Nur Fleisch. Jack London

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Nur Fleisch - Jack London

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mit durchlöchertem Sitz an den Tisch.

      »Johnny!« rief die Mutter scharf.

      Er stand schnell wieder vom Stuhl auf und ging, ohne ein Wort zu sagen, zur Aufwasch. Es war eine fettige, schmutzige Aufwasch, und ein arger Gestank stieg aus dem Rohr auf, aber er beachtete es nicht. Für ihn war es selbstverständlich, daß eine Aufwasch schlecht roch, wie es auch selbstverständlich war, daß die Seife fettig von Aufwaschwasser war und nicht ordentlich schäumen wollte. Er gab sich auch keine besondere Mühe, sie zum Schäumen zu bringen. Ein paar Spritzer kaltes Wasser aus dem Hahn – und der feierliche Akt war beendet. Die Zähne putzte er sich nicht. Was das betrifft, so hatte er nie eine Zahnbürste gesehen und ahnte nicht, daß es Menschen gab, die so töricht waren, sich die Zähne zu putzen.

      »Das eine Mal am Tage könntest du dich nun wirklich gern waschen, ohne daß ich es dir immer zu sagen brauchte«, klagte seine Mutter.

      Sie hielt den zerbrochenen Deckel auf der Kanne fest, während sie zwei Tassen Kaffee einschenkte. Er sagte nichts, denn das war eine ewige Streitfrage zwischen ihnen und der einzige Punkt, in dem seine Mutter vollkommen unerbittlich war. »Einmal am Tage« war es durchaus notwendig, daß er sich das Gesicht wusch. Er trocknete sieh mit einem fettigen Handtuch ab, das feucht und schmutzig und so zerfetzt war, daß sein Gesicht, als er fertig war, mit Fasern bedeckt war.

      »Ich wünschte, wir wohnten nicht so weit weg«, sagte sie, sich setzend. »Ich tue ja gern, was ich kann. Das weißt du doch. Aber wenn wir einen Dollar an der Miete sparen, so ist das nicht wenig, und dazu haben wir hier mehr Platz. Das weißt du auch.«

      Er hörte kaum, was sie sagte. Er hatte das alles schon früher gehört – viele Male. Ihr Gedankenkreis war sehr eng, und sie kehrte immer wieder darauf zurück, wie schwer es für sie war, so weit von der Fabrik zu wohnen.

      »Ein Dollar heißt mehr Essen«, sagte er kurz. »Ich will lieber das Ende laufen und mehr zu essen kriegen.«

      Er aß schnell, kaute das Brot nur halb und spülte die ungekauten Bissen mit dem Kaffee hinunter. Die warme, trübe Flüssigkeit hieß Kaffee. Johnny glaubte selbst, daß es Kaffee sei, – und zwar ausgezeichneter Kaffee. Das war eine von den wenigen Illusionen, die ihm noch geblieben waren. Nie in seinem Leben hatte er richtigen Kaffee getrunken. Außer dem Brot gab es ein kleines Stück kalten Speck. Seine Mutter füllte ihm die Tasse wieder mit Kaffee. Als er sein Stück Brot beinahe aufgegessen hatte, begann er sich umzusehen, in der Hoffnung, mehr zu bekommen. Sie fing seinen forschenden Blick auf.

      »Du mußt nun auch nicht gefräßig sein, Johnny!« sagte sie. »Du hast dein Teil bekommen. Deine Geschwister sind kleiner als du.«

      Er antwortete nicht auf ihre Vorwürfe – er war kein Mensch, der viel sagte –, aber er beschied sich. Er beklagte sich nie und zeigte eine Geduld, die ebenso furchtbar war wie die Schule, in der er sie gelernt hatte. Er leerte seine Tasse, wischte sich den Mund mit dem Handrücken und machte Miene, aufzustehen.

      »Wart einen Augenblick!« sagte sie hastig. »Ich glaube doch, daß ich dir noch ein Stück geben kann – ein kleines Stück!«

      Mit der Gewandtheit eines Taschenspielers tat sie, als schnitte sie eine Scheibe Brot für ihn ab, legte dann aber den Laib in den Brotkasten zurück und gab ihm statt dessen eine ihrer eigenen zwei Scheiben. Sie glaubte, sie hätte ihn angeführt, aber er hatte das Kunststück gesehen. Dennoch nahm er ganz schamlos das Brot. Er hegte die unerschütterliche Überzeugung, daß seine Mutter wegen ihrer chronischen Schwächlichkeit nie Appetit hätte.

      Sie sah, wie er auf dem trockenen Brot herumkaute, beugte sich vor und goss den Inhalt ihrer Kaffeetasse in die seine.

      »Es schmeckt mir heute nicht so recht«, erklärte sie.

      In der Ferne ertönte ein langgezogenes, schrilles Pfeifen, und beide kamen auf die Füße. Sie sah nach der billigen Weckuhr auf dem Regal. Die Zeiger standen auf halb sechs. Die anderen Fabrikarbeiter wachten jetzt auf. Sie warf sich einen Schal über die Schulter und setzte sich einen schmutzigen Hut auf, der uralt und völlig formlos war.

      »Wir werden wohl laufen müssen«, sagte sie, indem sie den Docht herunterschraubte und die Lampe ausblies.

      Im Dunkeln tappend, verließen sie die Stube und gingen die Treppe hinab. Es war klar und kalt, und Johnny schüttelte sich bei der ersten Berührung mit der Morgenluft. Die Sterne hatten noch nicht am Himmel zu verblassen begonnen, die Stadt lag im Dunkeln. Johnny sowohl wie seine Mutter schleppten die Füße beim Gehen nach – es war nicht Ehrgeiz genug in ihren Beinmuskeln, um die Füße vom Boden zu heben.

      Als sie eine Viertelstunde gegangen waren, ohne etwas zu sagen, bog seine Mutter rechts ab.

      »Komm nicht zu spät!« ertönte ihre letzte Warnung aus dem Dunkel, ehe es sie verschlang.

      Er antwortete nicht, sondern ging ruhig und besonnen weiter.

      Überall im Fabrikviertel öffneten sich die Türen, und er war bald mitten in einer ganzen Schar, die durch das Dunkel vorwärts eilte. Als er das Tor der Fabrik erreichte, ertönte die Pfeife wieder. Er sah nach Osten. Über der langen Reihe ungleicher Hausdächer begann sich ein blasses Licht zu zeigen. Das war alles, was er vom Tage sah, ehe er ihm den Rücken kehrte und mit seinen Arbeitsgenossen hineinging.

      Er nahm seinen Platz an einer der vielen langen Reihen von Maschinen ein. Vor ihm, über einem mit kleinen Spulen gefüllten Kasten waren einige sich schnell drehende große Spulen angebracht, und auf sie spann er Jutefäden von den kleinen Spulen. Die Arbeit war ganz einfach. Alles, was sie erforderte, war Schnelligkeit. Die kleinen Spulen mehrten sich so schnell, und es gab so viele große Spulen, um sie zu leeren, daß nie Zeit zum Nichtstun blieb.

      Er arbeitete ganz mechanisch. Wenn eine kleine Spule leer war, benutzte er seine linke Hand als Bremse, um die große Spule anzuhalten, während er gleichzeitig mit Daumen und Zeigefinger das lose Fadenende der großen und mit der rechten Hand das lose Fadenende einer kleinen Spule faßte. Diese zwei verschiedenen Bewegungen mit beiden Händen führte er gleichzeitig und sehr schnell aus. Dann knüpfte er mit einer blitzschnellen Bewegung beider Hände einen Weberknoten und ließ die Spule los. Es war keine Kunst, einen Weberknoten zu knüpfen. Er hatte einmal damit geprahlt, daß er es im Schlaf könnte. Und das tat er übrigens auch hin und wieder, wenn er in einer einzigen Nacht Jahrhunderte damit verbrachte, eine endlose Reihe von Weberknoten zu knüpfen.

      Einige von den Knaben waren faul und vergeudeten Zeit und Maschinenkraft, indem sie kleine Spulen, wenn sie leer waren, nicht durch neue ersetzten, und ein Vorarbeiter hatte das zu verhindern. Er ertappte Johnnys Nachbar auf frischer Tat und verabreichte ihm ein paar Ohrfeigen.

      »Sieh dir Johnny an – warum ist der nicht so wie du?« sagte der Aufseher.

      Johnnys Spulen schnurrten aus voller Kraft, aber das indirekte Lob machte keinen Eindruck auf ihn. Es hatte eine Zeit gegeben+..., aber das war lange her, sehr lange her. Sein schlaffes Gesicht war völlig ausdruckslos, während er anhörte, wie er als leuchtendes Beispiel hingestellt wurde. Er war ein ausgezeichneter Arbeiter. Das wußte er sehr gut – er hatte es so oft gehört. Es war etwas ganz Alltägliches, und ihm schien zudem, als ob es nichts mehr für ihn bedeutete. Vom vollkommenen Arbeiter hatte er sich zur vollkommenen Maschine entwickelt. Ging seine Arbeit nicht glatt, so kam es wie bei der Maschine daher, daß das Material nichts taugte. Ein vollkommener Nagelstempel hätte ebensogut schlechte Nägel verfertigen, wie er einen Fehler begehen können.

      Und das war auch nicht so merkwürdig. Nie hatte es eine Zeit gegeben, da er nicht in enger Verbindung mit Maschinen gestanden hatte. Er war unter Maschinen geboren und unter ihnen aufgewachsen.

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