Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer
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Zur Befriedigung seines früh erwachten Interesses für Musik schenkt ihm sein Vater ein (von Verdi bis zu seinem Tode sorgfältig gehütetes, erhalten gebliebenes) gebrauchtes Spinett, das von Stefano Cavaletti unentgeltlich repariert wird, da er das musikalische Talent des kleinen Peppino erkennt. Giovanni Fulcini, ein Priester aus Roncole, erinnert sich an Verdis frühe Musikbegeisterung:
Der kleine Giuseppe wuchs als ein stilles, ganz in sich gekehrtes, in Worten und Taten zurückhaltendes Kind heran. Er ging ungebärdigen Gesellen und lärmenden Kumpanen aus dem Weg. Lieber blieb er bei seiner Mutter oder allein zu Hause. An Spielen beteiligte er sich nie, sondern sah ihnen bloß zu, als wären sie nichts für ihn. [...] Zudem war er brav, gehorsam, hilfsbereit und wurde nie gescholten oder bestraft. Er half seinen Eltern im Laden. Nur eins übte eine seltsame Macht auf ihn aus: die Musik. Wenn irgendwelche Drehorgelspieler oder Fiedler vorbeikamen, dann trat Giuseppe sogleich vor die Ladentür und genoß, ganz Ohr, die Melodien. Seine Aufmerksamkeit war derart, daß sie auf etwas Besonderes schließen ließ. Und als ein fahrender Fiedler das merkte, riet er den Eltern, den Knaben Musik studieren zu lassen.[81]
Ab 1823 wohnt Verdi in Busseto bei dem Schuster Pietro Michiara, genannt Pugnatta, zur Untermiete, im Herbst dieses Jahres tritt er in das von dem Geistlichen Don Pietro Seletti geleitete Gymnasium ein. Die Organistenstelle in Le Roncole behält er. Ab 1824 dürfte Verdi Musikunterricht von dem Organisten Don Pietro Arquati erhalten haben. Im Herbst 1825 beginnt er, Unterricht in Komposition und Kontrapunkt bei dem Musikdirektor von Busseto, Ferdinando Provesi, zu nehmen. Es kommt zu ersten Kompositionsversuchen: 1825 komponiert er eine Symphonie mit dem Titel La Capricciosa, die am 15. August 1868 zur Einweihung des Theaters in Busseto zur Aufführung gelangen wird. 1828 schreibt er eine Ouverture zu Rossinis Il barbiere di Siviglia sowie eine Kantate für Bariton und Orchester, I deliri di Saul, nach einer Dichtung von Vittorio Alfieri. Im Herbst 1829 avanciert er zum Assistenten Provesis und versucht sich an der Komposition von Sakralwerken, Märschen, Ouverturen, Serenaden, Konzerten und verschiedener Vokalmusik.
1830 schließt Verdi seine Schulausbildung ab. In diesem Jahr kommt es zur öffentlichen Aufführung einiger Erstlingswerke, anläßlich derer ihm Provesi eine große Zukunft prophezeit. 1831 zieht Verdi in das Haus von Antonio Barezzi ein. Dieser ist nicht nur ein angesehener, wohlhabender Kolonialwarengroßhändler, der das Geschäft der Eltern Verdis beliefert, sondern auch ein dilettierender Musikenthusiast in Busseto (als solcher ist er Präsident und Mäzen der örtlichen Società filarmonica, der Philharmonischen Gesellschaft, in der er auch als Instrumentalist tätig ist). Dessen ältester Tochter Margherita gibt Verdi seit dem Vorjahr Klavier- und Gesangsunterricht. Barezzi wird rasch zum väterlichen Freund und tatkräftigen Förderer Verdis, der ihm ein Leben lang in Dankbarkeit verbunden bleibt. Da sich Verdis Vater außerstande erklärt, ihm ein Studium an der Universität Parma zu ermöglichen, erhält Verdi 1832 auf Betreiben Barezzis und seines Vaters, der sich zur Erreichung dieses Zieles an die Herzogin Marie Louise wendet, vom Monte di Pietà e d’Abbondanza di Busseto (Leihhaus und Bankinstitut) ein Vierjahresstipendium von monatlich 25 Francs und bewirbt sich um Aufnahme am Mailänder Konservatorium. Die kommissionelle Prüfung aus Komposition besteht Verdi, er wird aber als Ausländer, aus Altersgründen (er hatte das Höchstalter von vierzehn Jahren längst überschritten) und wegen schlechter Handhaltung beim Klavierspiel abgewiesen. (Dasselbe Konservatorium besaß später genug schlechten Geschmack, sich trotz Verdis Weigerung: „Jung wollten Sie mich nicht haben, alt können Sie mich nicht haben“, nach dem berühmten Komponisten zu benennen.) Da die erstmalige Auszahlung des Stipendiums ein Jahr auf sich warten läßt, wird Verdi der Betrag von Barezzi vorgestreckt.
Abb. 1 – Antonio Barezzi (1787-1867), Verdis Förderer und Schwiegervater
Er verläßt Busseto und nimmt, von Barezzi, dem er freilich alles wieder zurückzahlen wird, finanziell unterstützt, in Mailand privat Kompositionsunterricht bei Vincenzo Lavigna, einem ausgezeichneten Kontrapunktisten und Dirigenten am Teatro alla Scala. Neben den Kontrapunktstudien läßt Lavigna seinen Schüler alte und moderne Partituren (darunter Werke von Corelli, Haydn, Mozart usw.) studieren und analysieren und empfiehlt ihm den Besuch von Opernvorstellungen: Im Mai 1833 hört Verdi an der Scala Maria Malibran als Norma und als Desdemona in Rossinis Otello. (1871 wird sich Verdi, nicht ganz gerecht, darüber beklagen, er habe bei Lavigna drei Jahre lang nur Kanons und Fugen zu schreiben gelernt, nicht aber Orchestration oder operndramatische Technik – dies ist einer von Verdis Versuchen, sich den Nimbus eines Autodidakten zu geben.) Während seiner Studienzeit in Mailand lernt Verdi W.A. Mozarts Sohn Karl Thomas kennen, der als Beamter der lombardischen Regierung arbeitet. Er spielt ihm mehrmals auf dem Klavier den Don Giovanni vor.
Im Dezember 1833 bewirbt Verdi sich erfolglos um die Nachfolge des am 26. Juli 1833 verstorbenen Provesi in Busseto. Wegen der Vergabe des Postens kommt es in Busseto zu einem Streit zwischen der Geistlichkeit und dem örtlichen Philharmonischen Orchester. 1834 springt Verdi auf Empfehlung seines Lehrers in Mailand bei zwei Aufführungen von Haydns Schöpfung erfolgreich als Dirigent ein, was ihm einen – allerdings nicht honorierten – Kompositionsauftrag für eine Kantate durch den Grafen Borromeo einträgt. Während eines kurzen Urlaubs in Busseto erhält Verdi die Gelegenheit, mehrmals das Orchester der Società Filarmonica zu dirigieren. Am 12. Oktober findet in Busseto eine Akademie statt, bei der mehrere Kompositionen Verdis zur Aufführung gelangen. Am 14. November 1834 hört er in Parma Niccolò Paganini spielen. Er wird sich noch Jahre später daran erinnern, wie der große Ton von Paganinis Instrument das Orchester übertönte.
Im April 1835 dirigiert Verdi im Mailänder Teatro Filodrammatico Rossinis La cenerentola. Im Juli beendet er seine Kompositionsstudien in Mailand und kehrt nach Busseto zurück. In Erwartung der Entscheidung in Busseto bewirbt er sich vergeblich um den Posten eines Maestro di cappella in Monza. Am 6. Jänner 1836 spielt er unter großem Publikumszulauf zum ersten Mal die Orgel in der Franziskaner-Kirche in Busseto. Am 5. März wird er als Nachfolger Provesis zum Städtischen Musikdirektor ernannt, was auch die Tätigkeit als Organist und Dirigent des Philharmonischen Orchester umfaßt. Seit Jänner des Jahres arbeitet er an seiner ersten Oper, von der später abwechselnd als Lord Hamilton oder Rocester (nach einem Libretto von Antonio Piazza) die Rede sein wird, und von der bis heute nicht restlos geklärt ist, ob es sich dabei