicht alles besser. Nur das Schlechte war besser gemacht“ ist zwar witzig und trifft auf Einzelbereiche zu, ist aber nicht allgemeingültig. Zutreffend ist die Sichtweise, daß früher nicht alles besser, sondern einfach nur anders war.

      Der Cellist Mstislav Rostropowitsch (1927-2007) hat in einem kurz vor seinem Tod produzierten TV-Portrait[6] die Entwicklung zusammengefaßt. „Zu meiner Zeit“, sagte er sinngemäß, „gab es weltweit fünf bis sechs Cellisten, die auf meinem Niveau spielten. Heute gibt es zweihundert und mehr.“ Diese Beobachtung trifft auf Pianisten, Geiger und Sänger gleicherweise zu, ebenso auf Orchester. Es ist geradezu lächerlich, wenn Musikchauvinisten heute behaupten, dieses oder jenes Opernhaus oder dieses oder jenes Orchester sei „das beste der Welt“. Schon Verdi fand derlei Behauptungen lächerlich: „Und überhaupt: das Erste Theater der Welt!? Ich kenne fünf oder sechs dieser Ersten Theater, und ausgerechnet in denen macht man am häufigsten schlechte Musik.“[7]

      Wer Ohren hat, um zu hören, und mit international tätigen Dirigenten spricht, weiß, daß die Orchester der großen Opernhäuser wie auch die renommierten Symphonieorchester weltweit heute praktisch alle auf demselben hohen Niveau spielen. Auch verschiedene Jugendorchester können da durchaus mithalten. Unterschiede zwischen Orchestern sind allenfalls aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Instrumente feststellbar, oder auch in der Philosophie der einzelnen Orchester. James Levine beispielsweise hat im Laufe seiner jahrzehntelangen Tätigkeit an der Metropolitan Opera, New York, die Spielweise des Orchesters dieses Hauses daraufhin ausgerichtet, daß es im Falle einer plötzlich auftretenden Diskrepanz zwischen Orchestergraben und Bühne, die ein Dirigent nicht blitzartig beheben kann, bei den Sängern – Solisten und/oder Chor – „bleibt“, d.h. sich aus eigenem Antrieb darauf konzentriert, die Begleitung der Stimmen aufrechtzuerhalten und nicht auf allfällige, in der Hektik möglicherweise falsche Reaktionen des Dirigenten achtet. So etwas war einmal an der Wiener Staatsoper zu beobachten, als einem berühmten Dirigenten das Schlußterzett im Rosenkavalier so hoffnungslos auseinanderfiel, daß er den Taktstock wegwarf und laut „Aufhören!“ rief. Der Konzertmeister überließ den Maestro seiner Panikattacke und fing Orchester und Solisten wieder ein.

      Ebenso weiß man, daß die Qualitätsunterschiede zwischen den Orchestern sogenannter erster Häuser und jenen mittlerer und sogar kleinerer Häuser immer geringer werden. Ein (vorwiegend aus Laien zusammengesetztes) Orchester eines mittleren oder sogar großen italienischen Opernhauses aus der Mitte des 19. Jahrhunderts[8] heute zu hören, ließe einen wohl an die Darbietung der Banda eines süditalienischen Dorfes, die auf dem Hauptplatz Opernpotpourris darbietet, denken.

      Auch wenn heute oft beklagt wird, es gäbe keine großen Sängerpersönlichkeiten mehr, trifft das nur bedingt zu. Es gibt sie, in statu nascendi, sozusagen als Rohmaterial, nach wie vor. Und da es im Vergleich zu früher so viele gibt, die hervorragend ausgebildet sind und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere besitzen, können sie sich oft nicht entwickeln, sich durchsetzen und entsprechend ihrem Potential und Können bekannt werden, weil sie zumeist nicht an kleinen und mittleren Häusern sorgfältig und langsam aufgebaut werden, sondern sofort nach der Ausbildung mit (zu) großen und schweren Aufgaben betraut und im internationalen Opernbusiness herumgereicht werden. Das ist verlockend, weil man rasch bekannt wird und gut verdient, führt aber karrieremäßig kaum irgendwo hin. „Heute arbeitet niemand mit diesen Leuten“, sagt die Mezzosopranistin Vesselina Kasarova, „damit sie womöglich auch zu Persönlichkeiten heranreifen können. Manchmal scheint es, als würde Persönlichkeit sogar stören.“[9] Die Betroffenen machen die Karrieren, die sie eigentlich machen könnten, dann oft nicht, weil die Stimme binnen kurzem überfordert und beschädigt wird, aber auch, weil andere Kollegen physisch resistenter oder billiger sind, willfähriger, an unsäglichen Inszenierungen mitzuwirken, über bessere Beziehungen und Netzwerke verfügen, aggressivere Agenten oder stärkere Nerven haben usw. Die Anzahl der potentiellen Könner beträgt jedenfalls ein Vielfaches von jenen, die dann tatsächlich Karriere machen. Ausnahmen wie die sattsam bekannten, von PR-Maschinerien und Medien extrem und besinnungslos gehypten Karrieren, die dann auch nach wenigen Jahren wieder vorbei sind, bestätigen die Regel.

      „Heute macht man auf der Bühne das, was der Markt fordert oder was der Regisseur will“, stellt die Sopranistin Montserrat Caballé fest. „Und wenn sich Erfolg einstellt, werden die jungen Sänger verrückt und wagen alles – obwohl ihnen noch die Reife fehlt. Viele Operndirektoren sind nur noch Funktionäre oder Manager, die auf den Kartenverkauf schauen. Und manchmal sehe ich Vorstellungen, die einfach peinlich sind. Dann denke ich: ‚Der arme Komponist, was hat man mit ihm gemacht.‘“[10]

      Daß der Klassiksektor der Musikindustrie seit Jahren in einem beklagenswerten Zustand ist, ist bekannt. Weniger bekannt sind die Gründe, die zu dieser Misere geführt haben. Obwohl oft die Internetpiraterie als Hauptverursacher der eingebrochenen Verkaufszahlen ins Treffen geführt wird (wobei unberücksichtigt bleibt, daß nicht jeder, der sich Musik irgendwo gratis herunterlädt, auch wirklich ein potentieller Käufer des Produkts wäre), sind sie zum Teil selbstverschuldet. Der Bariton Thomas Quasthoff, der 2012 seine Gesangskarriere abrupt beendete, gibt darüber Auskunft: „So wie die

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