Empörung, Revolte, Emotion. Группа авторов
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Soziale Normen, die den sprachlichen Ausdruck von Emotionen steuern, werden von Searle zu den nicht institutionellen Tatsachen gerechnet. Kemmerling (2001) weist allerdings nach, dass illokutionäre Sprechakte auch dann erfolgreich vollzogen werden, wenn ein unbeabsichtigtes Sprecherverhalten kraft sozialer Regeln als entsprechender Sprechakt gilt. Diese Fälle deuten darauf hin, dass es soziale Konventionen gibt, die für die vollzogene Illokution verbindlicher als eine soziale Regelmäßigkeit sind, wenn sie selbst beim Fehlen der erforderlichen Intention die den Umständen entsprechende illokutionäre Bedeutung von Äußerungen in Kraft setzen. Für den Vollzug von Expressiva bedeutet dies, dass sie nicht nur Höflichkeitsregeln involvieren, sondern sich auf Umgangsformen berufen, die die soziale Identität der Sprecher stiften. Der Sprecher gibt durch ihren Vollzug seine soziale Zugehörigkeit, etwa seine Gewohnheiten bzw. sozialen Rituale, zu erkennen. Sprechakte wie (5) oder (6) sind kontradiktorisch, weil Sich-Bedanken Anerkennung und Tschüß-Sagen Verabschiedung bedeutet, beide könnten nur dann vorkommen, wenn die sozialen Rituale außer Kraft gesetzt worden wären, z.B. „if the social ritual had been effectively disengaged from the spontaneous expressing“ (Alston 2000: 113).
(5) | I don’t feel my appreciation for the gift, but thank’s a lot (Alston 2000: 112). |
(6) | Tschüß. Das war keine Verabschiedung, im Gegenteil (Finkbeiner 2019a: 355). |
Searle gibt zu, dass eine Emotion ausdrücken und eine emotionale Einstellung haben zwei verschiedene Sachverhalte sind, und auch der Gedanke, dass für den Vollzug expressiver Sprechakte die soziale Norm, was „gut“ und was „schlecht“ ist, eine Rolle spielt, wird von ihm ausdrücklich erwogen (cf. Searle 1976: 8). Er subsumiert aber diesbezügliche Bewertungen unter die gesamten psychischen Einstellungen und schreibt ihnen keine besondere Rolle in seiner Sprechaktklassifikation zu. Sander (2003) hebt dagegen hervor, dass der Vollzug von Expressiva jeweils ein konventionell geregeltes Urteil darüber enthält, was sozial angemessen ist und was nicht. Expressiva sollen sich dadurch auszeichnen, dass die mit ihnen ausgedrückten Emotionen stets durch evaluative Urteile des Sprechers begleitet sind (Sander 2003: 25). Es ist gerade die Bewertung von emotionalen Zuständen, die im Hinblick auf ihre soziale Angemessenheit dazu führen kann, dass bestimmte Emotionen vom Sprecher gefordert werden, „was im Falle bloßer ‘feelings’ aufgrund ihres Widerfahrnischarakters offensichtlich sinnlos wäre“ (Sander 2003: 21). Aus diesem Grund hält Sander die kollektiv geteilte evaluative und nicht die individuell-affektive Komponente einer Einstellung für ausschlaggebend bei expressiven Sprechakten. Die letztere bildet lediglich eine phänomenale Begleiterscheinung und spielt keine wesentliche Rolle beim Ausdruck der jeweiligen Einstellung.
4 Konventionalisierte Emotionen: Der Fall der Dankbarkeit
Dankbarkeit als Teil sozialer Relationen ist weitgehend eine kulturell geformte Emotion (cf. z.B. Sommers 1984). Sie wird in vielen Alltagssituationen zur sozialen Pflicht, z.B. beim Empfang von Geschenken, bei einer Einladung oder als Reaktion auf Komplimente. Undankbarkeit wird in solchen Situationen als Charakter- bzw. Erziehungsmangel sozial stigmatisiert (cf. Alston 200: 112). Interkulturelle Studien zeigen allerdings, dass die Dankbarkeit in informellen Gesprächssituationen viel häufiger implizit oder schweigend als verbal ausgedrückt wird.
For speakers of Lao (Southeast Asia) or Siwu (western Africa), saying ‘thank you’ is so rare that it may be perceived as bizarre or out of place, whereas English speakers in foreign contexts sometimes find it rude when gratitude is left unspoken. Languages like Cha’palaa (South America) have no conventional way to say ‘thank you’ at all, and while some speakers know the Spanish word ‘gracias’, they are unable to translate it. (Floyd et. al. 2018: 8)
Die Dankbarkeit als emotionale Einstellung zum Adressaten wird explizit im Sprechakt des Dankens ausgedrückt. Searle bringt dies in seinem Kommentar zu diesem Sprechakttyp folgendermaßen auf den Punkt: „Danken bedeutet nur, Dankbarkeit auszudrücken“ (Searle 1973: 103). Der illokutionäre Zweck dieses Sprechakts und somit seine wesentliche Regel wird von ihm vorher als „Ausdruck der Dankbarkeit oder Anerkennung“ (Searle 1973: 102) beschrieben. Searle bemerkt außerdem, dass sich die Aufrichtigkeitsregel beim Danken weitgehend mit der wesentlichen Regel deckt: Aufrichtiges Danken kommt dann zustande, wenn der Sprecher gegenüber seinem Adressaten Dankbarkeit empfindet.
Aus der wesentlichen (konstitutiven) Regel des Dankens, dass Danken als Ausdruck der Dankbarkeit oder Anerkennung gilt, ergibt sich die Einleitungsregel hierfür: „Wenn ich jemandem danke, impliziert das für mich, daß das, wofür ich mich bedanke, mir geholfen hat.“ (Searle 1973: 108). Die Dankbarkeit kann man außerdem nur für etwas Vergangenes empfinden1 (Regel des propositionalen Gehalts) und nur für etwas, was einem vorteilhaft bzw. nützlich ist und als solches erscheint (Einleitungsregel).
Betreffs der Regel des propositionalen Gehalts hat sich in der sprechakttheoretischen Forschung bereits die Meinung durchgesetzt, dass der Sachverhalt, auf den man mit einer Danksagung Bezug nimmt, stets als gegeben vorausgesetzt und nicht erst mit dem Sprechakt behauptet wird (cf. Brandt et al. 1992: 55, Hanks 2018: 140, Finkbeiner 2019: 143–145). Selbst wenn in eine expressive Äußerung eine Proposition wie in (7) eingebettet ist, benennt sie nicht den Inhalt des Akts des Dankens, sondern den Anlass, zu dem die expressive Illokution vollzogen wird. Beim Fehlen des expliziten Nennens dieser Angabe in (8) und (9) wird die Sprechhandlung einer Danksagung nicht weniger korrekt als in (7) vollzogen, denn die Illokution wird allein durch das Verb danken bezeichnet.
(7) | He thanked her for opening the door (Hanks 2018: 140). |
(8) | Oh, vielen Dank! |
(9) | Vielen, vielen Dank! |
Sander (2003: 10) unterstreicht die Subjektivität der entsprechenden Überzeugung eines Sprechers, der kaum über die objektive Vorteilhaftigkeit des Dankanlasses urteilen kann. Z.B. ist die Danksagung für ein geschenktes Motorrad auch dann berechtigt und geglückt, wenn der Sprecher „am nächsten Tag in einen Unfall verwickelt wird, der ihn für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl fesselt“ und „die Handlung des Schenkens von außen und retrospektiv“ (ebd.) kaum als Vorteil angesehen wird. Aus diesem Grund formuliert Sander die Searle’sche Einleitungsregel wie folgt um: Ein Sprecher ist der Überzeugung, dass eine Handlung des Hörers für ihn von Vorteil war (ebd.). Im Hinblick aber auf z.B. das misstrauische Danken scheint mir die subjektive Überzeugung des Sprechers als Einleitungsbedingung nicht auszureichen, sondern vielmehr die Searle’sche Formulierung „A benefits S and S believes A benefits S“ (Searle 1969: 67) zu gelten, die auch die Perspektive „von außen“ mit berücksichtigt, darunter etwa die Überzeugung des Hörers, dass er eine dem Sprecher vorteilhafte Handlung ausgeführt hat.
Sander weist allerdings zurecht auf eine weitgehende Redundanz in der Searle’schen Definition des Akts des Dankens hin, insofern die in der wesentlichen Regel geforderte Dankbarkeit des Sprechers nicht nur bereits in der Aufrichtigkeitsregel gefordert wird, sondern sich begrifflich auch mit der Einleitungsbedingung weitgehend überlappt: „Gehört es nicht zu einem […] Begriff der Dankbarkeit, daß der Dankbare die ausgeführte Handlung als vorteilhaft betrachtet?“2 (Sander 2003: 11). Wie bereits in Abschnitt 3. bemerkt, spricht sich der Autor dafür aus, dass die