Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten. Christian Springer

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Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten - Christian Springer

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Personen, die den Zuschauerraum auch bei einer schlechten Vorstellung füllen.

      In Deutschland sind die Orchester und Chöre aufmerksamer und gewissenhafter; sie spielen genau und gut; dennoch habe ich in Berlin klägliche Vorstellungen gesehen. Das Orchester ist grob und klingt grob. Der Chor nicht gut, die mise en scène ohne Charakter und ohne Geschmack. Die Sänger ... oh, die Sänger schlecht, absolut schlecht. Ich habe dieses Jahr in Wien die Meslinger[44] (ich weiß nicht, ob ich den Namen richtig schreibe) gehört, die als die Malibran[45] Deutschlands gilt. Gott im Himmel! Eine jämmerliche und ausgesungene Stimme; geschmackloser und unziemlicher Gesang, annehmbares Spiel. Unsere drei oder vier Primadonnen von Ruf sind ihr, was Stimme und Gesangsstil anbelangt, unendlich überlegen und spielen mindestens ebenso gut.

      In Wien (das ist heute das erste Theater Deutschlands) liegen die Dinge besser, was Chor und Orchester (beides hervorragend) anbelangt. Ich habe mehrere Vorstellungen gehört und die Leistungen von Chor und Orchester sehr gut gefunden, die mise en scène aber mittelmäßig, und Sänger, die unter dem Mittelmaß waren; die Vorstellungen kosten aber gewöhnlich wenig; das Publikum (man läßt es während der Vorstellung im Dunkeln sitzen[46]) schläft und langweilt sich, applaudiert am Ende jedes Aktes ein bißchen und geht nach Schluß der Vorstellung nach Hause, ohne Unbehagen und ohne Begeisterung. Und das mag für diese nordischen Naturen ausreichen; aber bringe mal eine ähnliche Vorstellung in eins von unseren Opernhäusern, und Du wirst sehen, was Dir das Publikum für Symphonien komponiert! Unser Publikum ist zu erregbar und würde sich nie mit einer Primadonna wie in Deutschland zufriedengeben, die achtzehn- oder zwanzigtausend Gulden im Jahr bekommt. Wir brauchen Primadonnen, die nach Kairo, Petersburg, Lissabon, London usw. für 25000 bis 30000 Francs im Monat gehen, aber wie soll man die bezahlen? An der Scala haben sie dieses Jahr eine Truppe, wie man sie besser nicht finden kann. Eine Primadonna, die eine schöne Stimme hat, gut singt, äußerst lebendig ist, jung, schön, und noch dazu eine der Unseren. Einen Tenor, der vielleicht der erste ist, bestimmt aber unter den allerersten. Einen Bariton, der nur einen einzigen Rivalen, Pandolfini, hat. Einen Baß, der keinen Rivalen hat. Und trotzdem macht das Theater nur magere Geschäfte. Letztes Jahr sprach man sehr gut von der Mariani! Dieses Jahr begann man zu sagen, daß sie ein bißchen müde sei (notabene das ist nicht wahr).

      Jetzt sagt man, daß sie gut singt, aber das Publikum nicht anzieht etc. ... etc. ... wenn sie nächstes Jahr zurückkäme, würden alle sagen ... oh, immer dasselbe etc. etc. Ich erinnere mich, in Mailand einen gewissen Villa gekannt zu haben, einen alten Impresario aus der Zeit, in der Lalande, Rubini, Tamburini und Lablache[47] an der Scala waren, der mir sagte, daß das Publikum nach [anfänglich] großer Begeisterung Rubini schließlich auspfiff und nicht mehr ins Theater ging, so daß die Impresa[48] eines Abends ganze sechs Billette verkaufte!! Unglaublich!! Jetzt frage ich Dich, ob bei unserem Publikum eine ständige Truppe wenigstens drei Jahre lang möglich ist! Und weißt Du, was eine Truppe, wie sie jetzt an der Scala ist, jährlich kosten würde? Der Mariani kann es wohl Vergnügen machen, an der Scala eine Saison lang für 45000 oder 50000 Francs zu singen, aber wenn man ihr einen Jahresvertrag böte, würde sie natürlich eine Monatsgage von 15000 Francs verlangen, wie sie im Ausland 25 oder 30 verdienen kann. Ebenso ein Tenor ... etc. etc. Oh, mein Gott, was für ein langer Brief! Ich hätte Dir viele, viele andere Sachen zu sagen, aber zu dem, was ich Dir gesagt habe, wirst Du den Rest stillschweigend ergänzen.[49]

      1875 interviewte eine Musikzeitschrift Verdi anläßlich der Aufführungen der Messa da requiem und der Aida in Wien zweimal zu Fragen des Gesanges:

      Ueber Sänger hat Verdi seine eigenen Ansichten. „An Stimmen fehlt es gewiß nicht in Deutschland“, sagt er, „sie sind beinahe klangvoller als die italienischen, die Sänger aber betrachten den Gesang als eine Gymnastik, befassen sich wenig mit der Ausbildung der Stimme und trachten nur in der kürzesten Zeit ein großes Repertoire zu erhalten. Sie geben sich keine Mühe, eine schöne Schattirung in den Gesang zu bringen, ihr ganzes Bestreben ist dahin gerichtet, diese oder jene Note mit großer Kraft hervorzustoßen. Daher ist ihr Gesang kein poetischer Audruck der Seele, sondern ein physischer Kampf ihres Körpers.[50]

      Ein Wiener Reporter, welcher Verdi heimsuchte, erzählt Folgendes: Der Maestro sprach voll Lobes vom Chor und Orchester unserer Oper. „Ich habe selten so viele jugendkräftige Stimmen zusammen gehört. Der Chor ist bewunderungswürdig, der beste, der mir noch vorgekommen.“ Wir sprachen von den Sängern, die dem Requiem zu so glänzender Aufnahme verholfen haben. „Einen Theil der Ehre“, sagte Verdi, „kann Oesterreich für sich in Anspruch nehmen, die Damen gehören ja zu Euch.[51] Indessen“, corrigirte er sich fein lächelnd, „ganz können wir sie Euch doch nicht überlassen, die Art, wie sie singen, ist italienisch. Das haben sie bei uns gelernt.“ Ich stimmte bei. „Sehen Sie“, fuhr Verdi fort, „man ist gegen die italienischen Sänger manchmal ungerecht, wenn man ihnen vorwirft, daß sie dem bel canto, dem Gesang zuliebe, das Spielen vernachlässigen. Wie viele Sänger giebt es denn, die beides vereinigen, spielen und singen können? In der komischen Oper ist beides leicht vereint. Aber in der tragischen! Ein Sänger, der von der dramatischen Action ergriffen ist, dem jede Fiber seines Körpers bebt, der ganz aufgeht in der Rolle, die er schafft, der wird den rechten Ton nicht finden. Vielleicht eine Minute lang, in der nächsten halben Minute singt er schon falsch oder die Stimme versagt. Für Action und Gesang ist selten eine Lunge stark genug. Und doch bin ich der Meinung, daß in der Oper die Stimme vor Allem ein Recht hat, gehört zu werden. Ohne Stimme giebt es keinen rechten Gesang.“[52]

      Bei der Beurteilung der Sänger, der von ihnen verursachten Krisen der Gesangskunst und deren anscheinend irreversiblem Verfall ist ein Faktum von herausragender Bedeutung: Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sangen die Sänger überwiegend zeitgenössische Musik. Sie sind in diesem Sinne also als Spezialisten zu betrachten. Viele Klagen über Sänger sind deshalb primär unter dem Gesichtspunkt eines sich verändernden Kompositions- und Vortragsstils zu verstehen, dem sich diese anzupassen hatten. Ein Extremfall für Anpassungsprobleme an einen neuen Stil war Adolphe Nourrit (Paris 1802 – Neapel 1839). Er war fünfzehn Jahre lang der erste Tenor der Pariser Opéra, ein kultivierter falsettone-Sänger, der nach dem Auftauchen von Gilbert-Louis Duprez (Paris 1806 – Poissy 1896), einem Tenor, der zu seiner Zeit als Brachialsänger empfunden wurde und der – gesangshistorisch nicht ganz korrekt – als der Erfinder des mit Bruststimme gesungenen hohen C bezeichnet wird, nach Italien ging, um seine Gesangsmethode auf diesen vom Publikum bejubelten neuen Stil umzustellen. Angesichts der Erfolglosigkeit seiner Versuche beging Nourrit Selbstmord.[53]

      Als Beispiel für das Repertoire eines berühmten Sängers der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts möge der Tenor Giovanni Battista Rubini (Romano Bergamasco 1794 – 1854) dienen. Der mit einem formidablen musikalischen Gedächtnis ausgestattete Sänger trat im Laufe seiner Karriere in 156 Rollen in Opern von 59 Komponisten auf. Darunter befanden sich zahlreiche Uraufführungen von Werken, deren Hauptrollen eigens für ihn komponiert worden waren. Die in seinem Repertoire meistvertretenen Komponisten sind Bellini (8 Opern), Donizetti (14), Fioravanti (5), Generali (4), Mayr (11), Mercadante (6), Mosca (5), Pacini (9), Paër (4), Raimondi (4), Rossini (20 Opern, 2 Kantaten)[54], allesamt Musiker, die zum Zeitpunkt des erstmaligen Auftretens Rubinis in der jeweiligen Rolle noch am Leben waren, also zeitgenössische, „moderne“ Autoren. Als Rubini 1815 den Ferrando in Mozarts Così fan tutte, 1831 den Don Ottavio in Don Giovanni oder 1821 den Uriel in Haydns Schöpfung sang, Werke „alter“ Autoren, war dies eher ungewöhnlich.[55] Selbstverständlich differierten auch die Kompositionsstile und die vokalen Anforderungen der Werke, die Rubini im Repertoire hatte, doch schrieben ihre Komponisten sie alle in Kenntnis und unter Berücksichtigung der stimmlichen Konstitution und technischen Möglichkeiten ihres Interpreten (so schrieb Bellini „seinem“ Tenor Rubini viele Partien „in die Kehle“).

      Im Gegensatz dazu sehen sich heutige Sänger mit der beinahe unlösbaren Aufgabe konfrontiert, Gesangsstilen von Monteverdi bis Reimann zu entsprechen. Die Folge davon können zwei Phänomene sein: einerseits Sänger, die mehr oder minder die ganze Palette des Repertoires abdecken (müssen) und dabei nicht allen Interpretationsstilen

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