Rondaria. Alisha Mc Shaw
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Noyan
Er hob seinen Kopf und sah Aleyna unverwandt an. Etwas veränderte sich. Warum er ihre Emotionen so deutlich wahrnehmen konnte, als seien es seine eigenen, wusste er zwar immer noch nicht, aber sie begann ihm zu glauben. Gut, das war nicht viel, aber immerhin ein Anfang.
»Wie war er so, dein Vater?«, fragte er. »Ich meine, bevor ...« Ihr Blick glitt von ihm weg zum Kamin und dann weiter zu einem Bild. Darauf war ein Mann abgebildet, der den Arm um eine jüngere Version von Aleyna gelegt hatte. Beide strahlten in die Kamera.
»Bevor er krank wurde?«, vollendete sie leise seinen Satz. »Er war alles, was ich hatte und gleichzeitig auch alles, was ich brauchte. Als meine Mutter starb, war ich noch so jung, dass ich mich kaum an sie erinnere. Alles, was ich über sie weiß, weiß ich aus den Geschichten meines Vaters. Aber er war mein Lebensinhalt und bis zum Ausbruch der Krankheit der fröhlichste Mensch, den ich kenne.« Sie schien sich nur mühsam von der Fotografie losreißen zu können, als sie ihren Blick wieder auf ihn richtete.
»Weißt du, ich glaube, jedes glückliche Mädchen behauptet in seiner Kindheit, dass es seinen Vater heiraten wird, wenn es groß ist. Einfach nur, weil niemand ihm das Wasser reichen kann. Er war immer für mich da und hat mich alles gelehrt, was er für wichtig erachtete. Wenn du wirklich weißt, wie diese Krankheit sich äußert, dann weißt du auch, dass unser Leben schon lange nicht mehr besonders einfach war. Ein Mädchen sollte sich nach der Schule einen Job suchen, tanzen gehen und Jungs kennen lernen.« Ihre Miene veränderte sich. »Weißt du, wie ich diese Jahre verbracht habe?«
Sie erwartete offensichtlich keine Antwort von ihm, denn sie fuhr gleich fort. »Ich verbrachte meine Tage damit, meinem Vater dabei zuzusehen, wie er zugrunde ging! Es begann schon, als ich noch zur Schule ging. Wenn ich mittags nach Hause kam, war er oft schon stundenlang unterwegs. Meistens war er wenigstens vernünftig angezogen, aber an einigen Tagen war der Drang in ihm so stark, dass er sich nicht einmal die Mühe machte, sich anzuziehen. Ich holte ihn in Pantoffeln und Bademantel nach Hause. An ein normales Leben war gar nicht zu denken.«
Sie machte eine kurze Pause, löste aber den Blick nicht von ihm. »Ich hörte auf, meine Freunde zu treffen. Ständig war da diese Angst in mir, dass ... Wie hätte ich Spaß haben können in dem Wissen, das mein Dad vielleicht ausgerechnet jetzt in den Wald geht und sich verirrt? Meine Freunde hatten Verständnis.« Sie verzog ihr Gesicht zu einem bitteren Lächeln.
»Am Anfang jedenfalls. In der ersten Zeit war ich nie allein, irgendjemand war immer bei mir, wenn es wieder darum ging, ihn zu suchen. Aber mit der Zeit wurde es immer weniger. Wir beendeten die Schule, und meine Freunde taten, was man halt so tut auf dem Weg zum Erwachsen werden. Sie gingen arbeiten. Einige von ihnen gründeten eine Familie, gingen auf Reisen. Und ich? ... ich lief spurenlesend durch den Wald und suchte meinen Vater. Willkommen in meinem Leben.«
Oh, er verstand. Wenn sie nur wüsste, wie sehr! Einem Instinkt folgend legte er den Kopf vorsichtig auf Aleynas Schoß ab, und augenblicklich vergrub sie ihr Gesicht in seinem Fell. Offenbar hatte sie sich an seinen Duft gewöhnt. Und wieder konnte er tief im Inneren spüren, wie die Trauer von ihr Besitz ergriff und auf ihn abfärbte. »Er hat auf der Terrasse gesessen, oft stundenlang. Und dann hat er in den Himmel gestarrt«, flüsterte sie in sein Fell. »Er sah so verloren aus, und ich konnte nichts tun. Ich war ein vollkommen hilfloser Teenager und musste dabei zusehen, wie mein Vater verwelkte wie eine Blume ohne Wasser.«
Er schluckte. »Er war in sich zerrissen. Das ist es, was diese Krankheit bewirkt. Er hat gespürt, dass er die Kontrolle über sein inneres Tier verliert.« Ihr Atem brannte heiß in seinem Nacken, während er erzählte. »In Rondaria wächst man mit dem Wissen auf, das dieses Tier untrennbar mit uns verbunden ist, wir nutzen es einfach, ohne darüber nachzudenken. Das ist wie ...«, er brach ab und suchte nach dem richtigen Wort.
»Atmen?«, fragte sie leise und er nickte.
Ja, so war es wohl. »Das Tier teilt sich mit dir eine Seele. Wenn du etwas als so selbstverständlich erachtest, dann ist das Schlimmste, was dir passieren kann, dass es dir entgleitet.«
»Kanntest du meinen Vater?«
»Nein.«
»Und warum warst du dann heute Morgen auf dem Friedhof?«
Palina hatte ihren Vater gekannt, aber er hütete sich, sie zu erwähnen - jetzt, wo sich Aleynas Verhältnis zu ihm gerade ein wenig zu entspannen schien. »Seitdem die Krankheit ausgebrochen ist, überprüft der innere Zirkel die Todesumstände in unserem Volk. Meine eigentliche Aufgabe wäre es gewesen, mir die Aura deines Vaters anzusehen.«
Sie hob den Kopf an. »Innerer Zirkel?«
»Der innere Zirkel dient dem Alphatier, also unserem Herrscher, in beratender und unterstützender Funktion. Einige Gestaltwandler besitzen besondere Fähigkeiten, und der Zirkel bildet sie aus.«
Sie kniff die Augen zusammen und schnaubte. »Also bist du das Schoßhündchen von Palina?« Ihre Stimme wurde abweisend und sofort spürte er die Veränderung ihrer Ausstrahlung.
»Ich bin niemandes Schoßhund! Der Zirkel ist vollkommen unabhängig!«, knurrte er unwillig und entzog ihr seinen Kopf. »In erster Linie bin ich ein Gestaltwandler. Wenn du es als einen Fehler betrachtest, dass ich versuche, mein Volk zu retten, dann habe ich mich offenbar in dir getäuscht!« Er erhob sich abrupt und funkelte sie an. »Dein Vater ist tot und das tut mir leid. Wirklich. Aber mein Volk stirbt auch!« Sie zuckte sichtbar zusammen bei seinen Worten. »Beantworte mir nur eins, Aleyna! Wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, deinen Vater zu retten - hättest du es dann nicht versucht?«
Sie senkte betroffen den Kopf. »Natürlich hätte ich das ...«, flüsterte sie.
»Und warum bin ich dann ein Schoßhund, obwohl ich doch nichts anderes will?«, fragte er leise, schüttelte sein Fell aus und verließ das Wohnzimmer. In seinem Inneren jaulte das Tier auf, wollte ihn daran hindern, sie zu verlassen, aber es musste sein, sie musste Zeit zum Nachdenken haben.
Der Zirkel
»Aber wir haben in der Hand, was die Zukunft bringen könnte.«
Palina
Schon eine Weile stand sie am Fenster und blickte hinunter in den Hof, auf dem geschäftiges Treiben herrschte. Während Noyan sich auf die Suche nach Aleyna gemacht hatte, war sie in den Hort zurückgekehrt. Das Treffen mit dem inneren Zirkel stand bevor. Sie hätte viel lieber zuerst mit Chiron gesprochen, aber die Berichterstattung besaß oberste Priorität. So hatte sie sofort Befehl erteilt, dass der Zirkel sich im großen Ratssaal zusammenfinden sollte.
Ihrem Reich ging es schlecht. Zu viele Freunde, schlimmer noch, Familie, hatte sie sterben sehen. Schon der Blick aus dem Fenster offenbarte bei genauerem Hinsehen das Ausmaß der Krankheit. Wo früher Auren in den verschiedensten Rottönen zu sehen gewesen waren, mischten sich immer mehr Grautöne unter. Diese fahle Aura bildete das erste erkennbare Anzeichen dafür, dass der Betroffene krank war. Bis heute Morgen hatten sie alle der Tatsache, nichts tun zu können, vollkommen hilflos gegenübergestanden.
Doch jetzt regte sich leise Hoffnung in