Rondaria. Alisha Mc Shaw
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»Tiere?«, echote er leise.
Aleyna wandte sich wieder zu ihm um, musterte sein Gesicht. Sie hatte ein spöttisches Lächeln erwartet. Doch sein Blick war vollkommen ernst und wahrscheinlich nur deshalb sprach sie überhaupt weiter. »Keine ... normalen Tiere. Sondern Menschen, die sich in Tiere verwandelten, wann immer sie es wollten. Es waren viele Verschiedene. Löwen, Tiger, Füchse, Panther, Bären ... sogar ein Eichhörnchen war dabei. Und sie sprachen mit mir. Ich erlebte Abenteuer mit ihnen und erzählte Dad abends davon. Aber eines Tages ...« Sie brach ab, senkte den Blick.
»Auf einmal sagte er, ich würde mir das alles nur einbilden. Menschen, die sich in Tiere verwandelten, gäbe es nur im Märchen. Dann zogen wir weg vom Wald, und er ging nie wieder zurück dorthin, bis ...«
»Bis die Krankheit bei ihm ausbrach?«, vollendete er ihren Satz und sie nickte.
Ja, genau so war es gewesen. Am Anfang wusste sie nicht, wohin ihr Vater aufbrach, wenn er verschwand. Aber dann fand sie die Erde. An seinen Schuhen, der Kleidung. Überall haftete dieser Duft, an den sie sich noch so gut erinnern konnte. Er roch nach Wald. Sie begann zu hoffen, dass alles gut werden würde. Doch das wurde es nicht. Schließlich verlor er sogar seinen Job und der Verfall ihres Vaters schritt immer weiter voran, genau wie der Fremde es beschrieben hatte. In diesem Moment wurde Aleyna bewusst, dass er ihr noch immer nicht offenbart hatte, woher er das alles wusste oder wie er hieß.
»Dein Vater und seine Krankheit ... dort, wo Palina und ich herkommen, gibt es noch mehr Kranke«, sagte er, als ob er ihre Gedanken hätte lesen können. »Was wäre, wenn ich dir sagen würde, dass du dir die Wesen, die sich in Tiere verwandeln können, nicht eingebildet hast? Das sie wirklich existieren?«
Aleyna widerstand nur knapp dem Drang, sich an die Stirn zu tippen. »Sicher. Und im Himmel ist Jahrmarkt.«
Er seufzte. »Hast du schon mal etwas von Gestaltwandlern gehört?«, fragte er.
Jetzt konnte sie nicht anders, als spöttisch zu lächeln. »Menschen, die zum Werwolf werden? Heiße ich etwa Bella und du Jacob?«, entgegnete sie.
Sichtlich entrüstet riss er die Augen auf. »Werwölfe sind etwas völlig anderes, sie haben nur die Wolfsform. Gestaltwandler sind wesentlich vielfältiger. Die Tiergestalt ist schon vor der Geburt festgelegt, und es kann so ziemlich alles sein. Wölfe, Tiger, Leoparden, Löwen, Adler ... Dein Vater zum Beispiel war ein Bär!«, zählte er auf.
Aleyna musterte ihn eingehend. Der Kerl war doch vollkommen irre, denn er meinte das, was er da gerade von sich gab, offenbar vollkommen ernst! Sie hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. »Pass auf, Fremder. Ich weiß nicht, was du komischer Vogel geraucht hast, aber ...« Sie brach ab und stutzte. »Moment. Hast du grade gesagt, mein Vater war ein Bär?«
Er raufte sich erneut die Haare. »Mein Name ist Noyan, und ja ... dein Vater war ein Bär.«
»Pass mal auf, Noyan.« Sie kniff die Augen zusammen. »Du tauchst hier einfach mit deiner ach so tollen Freundin auf ...«, ihre Hand fuhr nach vorn und tippte mehrfach gegen seine Brust, »und wagst es dann auch noch, dich über mich lustig zu machen?«
Noyan schien verwirrt zu sein. »Ich mache mich keinesfalls über dich lustig. Es ist schlicht und ergreifend die Wahrheit.«
Aleyna wich einen Schritt zurück und holte tief Luft. »Okay, ... ich weiß nicht, aus welcher Anstalt du entlaufen bist, aber ... mein Vater war mit Sicherheit kein Bär ...!« Sie zeigte ihm einen Vogel. Dann wandte sie sich kopfschüttelnd ab und entfernte sich eilig von Noyan und dem Grab ihres Vaters. Der Bestatter war sicher noch irgendwo hier, und das Ganze wurde ihr unheimlich. Sie horchte auf Schritte, doch Noyan schien ihr nicht zu folgen. Kurz darauf vernahm sie jedoch ein Knurren hinter sich, blieb stehen und drehte sich langsam um.
Ihr Herz machte einen Satz und überschlug sich mehrfach, nur um dann rasend schnell weiter zu klopfen. Sie musste mehrfach blinzeln, ehe ihr klar wurde, dass das, was sie vor sich sah, tatsächlich real war.
Dort, wo Noyan eben noch gestanden hatte, saß jetzt ein riesiger Wolf. Aus seinen Nasenlöchern drang warme Luft, die in kleinen Nebelschwaden nach oben stieg. Aleyna erstarrte - denn der Wolf saß inmitten eines Kleiderhaufens - Noyans Kleidern. Das Tier machte keine Anstalten, ihr zu folgen. Es sah sie aus grauen Augen an, und der Situation vollkommen unangemessen überkam sie das Gefühl, noch nie in vertrautere Züge geblickt zu haben.
Der Wolf fixierte sie und seine Lefzen hoben sich, sodass es aussah, als lächelte er. »Dein Vater war ein Bär!«, drang eindeutig Noyans Stimme an ihr Ohr.
Erneut beschleunigte sich ihr Herzschlag. All das war einfach zu viel. Wie konnte das sein? Ihre Gedanken rasten, überschlugen sich und gerieten ins Stolpern. Sie war wahnsinnig. Vollkommen irre. Aleyna wurde leicht schwindelig. Hilfesuchend griff sie nach ihrer Kette. Sie ergab sich willig der Dunkelheit und sank ohnmächtig zu Boden.
Noyan
»Du hast was?« Palina starrte ihn an, als habe er den Verstand verloren. Sie hatte, wie angekündigt, im Wald auf ihn gewartet. Nun saß er ihr gegenüber und sah sie zerknirscht an. Ein tiefes Knurren entwich Palinas Kehle, und er zuckte zusammen. Ihre Tiergestalt war ein Leopard und sie marschierte vor ihm auf und ab, bis sie schließlich dicht vor seiner Schnauze stehen blieb und ihn fixierte.
»Du hast ihr also deine zweite Gestalt gezeigt?!« Bei jedem Wort peitschte ihr Schwanz auf den Boden. Er zog den Kopf zwischen die Schultern. »Und dann ...«, Palina holte scharf Luft, »... dann hast du die bewusstlose Kleine zur Kapelle gebracht, damit der Bestatter sie findet und sich um sie kümmert?« Sie setzte sich vor ihm auf die Hinterpfoten und starrte ihn an, während er kleinlaut nickte. »Was sagtest du noch gleich über meine Unsensibilität?«
Finster betrachtete sie ihn, während er sich unter ihren Worten wand. »Du weißt doch, wie wichtig das Mädchen für uns sein könnte, wenn sie das ist, was ich glaube! Was ist in dich gefahren, Noyan? Warum, bei der Göttin, hast du sie nicht hergebracht?«
Noyan schloss die Augen. Palina konnte nicht ahnen, dass er sich genau das seit heute Morgen auch fragte. Er hatte schon viele Besuche auf dieser Seite der Welt hinter sich. Auch Mischlinge waren ihm zu Genüge über den Weg gelaufen. Doch Aleyna war eine vollkommen neue Erfahrung für ihn, den Einzelgänger in selbst gewählter Einsamkeit. Er hatte ihre Emotionen gefühlt, als wären es seine eigenen. Was also war in ihn gefahren, warum hatte er sie dort gelassen, anstatt sie einfach mit nach Rondaria zu nehmen?
Er schüttelte sein Fell aus. »Ich hab es doch versucht!«, setzte er dennoch zu einer Verteidigung an. »Meine Gabe hat bei ihr nicht gewirkt!« Er hob die Pfote an und musterte sie erneut. Die Fähigkeit, wegen derer man ihn im Zirkel aufgenommen und ausgebildet hatte, nannte sich Mediation. Durch bloßes Handauflegen konnte er andere Wesen beeinflussen. Nur Aleyna nicht. Für ihn war es unbegreiflich, dass es bei ihr nicht geklappt hatte. Ein leiser Seufzer entwich ihm. »Sie wird uns helfen, wenn sie diejenige ist, für die du sie hältst!« Die Königin knurrte und Noyan erhob sich. »Ich werde mich darum kümmern, gib mir noch eine Chance.«
Palina warf ihm einen misstrauischen Blick zu. »Diese Sache ist wichtig, Noyan! Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass dieser Mischling das Wesen aus meinem Traum ist.«
Urplötzlich meldete sich der ungewollte Beschützerinstinkt wieder und ein tiefes Grollen wollte