Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer

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Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten - Christian Springer

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      Daß Klagen über stilistische Unzulänglichkeiten zutreffend nur über die erste Gruppe von Interpreten geäußert werden können, versteht sich von selbst. Wenn Rossini, Bellini, Donizetti, Pacini oder Mercadante mit dem gesangstechnischen und stilistischen Rüstzeug eines Mascagni-Interpreten gesungen wird, oder Verdi mit jenem eines Purcell- oder Händel-Sängers – all dies möglicherweise noch mit Aussprache-, Betonungs- oder Phrasierungsfehlern garniert, die aus Unkenntnis der gesungenen Sprache gemacht werden –, mag das von unerfahrenen und ahnungslosen Zuhörern hingenommen werden, ist aber im Sinne der betroffenen Komponisten inakzeptabel. Die in diesen Fällen gerne ins Treffen geführte „Universalität“ und „Internationalität“ der Musik, mit der solche Mängel kaschiert werden sollen, führt sich bei der Lektüre des Briefwechsels zwischen Komponisten und Librettisten ad absurdum und entlarvt sich dabei rasch als Festrednergeschwätz. Es wird nämlich ersichtlich, daß die Mühe und skrupulöse Gewissenhaftigkeit, die die Autoren – im vorliegenden Fall Verdi und seine Textdichter – auf ihre Arbeit verwandten, selbstredend für ein Publikum unternommen wurde, das demselben Kulturkreis wie sie selbst angehörte, wie Verdi im Gespräch mit dem Orientalisten Italo Pizzi selbst formulierte:

      Die Kunst muß nationalen Charakter haben; die Wissenschaft nicht. Aber die Italiener sind Italiener und die Musik für die Italiener muß italienisch sein. Wir sind anders als die Deutschen, und noch mehr als die Franzosen (und er betonte diese Worte) und die Russen, und wir haben eine andere Weise zu fühlen.[56]

      Libretto- und Musiksprache sowie szenische Umsetzung der Werke waren im 19. Jahrhundert – im Gegensatz zu heute – auf allgemeines Publikumsverständnis ausgerichtet und setzten eine gewisse Bildung und die Kenntnis der Sprache, in der gesungen wurde, voraus. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß 1869 auf die rund 21 Millionen zählende Bevölkerung Italiens 17 Millionen Analphabeten[57] entfielen: Verdis Werke waren in einer Weise populär, die heute kaum mehr vorstellbar ist (selbst in den 1950er Jahren konnte man in Italien noch Bauarbeiter bei der Arbeit Verdi-Arien singen hören). Darüber hinaus wurde das Publikum, dem eine Vorbereitung auf das Stück ermöglicht werden sollte, über das zur Aufführung gelangende Werk informiert: Zu diesem Zweck wurden bei den Vorstellungen die Libretti der Opern in der jeweils gespielten Fassung verkauft. Diese jeweils aktuellen Textbücher berücksichtigten alle musikalischen und/oder textlichen Änderungen, Kürzungen, Striche oder Hinzufügungen der jeweiligen Aufführungsserie; sie stellen daher für die Musikwissenschaft wichtige aufführungsgeschichtliche Dokumente dar.

      Da die Oper nicht nur in Italien erfunden, sondern dort auch zur Hochblüte gebracht wurde und in ihrer Breitenwirkung am erfolgreichsten war[58], erscheint es zielführend, die Wechselwirkungen zwischen Komponisten und Interpreten anhand eines italienischen Komponisten darzustellen. Die ausführlichsten Äußerungen über Gesangssolisten und sonstige Interpreten sowie über Fragen der Theaterpraxis finden sich in der Korrespondenz Giuseppe Verdis mit seinen zahlreichen Briefpartnern. Diese Dokumente decken einen Zeitraum von rund sechzig Jahren ab und sind als völlig unbeschönigte Aussagen zu werten, da Verdi beim Verfassen seiner Briefe nicht mit deren Veröffentlichung liebäugelte, im Gegenteil. Doch auch gegen seinen Willen greift die Musikforschung zwangsläufig auf diese Dokumente zurück und hält es mit Johann Wolfgang von Goethe: „Von bedeutenden Männern nachgelassene Briefe haben immer einen großen Reiz für die Nachwelt, sie sind gleichsam die einzelnen Belege der großen Lebensrechnung, wovon Thaten und Schriften die vollen Hauptsummen darstellen“[59], ein Gedanke, dem sich auch Arnold Schönberg anschloß: „Erstens ist bei einem großen Menschen nichts Nebensache. Eigentlich ist jede seiner Tätigkeiten irgendwie produktiv. In diesem Sinne hätte ich sogar Mahler zusehen wollen, wie er eine Krawatte bindet, und hätte das interessanter gefunden und lehrreicher, als wie irgendeiner unserer Musikhofräte einen „heiligen Stoff“ komponiert.“[60]

      Ein weiterer unschätzbarer Vorteil bei Verdis Äußerungen über seine Interpreten liegt in dem Umstand, daß Tondokumente etlicher von ihm geschätzter Sänger, darunter solche von Uraufführungen, vorliegen, anhand derer man die Urteile des Komponisten und seiner Mitarbeiter mit der akustischen Realität vergleichen kann.

      Vorwegnehmend kann ganz allgemein gesagt werden, daß sich bei den Sängern über die Jahrhunderte hinweg kaum etwas geändert hat: Überragendes Talent, höchste Interpretationsintelligenz, fabelhaftes gesangstechnisches Können, grandiose stimmliche Voraussetzungen, wunderbare Musikalität, aber auch Eitelkeit, gepaart mit pomadiger Selbstgefälligkeit und dreister Selbstüberschatzung, intellektuelles und bildungsmäßiges Elend, musikalische und gesangstechnische Inkompetenz, dumpfes Unverständnis dem Beruf gegenüber, die Gesangsleistung beeinträchtigende Geldgier, alles ist schon dagewesen und war und ist wohl auch zum Teil als Reaktion der Betroffenen auf die Haltung der Gesellschaft ihnen gegenüber zu verstehen, von welcher sie entweder als Zieraffen vorgeführt oder als Götter angebetet wurden und werden. Kurz gesagt: Gut und schlecht gesungen wurde zu allen Zeiten.[61] Aber auch: Darstellungs-, Interpretations- und Gesangstalent hängt mit Intellekt und Bildung nur lose zusammen. Und eines darf man nicht vergessen: Singen kann man nicht wollen, singen muß man müssen. Soll heißen: Eine Sängerkarriere kann man nicht wie eine Beamtenkarriere anstreben und durchlaufen, sondern man muß, im Besitz der erforderlichen physischen Voraussetzungen, den ausgeprägten Drang, ja den unwiderstehlichen Zwang verspüren, sich auf diese Weise mitzuteilen und die beträchtlichen Risiken dieses Berufs auf sich zu nehmen.

      Der Anteil des Phonationsorgans an einer erfolgreichen Sängerkarriere ist relativ gering. Den überwiegenden Anteil haben Gesangstechnik, Musikalität, Rhythmusgefühl, Stil- und Sprachkenntnis, Sensibilität, Eloquenz, Phantasie, Interpretations- und Kommunikationstalent (Singen hat vor allem mit Kommunikation zu tun), Fleiß, Intelligenz, ständig weitergeführtes Studium (nicht nur reines Rollenstudium), Selbstkritik, die Bereitschaft, objektive, lobhudeleifreie Kritik von Personen des Vertrauens anzunehmen, hohe physische und psychische Belastbarkeit, gutes Gedächtnis, Reiselust inklusive der Bereitschaft, Wochen und Monate auch fern der Familie (in zumeist lauten Hotels) aus dem Koffer zu leben, die Fähigkeit zur richtigen Rollenauswahl, die Stärke, zu Angeboten auch öfter nein zu sagen, Konfliktbereitschaft, auch Glück. Kurzum: Ein Stimmbesitzer ist noch lange kein Sänger.

      Ein heute in der Sängerausbildung an führender Stelle tätiger berühmter Sänger hat die aktuelle Situation pointiert zusammengefaßt: „Non mancano le voci, mancano le teste.“ Das heißt, daß es nicht an Stimmen mangelt, wie oft behauptet wird, sondern am Verstand: an der Summe der erwähnten Voraussetzungen und der Bereitschaft, sich diese für die erfolgreiche Berufsausübung zu erarbeiten.

      Die schwedische Sopranistin Birgit Nilsson (1918-2005) gründete einige Jahre vor ihrem Tod die Birgit Nilsson Foundation, die – ähnlich dem Nobelpreis oder dem Ernst von Siemens Musikpreis – einen hochdotierten Preis an Künstler verleiht, die auf ihren Gebieten Herausragendes geleistet haben. Der Präsident dieser Stiftung begründet das wie folgt: „Birgit Nilsson was very concerned with the general decline of cultural values, in particular with the decline of performance standards in classical music.“[62]

      Dieser von vielen Seiten angesprochene Verfall impliziert, daß den seit Jahrhunderten beschworenen Krisen der Gesangskunst in der Gegenwart eine Krise bei großen Teilen des Publikums und der Kritik gegenübersteht. Immer öfter wird auf diese reale Krise mit drastischen Worten in Fachpublikationen hingewiesen, wobei die zunehmend undifferenzierte Zustimmung des Publikums zu qualitativ stark schwankenden musikalischen und gesanglichen Darbietungen auf gesellschaftspolitische Faktoren zurückgeführt wird. (Angesichts unverständlicher Publikumsreaktionen sagte Jean Cocteau einmal: „Heute war das Publikum wieder untalentiert!“) Der Tenor dieser Aussagen ist, daß die in vielen westlichen Gesellschaften (auch im Musikbetrieb) verbreitete Leistungsfeindlichkeit[63], das schwindende Bildungsniveau und die immer schlechtere Ausbildung der Studenten an Massenuniversitäten, der immer stärker zurückgedrängte Musik- und Kunstunterricht an Schulen sowie die willfährige Anpassung vieler Bereiche an wenig gebildete bis bildungsfeindliche Bevölkerungsschichten (das letzte eklatante Beispiel aus einem anderen Bereich: die deutsche

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