Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer

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„Sie hatte eine Stimme wie eine alte Zikade, machte Fehler, unterbrach sich und war schrecklich.“ Auch der gefeierte Tenor Napoleone Moriani[30], der in Italien als „tenore della bella morte“ – der Tenor mit den schönen Sterbeszenen – bekannt war, blieb nicht verschont. Dieser hätte nach Donizettis Wunsch bei seinen Auftritten öfter „gut bei Stimme sein und den guten Willen haben [müssen], nicht immer, aber wenigstens manchmal allegro zu singen. Was die Seele anlangt, so haben er und die Primadonna davon soviel wie ein Spatz.“[31]

      Felix Mendelssohn Bartholdy äußerte sich über die berühmte Giuditta Pasta, Bellinis erste Amina (La sonnambula) und Norma sowie Donizettis erste Anna Bolena, folgendermaßen:

      Neulich hörte ich die Pasta in der Semiramide. Sie singt jetzt, namentlich in den Mitteltönen, so fürchterlich falsch, daß es eine wahre Qual ist; dabei sind natürlich die herrlichen Spuren ihres großen Talents, die Züge, die eine Sängerin ersten Ranges verrathen, oft unverkennbar. In einer andern Stadt würde man das schreckliche Detoniren erst empfunden und nachher überlegt haben, daß dies die große Künstlerin sei; hier sagte sich jeder vorher, dies sei die Pasta, sie sei alt, sie könne daher nicht mehr rein singen, man müsse also davon abstrahiren. So würde man sie anderswo vielleicht ungerechterweise herabgewürdigt haben; hier war man ungerechterweise entzückt, und zwar mit voller Refexion, mit Bewußtsein des Drüberstehens entzückt. Das ist ein schlimmes Entzücken.[32]

      Dieser vom 23. August 1841 stammende Kommentar berichtet über die erst 43jährige Sängerin, die sich wegen ihrer seit ungefähr 1837 bestehenden stimmlichen Probleme im Vorjahr von der Bühne zurückgezogen hatte, jetzt aber gezwungen war, wieder aufzutreten, weil sie dank einer unfähigen Wiener Bank fast ihr ganzes Vermögen verloren hatte. Die von Mendelssohn als „alt“ empfundene, für heutige Begriffe aber durchaus junge Künstlerin hatte ihre Probleme in der Mittellage vermutlich durch den Wechsel vom Mezzosopran- ins Sopranfach verursacht.

      Eine wenig bekannte, plastische Beschreibung Giuditta Pastas verdanken wir George Sand[33]:

      Auf der Bühne erschien die Pasta noch immer jung und schön. Sie war klein, dick und hatte zu kurze Beine, wie viele Italienerinnen, deren herrliche Büste nicht zu den übrigen Körperverhältnissen paßt. Aber dennoch gelang es der Künstlerin durch den Adel ihrer Bewegungen und die Feinheit ihrer Gestikulation groß und majestätisch zu erscheinen. Ich war sehr unangenehm überrascht, als ich ihr am folgenden Tage begegnete. Sie stand in ihrer Gondel und war mit jener übertriebenen Sparsamkeit gekleidet, welche die Hauptsorge ihres Lebens geworden war. [...] in ihrem alten Hut und Mantel hätte man die Pasta für eine Logenschließerin halten können. Als sie jedoch eine Bewegung machte, um dem Gondelführer den Platz zu bezeichnen, wo sie landen wollte, lag darin die ganze Majestät der Königin oder Göttin.[34]

      Zitate wie jenes von Felix Mendelssohn Bartholdy könnte man beinahe beliebig fortsetzen. Sie finden sich auch bei anderen nicht-italienischen Komponisten wie zum Beispiel bei Franz Liszt, der 1838 oft die Mailänder Scala besuchte und sich danach abfällig über Berühmtheiten wie die Schoberlechner[35] oder die Brambilla[36] äußerte. Eines wird aus all diesen Klagen klar: daß die bei Opernliebhabern – einer Species, die mit jener der Musikliebhaber nur entfernt verwandt ist – weit verbreitete Annahme, es habe einmal ein „Goldenes Zeitalter“ des Gesanges – zum Unterschied von den Goldenen Zeitaltern der Kunstform Oper – gegeben, dessen unwiederbringlicher Verlust zu beklagen sei, oft mehr auf eine subjektive Empfindung als auf eine nachweislich bestehende Realität zurückzuführen ist. Die bis heute gerne mit dem Epitheton „legendär“ ausgestatteten Sänger dieser obskuren mythischen Epoche hätten demnach Wunder an überwältigender Stimmschönheit, vollendeter Gesangstechnik, raffiniertester Eloquenz der Interpretation, höchster Musikalität, ausgeprägtem Stilgefühl, erlesenstem Geschmack, raumfüllender Bühnenpräsenz, überbordendem schauspielerischen Talent und derlei Qualitäten mehr gewesen sein müssen. Mit einem Wort, sie müssen in jeder Hinsicht besser als alles gewesen sein, was in späteren Jahren zu hören war.

      Wenn man derlei Äußerungen allerdings näher betrachtet, stellt sich zumeist heraus, daß das jeweilige Goldene Zeitalter entweder in die Prägungsphase der ersten jugendlichen Begeisterung des Betreffenden für die Oper (Abteilung: Verklärte Jugenderinnerungen) fällt, oder aber eine oder zwei Generationen zurückliegt, je nachdem, ob das Hörensagen von der Generation der opernbegeisterten Eltern oder Großeltern des Verherrlichers verlorener Größe herstammt. Es ist Aufgabe der Psychologen und Soziologen, zu erklären, was es mit dem verbreiteten Phänomen der Schaffung von Mythen, Helden und Göttern und deren Anbetung auf sich hat. Und weshalb „früher“ vieles oder sogar alles „besser“ war.

      Selbst Gesangsdarbietungen im privaten Bereich evozierten die Nostalgie nach der Kunst vergangener Tage. George Sand, eine realitätsbezogene Kämpfernatur mit hellsichtigem Intellekt, nimmt diesen Standpunkt ein, wenn sie in ihren Lebenserinnerungen unter Bezugnahme auf die Schwester ihrer Urgroßmutter berichtet:

      Literatur und Musik waren die einzige Beschäftigung dieses Kreises. Aurora war von engelhafter Schönheit; ihr Verstand war ausgezeichnet; durch die Gründlichkeit ihrer Bildung stand sie den aufgeklärtesten Geistern ihres Zeitalters gleich. Ihre Fähigkeiten wurden durch den Umgang, die Unterhaltung und die Umgebung ihrer Mutter noch entwickelt und ausgebildet. Überdies hatte sie eine prächtige Stimme, ich habe nie eine bessere Musikerin gekannt. Man gab auch komische Opern bei Ihrer Mutter; sie machte Colette im Devin du village[37], Azemia in den Sauvages[38] und alle Hauptrollen in den Stücken Gretry’s und Sedaine’s. In ihrem Alter habe ich sie hundert Mal die Melodien alter italienischer Meister singen hören, die sie zu ihrer Hauptnahrung erkoren hatte, wie Leo, Porpora, Pergolesi, Hassa[39] u.s.w. Ihre Hände waren gelähmt, sie begleitete sich mit zwei oder drei Fingern auf einem alten, kreischenden Klaviere: ihre Stimme zitterte, war aber immer richtig und umfangreich, und Schule und Vortrag verlieren sich nie. Sie las alle Partitionen[40] vom Blatte und ich habe niemals besser singen oder begleiten gehört. Sie hatte jene großartige Manier, jene breite Einfachheit, jenen reinen Geschmack, jene Klarheit der Betonung, die man nicht mehr hat, die man heut zu Tage nicht einmal kennt.[41]

      Seit jeher waren auch große Teile des Publikums, genau wie die oben zitierten Musiker, mit dem „Früher war alles besser“-Bazillus infiziert. Als beispielsweise der später allseits vergötterte Tenor Enrico Caruso seine ersten Auftritte an der New Yorker Metropolitan Opera absolvierte, wurde er von Publikum und Kritik mit dem abschätzigen Vorwurf konfrontiert, er könne seinem Vorgänger Jean de Reszke nicht das Wasser reichen. Auch das ist ein Phänomen der Opernwelt: Erfolgreiche Sänger werden seit Orpheus’ Zeiten mit gekrönten, regierenden Häuptern gleichgesetzt und müssen derohalber zwangsweise „Nachfolger“ haben oder sein, und zwar indem sie „ein(e) neue(r) ...“ sind. An die Stelle der Punkte kann man in der Musikgeschichte beliebige Namen setzen, von Farinelli bis Rubini, Duprez, Fraschini, Bonci, Patti, Caruso, Ruffo, Schaljapin oder Callas.

      Die Erforschung und Dokumentation der historischen Realität dieser sagenhaften Goldenen Zeitalter, in denen Publikum und Autoren aus der Sicht mancher heutiger Opernbegeisterter sich wohl gleichermaßen in einem ständigen Begeisterungsrausch befunden haben müssen, erscheint nicht nur aus den genannten Gründen von Interesse, sondern auch, wenn man liest, wie Giuseppe Verdi, jener italienische Komponist, der wie kein anderer den Höhepunkt der italienischen Opernkunst im 19. Jahrhundert (wiederum ein Goldenes Zeitalter) personifiziert, die Opernhäuser seiner Zeit und deren Personal beurteilte:

      Das Repertoiretheater wäre eine ausgezeichnete Sache, aber ich halte es nicht für realisierbar. Die Beispiele der Opéra und Deutschlands[42] haben für mich sehr wenig Wert, weil die Aufführungen in all diesen Theatern beklagenswert sind. In der Opéra ist die mise en scène hervorragend, an sorgfältiger Ausstattung und gutem Geschmack ist sie allen Theatern überlegen, aber der musikalische Teil ist miserabel. Immer höchst mittelmäßige Sänger (seit ein paar Jahren mit Ausnahme von Faure[43], Orchester und Chor lustlos und ohne

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