Empörung, Revolte, Emotion. Группа авторов
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Im Deutschen sind solche Konstruktionen aber auch in der mündlichen Kommunikation üblich, unter anderem, wenn es darum geht, jemanden vor einer akuten Gefahr zu warnen: Der Ausruf „Nicht essen!“ kann z.B. erfolgen, „wenn man an der Unterseite des Löffels beim Nachbarn am Tisch eine Wespe bemerkt“ (Albertsen 1970: 116). Der Auslöser der Aufforderung ist hier eindeutig die Angst vor dem lebensgefährlichen Stich im Mund oder Rachen. Im Gegensatz zum emotionslosen „Vorschriften-Infinitiv“, steht der „Alarm-Infinitiv“ ziemlich hoch auf der Emotionsskala. Bemerkenswerterweise ist diese Aufforderungsvariante im Französischen zwar im Schriftlichen bei Vorschriften auch üblich, aber nicht im Mündlichen und nicht bei konkreten, mehr oder weniger „akuten“ Situationen. So wäre z.B. die von den selbsternannten „Querdenkern“ geäußerte Forderung „Corona-Diktatur stoppen“ ins Französische nicht mit einer Infinitivform übersetzbar. Mögliche Äquivalente wären etwa: Stop / Non à la dictature du Coronavirus1.
Verblose Aufforderungen
Obwohl sie eine Handlung intendieren, brauchen Aufforderungen nicht unbedingt ein Verb, um als solche gedeutet zu werden. Sie können z.B. auf eine Nominalgruppe reduziert werden (mit oder ohne das Wort „bitte“ als Höflichkeitsmarker und Zeichen der Aufforderungsintention): „Einbau von Luftfiltern!“, „Flexible Prüfungsmodalitäten!“, „Pauschalverlängerung bei Prüfungsfristen!“ lauten z.B. Forderungen der Studierendenschaft der Universität Heidelberg vor dem Hintergrund der Corona-Krise.1 Diese kurz gefassten Aufforderungen reflektieren die große Unzufriedenheit der Studierenden in Anbetracht ihrer prekären Lage und sind ein dringender Appell an die Universitätsleitung – die sich vielleicht einen milderen Ton gewünscht hätte. Reduzierte Aufforderungen dieser Art können, je nachdem ob sie ritualisiert sind oder nicht, „als adäquat und nicht unhöflich angesehen werden (z.B. ‚Salat!‘ bei der Essensausgabe in der Mensa) – während dieselbe Konstruktion in einer weniger schematisierten Situation als unhöflich gelten würde“ (Graf/Schweizer 2003: 435). Der Umgang mit solchen Konstruktionen erfordert also ein gewisses Sprachgefühl und sollte von Nichtmuttersprachlern entsprechend geübt werden.
Bei verblosen Aufforderungen ist auch das Muster „Verbpartikel + Präpositionalgruppe“ besonders gut vertreten: „Ab ins Bett!“, „Raus aus dem Alltag!“, „Her mit dem Geld!“. Das Muster „Nominalgruppe + Verbpartikel“ scheint auch ziemlich produktiv zu sein: „Geld her!, Ausländer raus!“, „Bauch weg!“ (Bertrand 2019: 42). Diese knappen Wendungen sind für erfahrene Sprachbenutzerinnen und -benutzer leicht verständlich, da die Verbpartikeln einen wichtigen Hinweis auf die intendierte Handlung geben, sie lassen sich leicht einprägen und sind in vielen Kontexten aufzufinden, unter anderem in der Werbesprache: „Alltag raus, Österreich rein!“2. Die Dynamik und die Knappheit der Formulierung lassen keinen Platz für Zweifel, der zur Schau gestellte Enthusiasmus soll geradezu ansteckend wirken. Ob diese etwas reißerische Art, das Publikum anzuwerben, immer von Erfolg gekrönt ist, sei allerdings dahingestellt.
Im Rahmen des DaF-Unterrichts können diese reduzierten Formen allerdings Schwierigkeiten bereiten, insbesondere bei der Produktion, da sie eine sichere Kenntnis von trennbaren Verben und Verbpartikeln voraussetzen. Im frankophonen Kontext stellt sich außerdem die Frage der französischen Äquivalente für solche Sätze. Da das Französische im Unterschied zum Deutschen keine trennbaren Verbpartikeln besitzt, und erst recht keine, die auch ohne Verb auftreten könnten, gibt es für diese Wendungen keine direkte Entsprechung. Bei der Übersetzung ins Französische muss also eine Lösung von Fall zu Fall gefunden werden: „Hände weg!“/„Bas les pattes!“; „Her mit dem Geld!“/„Par ici la monnaie“, „Ab ins Bett“/„Au lit!“ (cf. Bertrand 2019: 51). Bei der Übersetzung ins Deutsche treten andere Schwierigkeiten auf: Mit dem Ausruf „La porte!“ kann nämlich sowohl „Tür auf!“ als auch „Tür zu!“ gemeint sein. Hier muss der Kontext herangezogen werden, um die Bedeutung zu klären. Fest steht, dass mit dem Gebrauch dieser Wendung eine gewisse Gereiztheit mitschwingt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die verblosen Aufforderungsvarianten in ihrer Knappheit besonders gut geeignet sind, um starke Emotionen auszudrücken, die aus dem Sprechenden herauszubrechen scheinen. Ob dieser Emotionsausbruch spontan oder intentional geschieht, ist nicht immer leicht zu erkennen. Dabei können sich sowohl positive Emotionen wie Enthusiasmus, Begeisterung, Tatendrang als auch negative Emotionen wie Gereiztheit, Ärger, Wut manifestieren und die Intensität des direktiven Sprechakts verstärken.
4 Überlegungen zu einer Didaktik der Aufforderung
Wie wir aus pragmatischer Perspektive gesehen haben, sind Aufforderungen mehr als nur Imperativsätze und haben zahlreiche Realisierungsmöglichkeiten, wobei die Wahl der Formulierung zum Teil auf den emotionalen Zustand der Kommunikationsbeteiligten zurückzuführen ist. In ihrer Formvielfalt sind sie in der alltäglichen Kommunikation allgegenwärtig und in vielen Textsorten vertreten. Wie können die Lernenden das erkennen? Welche authentischen Materialien sind zu Unterrichtszwecken relevant? Wie kann dieser wichtige Sprechakt im Rahmen eines aufgabenorientierten Unterrichts behandelt werden?
Das Grammatikthema „Aufforderung“ wird im folgenden Unterrichtsvorschlag im kommunikativen Zusammenhang erarbeitet und gemäß einem realitätsbezogenen, handlungsorientierten Unterricht anhand authentischer Materialien in den Blick genommen. Im Sinne eines aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts sollen neben der Inhaltsdimension die Bedeutung und Funktion der Sprache im Zentrum stehen und die Lernenden als Sprachanwender und potenzielle Diskursteilnehmer gesehen werden. Aufgrund ihres Weltwissens, ihrer bisherigen Sprach- und Lebenserfahrungen verfügen viele Lerner über die Fähigkeit, hintergründige Sprech- und Redeabsichten zu entschlüsseln, und diese Fähigkeit sollte in einem modernen, auf Kommunikation angelegten Fremdsprachenunterricht genutzt und weiterentwickelt werden: Denn Kompetenz in einer (Fremd-)Sprache heißt nicht nur, das Gesagte zu verstehen, sondern auch, das Gemeinte zu erkennen und darauf entsprechend zu reagieren (cf. Nieweler 2006: 167–168). Dabei gilt zu bedenken, dass nicht nur Kalkül, sondern auch (nicht rationale, weniger bewusste, spontane usw.) Emotionen in der Kommunikation eine entscheidende Rolle spielen. Schließlich ist für Emotionen ihr „gefühlter“ Kern charakteristisch – Emotionen spürt man, sie sind keine reinen Gedankeninhalte, es braucht affektives Erleben (cf. Frenzel/Stephens 2017: 20). Hierfür sollten die Lernenden sensibilisiert werden, etwa, indem sie ihre eigenen emotionalen Reaktionen auf bestimmte Äußerungen formulieren (siehe hierzu auch Punkt (2) im Unterrichtsvorschlag).1
Die Tatsache, dass es keine Eins-zu-eins-Zuordnung von Sprechabsichten zu korrespondierenden Redemitteln gibt, stellt eine potenzielle Schwierigkeit dar, sodass im Unterricht thematisiert werden sollte, dass ein Sprechakt wie die Aufforderung mit mehreren Redemitteln (in unterschiedlicher grammatikalischer Form, z.B. als Aussage, Frage, Imperativ, Infinitiv) wiedergegeben werden kann. Die Lernenden werden so dafür sensibilisiert, dass die Wahl der Redemittel von den Begleitumständen der Äußerung (Kommunikationssituation, sprechende Person, Ort, Zeit, Medium) abhängig ist.2 Mit Blick auf die Lernermotivation sind dabei von Anfang an Zweck und kommunikativer Nutzen der grammatischen Strukturen transparent zu machen – schließlich sollen diese nicht um ihrer selbst willen erlernt werden, sondern einem besseren Verständnis von Diskursen in der Fremdsprache und der Befähigung zu eigenen intentionalen Sprechhandlungen dienen.
Spracharbeit im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht
In der Fremdsprachendidaktik herrscht heute fachübergreifend Konsens, dass im Zeitalter der Kompetenzorientierung grammatikintegrierende