Uppers End. Birgit Henriette Lutherer
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„Lass du mir Hannah in Ruhe!“ Entrüstet trat Linda Martha gegenüber. Sie war kampfbereit – aufs äußerste gefasst. Nach ihrem Leben auf der Erde wollte Linda sich jetzt hier, am Ort der Zeit ohne Zeit, nicht mehr Marthas Gemeinheiten gefallen lassen.
Martha stemmte die Arme in ihre Seiten. Sie schnaubte vor Wut. „Linda, du kleiner mieser Bastard! Was bildest du dir ein?! Schau mal da vorne, der Kleine da. Er wäre dein Sohn gewesen, aber er wollte nicht! Und ich glaube, aus gutem Grund! Gerade noch rechtzeitig hat er es sich anders überlegt und ist zu uns in die Zeit ohne Zeit zurückgekehrt. Hier geht es ihm gut. Bei dir …,
naja, das kann man sich ja denken …!“
Linda war empört. „Martha, pass ja auf, was du sagst und lass Max aus dem Spiel! Hier gelten andere Regeln. Du solltest lieber anfangen kleinere Brötchen zu backen. Ich werde dafür sorgen, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Verlass dich drauf!“ Linda musste an sich halten. Um ein Haar hätte sie Martha selber vom Rand des Ortes der Zeit ohne Zeit hinab ins Nichts gestoßen, doch sie überlegte es sich in letzter Sekunde anders. Linda wollte erst Klarheit schaffen. Klarheit über das, was auf der Erde tatsächlich passiert war. Dazu brauchte sie die Beteiligten – und natürlich Upper als obersten Richter. Er sollte sich alles noch einmal in Anwesenheit aller Personen anhören und dann entscheiden, ob jemand ausgelöscht werden sollte. Linda war gespannt. Aber erst mal war sie fürchterlich wütend.
„Was soll das“, empörte sich Linda bei Upper. „Soll das hier so weiter gehen? Darf Martha mich beleidigen?“
„Linda, ich beleidige dich überhaupt nicht. Ich sage nur, wie es ist“, konterte Martha mit süffisantem Lächeln.
„Hörst du immer noch nicht auf, du alte Hexe?! Und du da Heinrich, du mieses Schwein – Pass bloß auf!“
„Aber, aber, Kinder, bitte beruhigt euch!“ Upper mischte sich jetzt schlichtend ein. Er konnte nicht mehr mitanhören, wie Martha und Linda sich beschimpften. Auch die anderen Familienmitglieder aus Lindas Sippe, die anwesend waren, redeten mittlerweile wild durcheinander. Erhard lag im Disput mit seinem Vater Heinrich, Hannah beschwerte sich bei den beiden wegen irgendwelcher falschen Versprechungen, dann versuchte Heinrich sich zu rechtfertigten, wurde aber jäh von Martha unterbrochen und beschimpft- kurz, es war ein chaotisches Stimmengewirr. Alle waren so mit sich beschäftigt, dass sie Uppers Bitte nicht wahrnahmen. Upper erhob seine Stimme. „Ruuuhe!!! Zum Donnerwetter noch mal!“ Dröhnend rauschte Uppers Stimme mitten durch die Anwesenden. Der Boden unter ihren Füßen erbebte bei dieser Stimmgewalt. „Jetzt beruhigt euch endlich! Ich versteh ja mein eigenes Wort nicht mehr und ihr wisst: Das Wort ist bei mir! Von Anfang an! Also Ruhe jetzt! Bedenkt -“, Uppers Stimme wurde milde, „Linda ist gerade erst zurückgekehrt. Sie ist noch voller Quod. Ich hatte ihr, so glaube ich, etwas viel davon mitgegeben und Hannah hat es auch gut mit ihr gemeint. Oder hattest du, Fridolin, etwa auch noch nachgeholfen?“ Upper sah Fridolin forschend an. „Nun ja, Upper“, lenkte Fridolin vorsichtig ein, „es könnte sein, dass mir da ein Fläschchen von dem Zeug aus der Hand geglitten ist, als es brenzlig wurde, weißt du, Ähem.“ Fridolin nestelte verlegen an seiner dunklen Kutte herum. Er vermied, Upper in die Augen zu schauen.
„Soso“, schmunzelte Upper insgeheim. Er versuchte seine sichtliche Freude darüber zu verbergen. Schließlich war Linda eines seiner Lieblings-Seins und gut wieder zu ihm zurückgekehrt. Nur Tomasin, der alte Zausel, begann zu mäkeln: „Das war unfair! Sie ist mit einem Vorteil auf die Reise gegangen. So war das nicht abgemacht!“
„Abgemacht? Was war abgemacht?“ Linda wurde hellhörig.
„Nichts Linda. Tomasin meint manchmal, er könne meinen Job übernehmen. Da irrt er sich! Nicht wahr, Tomasin?!“
„Ja! Ist ja gut, Upper! Man kann´s ja mal probieren.“ Tomasin winkte ab.
„Also, Fridolin, du hast Linda Quod gegeben.“
„Ja, Upper, ganz aus Versehen.“
„Das soll ich dir also glauben?“
„Ich denke schon. Du weißt doch wie verlässlich ich bin.“ Mit einem fast betörenden Augenaufschlag zwinkerte er Upper zu. Beinahe hätte Linda bei dem Anblick laut losgeprustet. Sie wusste, wie überzeugend und charmant ihr Freund Fridolin sein konnte. Das hatte sie so manches Mal miterleben dürfen. Aber dass er es auch bei Upper, dem Überwesen versuchte, das erstaunte Linda dann doch.
„Lass gut sein, alter Freund. Ist schon okay. Schließlich habe ich dir persönlich ein paar Fläschchen Quod abgefüllt, die du nach deinem Ermessen, bei Bedarf verabreichen darfst.“
„Ach so?! Hört, hört! Das sind ja ganz neue Sitten. Ihr trefft geheime Absprachen?“ Tomasin zeigte sich sichtlich pikiert.
„Sei du mal ruhig, Tomasin. Ich glaube, du bist noch nie zu kurz gekommen. Schließlich hast du von mir die Aufgabe bekommen, jedem Reisenden einen Schatten mit drei Anteilen zu geben.“
„Ist ja gut. Ich will nur keine Heimlichkeiten, so hinter meinem Rücken.“
„Du hättest mich einfach fragen können, Tomasin“, warf Fridolin ein.
„ICH habe keine Geheimnisse!“
„Damit du dich nicht noch mehr übergangen fühlst, Tomasin: Kanep hatte auch ein Extra-Fläschchen Quod für Linda dabei“, fügte Upper hinzu.
„Wieso das denn, Upper?“
„Ganz einfach, weil sie mich darum gebeten hat.“
„Wann hat sie das denn gemacht? Ich meine, woher wusste sie…, wie konnte sie…?“
„Nachdem mir zu Ohren kam“, sagte Fridolin, „dass du Linda davon überzeugt hattest, ihren Schatten zurückzulassen, was ich übrigens richtig fies von dir fand, Tomasin. Ich hatte Mitleid mit Linda. Ich kannte ja ihre Aufgabe, also musste ich handeln. Ich erzählte Linda, was es für Folgen haben würde, wenn sie ohne Schatten leben würde. Sie schaffte es gerade noch bei Upper ihren Schatten nachzubestellen bevor sie bei ihrer Ankunft auf der Welt alles vergessen würde. Wenige Augenblicke nach ihrer Bestellung ging Linda auch schon durch den Kanal des Vergessens und erblickte das Licht der Welt.“
„Wieso ausgerechnet Kanep?“, entfuhr es Tomasin. „Er hatte doch schon genug gemeinsame Leben mit Linda erfahren.“
„Eben, genau deshalb“, gab Upper zur Antwort. „Kanep kennt sich aus. Ich wusste, er würde Linda auf jeden Fall rechtzeitig treffen.“
„Rechtzeitig? Was heißt rechtzeitig?“
„Tomasin, das solltest du wissen!“ sagte Upper. „Rechtzeitig natürlich, bevor Lindas Vorrat an Quod aufgebraucht wäre, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Ich wusste, sie hatte schon überaus viel Quod verzehren müssen. Für den Rest der Zeit hätte es nicht mehr gelangt. Linda hätte abbrechen müssen!“ Upper blickte Tomasin vielsagend und tiefgründig in die Augen.
„Das hatte ich damals auch nicht ganz verstanden, Tomasin“, sagte Fridolin. „Ich hatte ihn doch gerade erst nach Hause begleitet. Wieso also sollte es Kanep sein? Kanep war gerade erst von seiner Forschungsreise aus dem großen Krieg, der auf der Erde getobt hatte, heimgekehrt. Er sollte seine wohlverdiente Ruhepause genießen. Wieso also Kanep?“
„Ganz einfach“, schmunzelte Upper. „Die beiden sind schon seit Anbeginn der Zeit ohne Zeit ein Paar. Sie lieben sich. Die reinste,