Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon

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Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon

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desto unsicherer wurde sie. In ihrem Kopf dachte und dachte es. Ihr Gehirn fühlte sich wie ein Fremdkörper an, auf den sie keinen Zugriff mehr hatte. Die wenigen klaren Gedanken, die sie festhalten konnte, zerplatzten nach kurzer Zeit wie Seifenblasen. Sie fühlte sich, als hätte sie die Orientierung in ihrem eigenen Leben verloren. Ihr Körper war schwer, als würde er durch einen riesigen Magneten nach unten gezogen. Hinab in die Tiefe, in die Dunkelheit, irgendwohin. Es war eine kalte, unbarmherzige Mischung aus Ungewissheit und Angst. Je länger dieser Zustand andauerte, desto furchtbarer fühlte sie sich. Was, wenn das ihr letzter Sommer wäre? Dr. Umlauf hatte sie so merkwürdig angesehen. Hatte sie am Ende vielleicht Krebs? Oder war sie inzwischen überängstlich und bildete sich das alles nur ein?

      Ihr war so übel, dass sie sich zusammenreißen musste, um sich nicht augenblicklich zu übergeben. Sie blieb stehen und hielt sich an dem weiß gestrichenen Gartenzaun des Nachbarhauses fest. Irgendwo bellte ein Hund. Sie atmete tief durch. Passanten gingen an ihr vorbei und sahen sie neugierig an, musterten sie von Kopf bis Fuß. Niemand sagte etwas. Manche von ihnen drehten sich noch einmal um. Tilda musste all ihre Kräfte zusammen nehmen, um nicht ohnmächtig zu werden. Sie rang um ihre Fassung. Vor dem Zaun des Nachbarhauses mit der sonnengelben Fassade stand eine Bank aus Holz. Tilda ging langsam und konzentriert darauf zu. Zögernd setzte sie sich. Sie wollte unbedingt vermeiden, einen hilflosen Eindruck zu machen.

      Einen Moment lang schloss sie die Augen. Die warme Frühlingssonne wärmte ihr Gesicht. Hinter ihren geschlossenen Lidern wurde es hell, als sie ihr Gesicht der Sonne entgegen streckte. Was wäre wenn? Was wäre, wenn sie richtig schlimm krank wäre? Was wäre, wenn ihre Krankheit vielleicht unheilbar wäre? Wenn sie daran sterben würde? Jetzt? Bald? Schreckliche Gedanken rasten nur so an ihr vorbei. Tilda nahm einige tiefe Atemzüge und versuchte mit aller Kraft, diese schlimmen Gedanken aus ihrem Gehirn zu verbannen. Verzweifelt bemühte sie sich, positiv zu denken. Vielleicht war ja doch alles gar nicht so schlimm? Vielleicht war alles vollkommen harmlos? Blinder Alarm sozusagen? Vielleicht würde sich ihre Krankheit auch einfach im Nichts verlieren? Dann wären alle ihre Sorgen umsonst gewesen. Vermutlich würde sie sich dann darüber ärgern, sich so aufgeregt zu haben. Sie fragte sich, was sie jetzt tun sollte. Gab es überhaupt etwas, das sie in ihrem Zustand tun konnte? Tilda versuchte, ihre flatternden Gedanken zusammen zu sammeln wie ein Schäfer seine verstreute Herde auf einer großen Wiese. Es war sehr beschwerlich für sie.

      Sie hatte das Gefühl, als habe ein riesiger Krake, der seine Fangarme um ihren Körper und ihren Kopf geschlungen hatte, ihr die Luft zum Atmen genommen. Je länger sie allein auf der Bank saß, desto schlimmer wurde das beängstigende Gefühl. Tilda begann zu frösteln. Ihre Zähne schlugen unkontrolliert aufeinander. Sie bemühte sich, das Geräusch zu unterdrücken, aber das war schwer. Die Angst hockte trotzig auf ihrer Brust. Tilda gab sich alle Mühe, gleichmäßiger zu atmen und sich nur noch darauf zu konzentrieren. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Es war eine sehr lange halbe Stunde, bis sie sich zutraute, sich endlich auf den Weg nach Hause zu machen.

      Während sie auf dem Heimweg war, überlegte sie, ob sie das Rezept von Dr. Umlauf überhaupt in der Apotheke einlösen sollte. Es wäre ein Medikament gegen Übelkeit, das er ihr verschrieben hatte. Wahrscheinlich würde sie es wenig später, spätestens nach dem Lesen des Beipackzettels, im Badezimmerschrank verschwinden lassen. Sie kannte sich. Sie wollte keine Pillen. Sie wollte eine Diagnose. Solange ihr niemand genau sagen konnte, warum ihr ständig übel war und woher das Druckgefühl in ihrem Bauch kam, wollte sie auf keinen Fall irgendetwas einnehmen. Tilda war sich sicher, dass es eine Ursache für ihre Probleme gab. Es gab für alles eine Ursache, die man finden konnte, wenn man nur ausdauernd danach suchte. Sie seufzte. Wenn es ihr besser gegangen wäre, hätte sie keine einzige Sekunde lang auch nur in Erwägung gezogen, jetzt in die Apotheke zu gehen. Doch ihre Angst war inzwischen gewachsen. Instinktiv spürte sie, dass sie jetzt Kompromisse mit sich selbst machen musste.

      Also betrat sie kurzentschlossen die nächste Apotheke. Die Apothekerin war eine reserviert wirkende Dame in mittleren Jahren. Sie hatte ihr dunkles Haar kunstvoll zu einem Dutt aufgedreht, der elegant mit einer kupferfarbenen Haarspange festgesteckt war. Ihre Haut war bleich und ihre grauen Augen musterten Tilda kurz, nachdem sie das Rezept gelesen hatte. Wortlos verschwand sie mit dem Stück Papier nach hinten. Tilda blickte um sich. Die große Uhr an der Wand ihr gegenüber tickte leise. Ansonsten war es vollkommen still im Raum. Sie war die einzige Kundin. Ihr Blick glitt über die Auslagen. Der gesamte Verkaufsraum war vollgestopft mit Regalen, Schränken, Ständern, Postern und Werbeaufstellern. Alles war bunt und fröhlich. Fast schon hatte sie das Gefühl, inmitten eines normalen Supermarktes zu stehen.

      Ihr Blick fiel auf ihr eigenes Abbild in dem riesigen Spiegel an der gegenüberliegenden Wand zwischen den beiden großen Fenstern, durch die man die Passanten draußen vorbeieilen sehen konnte. Ein Dreiklang-Gong ertönte. Zwei ältere Damen betraten miteinander tuschelnd die Apotheke. Tildas Blick verfing sich wieder im Spiegel.

      Sie musterte sich. Auf den ersten Blick schien es, als wäre das ihr vertrautes Spiegelbild. Eine junge Frau, schlank, mit blondem Haar, blauen Augen und einer sportlichen Kurzhaarfrisur in dunkelblauer Wetterjacke und hellen Jeans. Tildas Haar war links gescheitelt und ein nach rechts gekämmter Pony gab ihr ein mädchenhaftes Aussehen. Die Sonnenstrahlen, die durch die großen Fenster hereinfielen, ließen es goldfarbenen schimmern. Einige Haarsträhnen hatte der Frühlingswind zerzaust. Mit einem verstohlenen Blick auf die beiden alten Damen strich sie mit der Hand unauffällig darüber. Tilda sah sich im Spiegel an, als sähe sie sich zum ersten Mal. Ihre sonst so klaren Augen schauten ihr ungewohnt trüb und tiefliegend entgegen. Darunter zeichneten sich dunkle Ränder ab. Ihre Lidränder wirkten gerötet. Ihre Haut war fahl. Die Helligkeit im Raum unterstrich diesen Eindruck nur noch mehr. Tilda empfand ihre Nase als noch spitzer und noch vorstehender, als gewöhnlich. Sie machte ein bisschen den Eindruck, als wäre sie aus Holz geschnitzt und gehörte gar nicht zu ihrem Gesicht. Ihre sonst vollen Lippen wirkten schmaler als sonst und sehr blass. Sie schienen blutleer und standen kaum noch in einen Kontrast zu ihrer Haut. Die dunkelblaue, winddichte Jacke, die Tilda eigentlich gern mochte, machte im Spiegel den Eindruck, als wäre sie mit ihrem kräftigen Farbton viel zu schwer und viel zu groß für ihren zerbrechlichen Körper. In diesem Moment wirkte sie so massiv an ihr wie eine Rüstung. Tildas Augen wanderten abwärts über die hellen Bluejeans zu ihren in grau-weißen Turnschuhen steckenden Füßen. Sie hatte den Eindruck, als wäre sie insgesamt kleiner geworden, als stünde sie auf eine merkwürdig fremde Art gebeugt. Es war ihr, als trüge sie auf dem Rücken eine unsichtbare Last. Hager sah sie aus, ausgemergelt und übernächtigt. Sie richtete sich unwillkürlich ein wenig auf, bemühte sich, ganz gerade zu stehen. Ihr Spiegelbild veränderte sich dadurch kaum. Sie sah an ihren Oberschenkeln herab, die sichtlich dünner unter ihrer Jacke hervorschauten, als früher. Ihr Blick streifte noch einmal ihre blassen, eingefallenen Wangen. Das blühende Leben sah wahrlich anders aus. Noch fühlte sie sich nicht krankhaft abgemagert. Aber was würde auf sie zukommen, wenn das so weiter ginge? Dieser Gedanke ließ sie nicht los.

      In diesem Moment erschien die Apothekerin in dem Durchgang hinter dem Verkaufstresen zurück, der sich in der Wand voller Regale und Schubladen aus dunklem Holz befand. Die Regalreihen über dem Durchgang waren mit alten, dekorativen Salbentöpfen und mit antik anmutenden Aufbewahrungsbehältern aus Porzellan und Glas vollgestopft. Sie trugen verschnörkelte Aufschriften. Links und rechts über der Tür thronten zwei fast identische Mörser aus kupferfarbenem Metall, in denen jeweils ein Pistill steckte wie ein stummer Wachsoldat.

      Die Apothekerin notierte schweigend etwas auf dem Rezept und schob Tilda die Packung mit den Tabletten über den gläsernen Ladentisch. „Kennen sie sich damit aus? Dreimal eine Tablette, nicht mehr als maximal fünf am Tag.“, sagte sie eindringlich und ein wenig lispelnd. Tilda nickte stumm, griff nach der Schachtel, zahlte und verabschiedete sich. Die beiden älteren Damen, von denen eine ein fliederfarbenes Filzhütchen keck auf dem weiß gelockten Haar trug, schwatzten derweil munter weiter miteinander und ließen sich gar nicht stören.

      Draußen auf der Straße erfasste Tilda eine Art von Erleichterung. Der

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