Rondaria. Alisha Mc Shaw
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Sie liebte diese Fotografie sehr. Es war die Einzige, die sie betrachten konnte, ohne dass ihr das Herz zerriss. Die Augen ihres Vaters funkelten lebensfroh, er strahlte innere Ruhe aus und wirkte wie ein ... wie ihr Fels in der Brandung. Gerade in den letzten Monaten vor seinem Tod hatte sie seinen Lebensmut schmerzlich vermisst. Seufzend ließ sie sich in den Ohrensessel vor dem Kamin fallen, nippte vorsichtig am Tee und betrachtete das Bild. Sie hatte das Gefühl, das ihr Vater vorwurfsvoll auf sie herabsah. »Denk nicht einmal daran!«, maulte sie in seine Richtung. »Er hat es nicht anders verdient, was kommt er auch einfach her? Soll er doch verrotten im Regen!«
Sie zog die Füße in den Sessel und kuschelte sich noch tiefer hinein, darum bemüht, das Bild des tropfnassen Noyan aus ihrem Kopf zu vertreiben. Doch so sehr sie sich einreden wollte, dass es sie nicht interessierte, wenn er sich da draußen den Tod holte - es gelang ihr nicht. Nachdem sie einige Minuten damit verbracht hatte, angestrengt ins Feuer zu starren, sprang sie mit einem Seufzer auf. »Ich weiß, ich werde es bereuen!«, erklärte sie in Richtung des Bildes. »Keine Ahnung, warum ich das überhaupt tue!«
Mit missmutigem Blick ging sie an die Eingangstür und öffnete sie. »Komm rein, ehe ich es mir anders überlege!«, murrte sie in die Dunkelheit und trat zur Seite.
Völlig durchnässt betrat Noyan ihr kleines Zuhause. »Danke«, flüsterte er.
»Halt. Schuhe aus! Du ruinierst mir das Parkett. Ich hol ein Handtuch«, wies sie ihn an. Er sollte bloß nicht glauben, dass sie jetzt auch noch freundlich zu ihm sein würde. Noyan sah verblüfft drein, nickte aber gehorsam und ging in die Knie, um die Schuhe auszuziehen. Sie verschwand im Bad und fischte ein Handtuch aus dem Schrank. Was war sie nur für ein Esel, dass sie ihrem Gewissen nachgegeben und ihn ins Haus gelassen hatte!
Aber sie musste Klarheit über die Dinge haben, die sie heute Morgen gehört und vor allem glaubte, gesehen zu haben. Nur aus diesem Grund würde sie ihm die Chance geben, sich zu erklären. Sie betrachtete sich im Badezimmerspiegel und seufzte. Ihr Gesicht wirkte bei weitem nicht mehr so müde wie noch heute Morgen. Dank der Tablette hatte sie wenigstens ein bisschen schlafen können. Das hatte gut getan, sie fühlte sich ausgeruhter und ihre Wangen wiesen etwas Farbe auf.
Mit dem Handtuch unter dem Arm verließ sie das Badezimmer. Noyans Schuhe standen ordentlich aufgereiht auf dem Fußabtreter, von ihm keine Spur, doch sie hörte das leise Knarzen des Dielenbodens im Wohnzimmer, wenn er sich bewegte. Ein kurzes Zögern, doch dann gab sie sich einen Ruck und betrat das Schlafzimmer ihres Vaters. Mit zittriger Hand holte sie ein Hemd und eine Hose aus dem Schrank.
Sie huschte zur Wohnzimmertür und spähte hinein. Noyan saß mit nacktem Oberkörper auf dem Fell vor dem Kamin und breitete sein nasses Hemd vor sich auf dem Boden aus, damit es schneller trocknen konnte. Neugierig musterte sie ihn. Seine dunklen Haare hatten eindeutig einen Schnitt nötig, seine Haut war von der Sonne gebräunt und um seinen muskulösen Körperbau würde ihn vermutlich so mancher beneiden. Er war genau richtig proportioniert. Aber das wirklich faszinierende an ihm jedoch waren seine Augen. Als er sich zu ihr und sie ansah, war sie aufs Neue überrascht, wie tief sie zu blicken glaubte.
»Soll ich mich einmal im Kreis drehen?« Ein amüsiertes Grinsen umspielte seine Lippen, dann stand er auf und drehte sich mit ausgebreiteten Armen.
Hitze schoss in Aleynas Wangen. Sie warf ihm das Handtuch entgegen, dass er leise lachend auffing. »Blödmann!«, murmelte sie.
Nachdem er sich umgezogen hatte - sie hatte mit hochrotem Kopf das Zimmer verlassen, um ihm einen Tee zu machen - seufzte Noyan sichtlich zufrieden auf und setzte sich auf das Sofa. »Danke!«, murmelte er, als sie ihm die dampfende Tasse reichte. Aleyna kletterte wieder in den Ohrensessel und starrte ins Feuer.
»Kennst du das, wenn du aufwachst und einen Traum hattest, der sich so real anfühlt, dass du glaubst, noch den Geschmack dessen, was du verzehrt hast, auf der Zunge spüren zu können?«, fragte sie nach einer Weile angespannten Schweigens.
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Noyan zusammenzuckte und den Kopf zu ihr drehte. »Wie meinst du das?«
»Na ja ... klingt es etwa nicht verwunderlich, wenn ich sage, dass ich davon geträumt habe, dass du dich in einen Wolf verwandelst und mir erzählst, mein Vater sei ebenfalls ein Gestaltwandler gewesen?« Sie lachte tonlos auf und schüttelte den Kopf. »Ein Bär. Das ist doch vollkommen irre! Ein schlechter Traum ... oder vielleicht doch eher ein Märchen?« Sie fixierte ihn. »Aber Großmutter, warum hast du denn so große Augen?«
Noyan
Der Unglaube in ihrer Stimme war nicht zu überhören und er seufzte. Sie dachte, geträumt zu haben? »Pass auf. Ich weiß ja, dass es dir schwerfallen muss, mir das alles zu glauben. Aber es ist kein Traum gewesen, sondern die Wahrheit und allein deshalb bin ich hier.« Sie zog ihre Beine auf den Ohrensessel, schlang die Arme darum und vergrub ihren Kopf dazwischen. »Denkst du, mir macht es Spaß, gefühlt jeden zweiten Tag durch die Galaxie zu reisen? Aber Palina ist nun mal die Gefährtin des Alphas und was sie sagt, ist Gesetz.«
Aleynas Kopf ruckte hoch, sie starrte ihn mit offenem Mund an. »Durch die Galaxie zu reisen?«
Offensichtlich besaß er ein besonderes Talent dafür, in ihrer Gegenwart mit der ganzen Tür ins Haus zu fallen. »Ähm, also ... na ja, nicht direkt durch die ganze Galaxie«, stammelte er. »Um genau zu sein, eigentlich nur zur Erde.« Er leerte seine Tasse und stellte sie beiseite. »Es ist so. Ob du es glaubst oder nicht, für mich ist das hier genauso verwirrend wie für dich.«
Sie lachte frustriert. »Ach, bei euch ist es also nicht Standard, dass irgendwer daher kommt, und eure Weltansicht aus den Fugen reißt?«, fragte sie spitz. »Weil man angeblich nicht geträumt hat?«
Wider Willen musste er lachen. »Nein.«
Sie stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab und verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Okay, ich rekapituliere. Du bist also ein Wolf, und du reist durch die Galaxie. Du behauptest, mein Vater sei ein Bär. Bin ich dann ein Halb-Bär? Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte? Vielleicht ... Was mein Vater und ich mit dieser ganzen Sache zu tun haben? Denn weißt du, er ist tot, und ich wüsste nicht, wie er dir nützlich sein sollte.«
Noyan blinzelte, er war nicht sicher, ob Aleyna ihn grade auf den Arm nehmen wollte. »Würdest du mir überhaupt zuhören, wenn ich versuchte, es zu erklären?«, fragte er leise. »Ohne bissige Kommentare?«
Es dauerte eine Weile, ehe sie antwortete, was er als gutes Zeichen wertete. »Na ja ... ich könnte es versuchen«, sagte sie schließlich, und ihm war klar, dass dieses Zugeständnis das Beste war, was er erwarten konnte.
»Okay.« Er wandte den Kopf und sah zu ihr. »Also, dein Vater gehörte zu meinem Volk. Er war ein Gestaltwandler und wie ich schon erwähnte, ein Bär.«
Aleyna blickte zwar skeptisch drein, aber sie schwieg.
»Unsere Welt nennt sich Rondaria. Schon seit Jahrhunderten springen wir zwischen ihr und der Erde durch Portale hin und her. Wir versuchen zwar grundsätzlich, unsere Andersartigkeit vor den Menschen zu verbergen, aber manchmal kommt es dennoch vor, dass sich ein Wandler mit einem Menschen