Gefühlschaos. Heidi Oehlmann
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»Ja. Ja.«
Während ich Carmen von der rechten Seite stütze, merke ich erst, wie schwer sie ist. Obwohl sie nicht dick ist, habe ich einiges an Gewicht zu stemmen. Vielleicht hätte ich Sybille meinen Job machen lassen sollen. Sie ist von uns allen die Größte und gleichzeitig die Kräftigste. Ich hingegen bin einen halben Kopf kleiner als Carmen und auch nicht gerade stark. Zwar treibe ich regelmäßig Sport, aber deshalb habe ich noch lange nicht so viel Kraft, um Carmen tragen zu können. Mein Training bewegt sich eher im Bereich Ausdauersport. Ich gehe drei Mal die Woche joggen und mache hin und wieder ein bisschen Yoga, also nichts, wovon man übermäßige Muskeln bekommt.
»Och Carmen, jetzt mach dich doch nicht so schwer!«, fluche ich.
Wir haben noch nicht die Hälfte des Weges nach draußen geschafft und ich merke bereits, wie mir die Kräfte schwinden. Es fällt mir sekündlich schwerer, meine Freundin zu halten. Ich muss mich zusammenreißen, sie nicht vor versammelter Mannschaft fallen zu lassen und womöglich selbst umzukippen. Das wäre so peinlich, in den Laden könnte ich nie wieder gehen. Das Allerschlimmste für mich wäre aber, wenn Lisa dieses Malheur mitbekäme. Sie würde sich köstlich amüsieren. Dieser Gedanke ermutigt mich, meine ganzen Kraftreserven zu bündeln und nicht aufzugeben.
Ich schaue zu dem Tisch, an dem Lisa und ihr Begleiter sitzen. Zum Glück sind beide so in ihrem Gespräch vertieft, dass sie nicht mitbekommen, was mit Carmen los ist. Ich hoffe, es bleibt so und wir gelangen rechtzeitig nach draußen.
»Warte Mia, ich helfe dir!«, höre ich Sybille sagen, die hinter uns auftaucht.
Über ihre Hilfe bin ich froh. Sie stützt Carmen von der anderen Seite. Jetzt kommen wir gleich viel schneller voran.
»Wo ist Marta?«, frage ich.
»Sie bezahlt gerade unsere Drinks.«
»Okay. Dann wird sie sicher bald kommen. Wie lange braucht das Taxi?«
»Die Frau in der Zentrale hat gesagt, dass es in etwa zehn Minuten hier ist.«
»Das ist gut. So lange werden wir auch fast brauchen, bis wir draußen sind.«
»Ach quatsch! Wir sind doch gleich an der Tür.«
»Ja. Ich bin so froh, dass du da bist. Lange hätte ich Carmen nicht mehr halten können.«
»Du musst halt richtig essen und Kraftsport machen!«
»So wie du?«, stachele ich meine muskulöse Freundin unter größter Anstrengung an.
»Ja.«
Ich gebe ja zu, ich beneide Sybille für ihren Körperbau ein wenig. Sie ist verdammt gut durchtrainiert, aber die Disziplin, die sie an den Tag legt, wäre mein absoluter Untergang. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, ständig auf Diät zu sein, und keine Süßigkeiten mehr zu essen. Ich und Selbstdisziplin das passt überhaupt nicht zusammen. Das ist wie Feuer und Wasser. Mit Wasser wird höchstens Feuer gelöscht. Genauso ist es bei mir: Sport und Eintagesdiäten dienen mir dazu, nicht aus der Form zu geraten, aber Spaß macht es mir bei Weitem nicht. Im Gegenteil, wenn es nach mir ginge, würde ich mich rund um die Uhr von Schokolade ernähren und auf der Couch rumfletzen. Das kann ich mir nur nicht leisten. Frauen, die auf dem Männermarkt ein möglichst vorzeigbares Exemplar abbekommen möchten, müssen peinlichst genau auf ihr Äußeres achten und können sich nicht gehen lassen. Sonst hat sich das mit der Männersuche schnell erledigt.
Wir haben es geschafft! Die Tür ist in greifbarer Nähe. Nur noch wenige Schritte und wir sind draußen.
»Ihr seid ja immer noch hier!«, höre ich Marta hinter mir sagen.
»Du bist gut. Versuch du doch Carmen nach draußen zu hieven, wenn sie nicht mitmacht! Ohne Sybille lägen Carmen und ich längst auf dem Boden.«
»Ich mache drei Kreuze, wenn wir endlich im Taxi sitzen«, keucht nun auch Sybille.
»Ja. Da stimme ich dir zu. Ich hätte nicht gedacht, dass Carmen dir zu schwer ist, so muskelbepackt, wie du bist«, sage ich völlig außer Atem.
»Meine Muskeln sind eben nicht dafür ausgelegt, Frauen herumzuschleppen«, scherzt Sybille.
»Na, solange du noch Witze reißen kannst, scheint es ja nicht so schlimm zu sein«, kontert Marta.
»Du, wir können gern tauschen. Mal sehen, ob du dann noch Reden schwingen kannst«, antwortet Sybille und versucht dabei ernst zu klingen.
»Ach lass mal. Ich sage ja nichts mehr.«
»Wo ist denn das verdammte Taxi?«, fluche ich, als wir endlich draußen auf der Straße stehen.
»Es wird sicherlich gleich hier sein«, sagt Bille.
»Hoffentlich! Ich kann langsam nicht mehr!«
»Du schaffst das. Reiß dich mal zusammen!«, ermutigt Sybille mich.
»Mädels, wo gehen wir jetzt hin? In einen anderen Klub?«, fragt Carmen lallend. Ich kann sie kaum verstehen.
»Wir bringen dich jetzt in dein kuschliges Bettchen, Carmen. Da kannst du dich richtig ausschlafen«, antworte ich.
»Ich will nicht nach Hause. Da erinnert mich alles an Karl. Kann ich nicht mit zu einer von euch?«
Sybille wirft mir einen Blick zu, der mir sagen soll, dass Carmen auf keinen Fall mit zu ihr kann.
Ich drehe mich zu Marta und schaue sie fragend an.
»Ist das dein Ernst?«, erwidert sie gespielt entsetzt.
»Ja, schon.«
»Wieso kann sie nicht mit zu dir?«
»Ich habe Carmen beim letzten Besäufnis mitgenommen. Heute ist eine von euch dran!«, antworte ich zickig.
»Na schön, wenn es unbedingt sein muss, dann nehme ich Carmen eben mit zu mir«, sagt Marta.
In ihrer Stimme liegt eine Menge Enttäuschung. Sie hatte gehofft, die Nacht mit Carmen bliebe ihr erspart.
»Super. Dann setzen wir euch zuerst bei dir ab«, sage ich und bin froh, dass Marta sich bereit erklärt hat, Carmen mit zu sich zu nehmen. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste sie mitnehmen. Das wäre wieder eine Horrornacht geworden. Ich mag Carmen wirklich gerne. Sie ist einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, aber wenn sie zu viel getrunken hat, ist sie kaum auszuhalten. Ich erinnere mich noch an das letzte Mal, als sie sturzbesoffen bei mir übernachtet hatte. An Schlaf war für mich damals nicht zu denken. Die ganze Nacht musste ich mich um sie kümmern. Ständig hat sie sich übergeben und ich musste ihr die ganze Zeit einen Eimer vors Gesicht halten, damit sie meine Möbel nicht vollkotzt. Für so ein Abenteuer fehlen mir heute Nacht die Nerven. Ich will doch nachher schauen, ob Konstantin online ist. Da kann ich keine pflegebedürftige Carmen gebrauchen, die mich vom Chatten abhält.
Marta hat in ihrem Domizil ohnehin viel mehr Platz. Sie hat die größte Wohnung von uns allen. Sie kann es sich auch leisten. Marta verdient als Medienfachwirtin ordentlich, mehr als wir anderen.