Empörung, Revolte, Emotion. Группа авторов
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Auch in der mündlichen Kommunikation sind Aufforderungen allgegenwärtig, ob wir sie bewusst zur Kenntnis nehmen oder nicht, und zwar aus dem einfachen Grund, dass es in fast jeder zwischenmenschlichen Situation einen Anlass gibt, sein Gegenüber verbal dazu bringen zu wollen, etwas zu tun oder zu lassen.
Ziel des Beitrags
Dass wir es in unserer von Normen und Vorschriften durchdrungenen Gesellschaft gewohnt sind, mit den verschiedensten mehr oder weniger ritualisierten Aufforderungen relativ emotionslos umzugehen, bedeutet noch lange nicht, dass Emotionen und Aufforderung nichts miteinander zu tun hätten. In diesem Beitrag setzen wir uns zum Ziel, das wechselseitige Verhältnis zwischen Emotionen und Aufforderung genauer zu beleuchten und einige Aufforderungsvarianten im Zusammenhang mit dem emotionalen Zustand der Gesprächsbeteiligten näher zu beleuchten: Werden in Aufforderungen Emotionen preisgegeben, bewusst eingesetzt bzw. intensiviert oder gar geweckt? Haben die unterschiedlichen Formen von Aufforderung mit dem emotionalen Zustand der sprechenden Person etwas zu tun? Welche Emotionen können wiederum bei der adressierten Person ausgelöst werden? Dabei sollen die Äußerungssituationen besondere Beachtung finden, in denen die Produktion der Aufforderung auf Empörung zurückzuführen ist. Wie werden diese Emotionen sprachlich umgesetzt? Gibt es hierfür bevorzugte sprachliche Merkmale?
Im empirischen Teil wollen wir uns mit der didaktischen Umsetzung der zuvor dargestellten Überlegungen zum Wechselspiel von Emotion und Aufforderung befassen. Ausgehend von einer Auswahl konkreter Kommunikationssituationen sollen Studierende über die prototypischen Imperativsätze hinaus mit der Pragmatik der Aufforderung vertraut gemacht werden und dadurch nicht nur ihre kommunikative Kompetenz erweitern, sondern auch eine andere, ‚lebensorientiertere‘ Auffassung von Grammatik entwickeln, in der Emotionen auch eine Rolle spielen.
2 Aufforderung und Emotion
Für Dieter Wunderlich „[sind] Aufforderungen wohl mit als die elementarsten Sprechhandlungen anzusehen“ (Wunderlich 1984: 100), für die es stammesgeschichtliche Vorformen gibt (wie Drohgeste, Warnruf, Lockruf). Aus psycholinguistischer Sicht kann Auffordern (engl. to request) „dadurch charakterisiert werden, dass in einer kommunikativen Situation seitens eines Sprechers der Versuch unternommen wird, einen (oder mehrere) Kommunikationspartner zu einer vom Sprecher intendierten Handlungsweise zu veranlassen“ (Graf/Schweizer 2003: 432 / siehe auch Herrmann 2003: 713). Nicht selten werden auch negative Aufforderungen formuliert, die die adressierte Person dazu bringen wollen, eine Handlung zu unterlassen oder bestimmte Zustände nicht zu akzeptieren (cf. Wunderlich 1984: 110–111).
Der direktive Sprechakt „Auffordern“ fungiert also als Oberbegriff für eine breite Palette von Sprechhandlungen: „Die Benennung ‚Aufforderung‘ ist […] in einem weiten Sinne zu verstehen, der neben Befehl, Bitte, Anordnung, Weisung, Ersuchen und Auftrag z.B. auch Ratschlag, Vorschlag, Erlaubniserteilung, Verbot, Anweisung und Instruktion/Anleitung einschließt“ (grammis / letzte Änderung am 18.09.2018)1.
Von der Emotion zur Sprache (und zurück)
Aus psycholinguistischer Sicht definiert Monika Schwarz-Friesel Emotionen als „interne und damit absolut subjektive Eigenschaften des Menschen […], die nicht direkt, sondern nur über ihre Ausdrucksmanifestationen beobachtbar sind“ (Schwarz-Friesel 2007: 44). Dabei keimen Angst, Freude, Traurigkeit, Wut usw. nicht spontan in der Tiefe unserer Psyche auf, sondern entstehen in der Interaktion mit anderen Menschen. Emotionen sind also nicht nur Elemente unseres privaten Innenlebens, von unserer Umwelt scharf getrennt. Sie sind vielmehr innere Reaktionen auf Impulse von außen, die uns so aufwühlen können, dass sie wiederum Auslöser für nicht sprachliche bzw. sprachliche Handlungen werden, die sich auf unsere Mitmenschen beziehen. Fiehler bezeichnet sie als „öffentliche Phänomene in sozialen Situationen interpersoneller Interaktion“ (1991: 11). Somit spielen Emotionen eine nicht zu unterschätzende Rolle in der sprachlichen Kommunikation, auch wenn das emotionale Erleben nicht explizit zum Thema der Interaktion gemacht wird, sondern sich allein in der Form des Ausdrucks manifestiert (cf. Fiehler 1991: 12).
Wenn wir uns zum Beispiel über private bzw. gesellschaftliche Missstände so sehr aufregen, dass Empörung in uns wächst, eine Emotion, „die sich an der Verletzung des Gerechtigkeitssinns entzündet […]“ (Millner/Oberreither/Straub 2015: 7), müssen wir irgendwann dem angestauten Unmut Luft machen. Die Empörungsenergien vieler können sich zu einem kollektiven Aufruhr verdichten, bei der konstruktive wie auch destruktive Kräfte freigesetzt werden. Demonstrationen bieten eine Gelegenheit, individuelle Entrüstung bzw. kollektiven Aufruhr sprachlich zu verarbeiten. Zum Beispiel in der Form von Ausrufen mit mehr oder minder beleidigendem Charakter: „Lügenpresse!“, „Corona-Diktatur!1“, die sowohl mündlich (evtl. durch Megafon verstärkt) als auch schriftlich (auf Transparenten) vermittelt werden.
Unserer Empörung freien Lauf zu lassen ist der erste Schritt auf dem Weg zur Revolte. Der zweite Schritt besteht darin, konkrete Ansprüche zu stellen, um die Sachlage zu verändern, die für unsere Empörung verantwortlich ist: „Rettet das Klima!“, „Kinder an die Macht!“. Insofern befindet sich der direktive Aufforderungsakt ein Stück weiter auf dem Weg zum Handeln als der expressive Sprechakt Exklamation. So bieten zum Beispiel Hausfassaden für militante Anarchisten willkommene Flächen, um ihren Unmut über die bestehenden Verhältnisse zu äußern und gleichzeitig ihre Forderungen zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft bekannt zu geben: „Lebe wild!“, „Wählt das Leben, nicht die Urne!“, „Die Häuser denen die drin (sic) wohnen …“2.
Mit Sprache werden Gefühle und emotionale Einstellungen nicht nur ausgedrückt und benannt, sondern auch „geweckt, intensiviert sowie konstituiert“ (Schwarz-Friesel 2007: 361). Dass der Weg auch von der Sprache zur Emotion gehen kann, zeigt uns Stéphane Hessel mit seinem Pamphlet Indignez-vous! (Empört Euch!) (Hessel 2010a/b), indem er seine Leserschaft dazu aufruft, emotional wach zu werden und sich dann für eine gute Sache zu engagieren:
C’est vrai que les raisons de s’indigner peuvent paraître aujourd’hui moins nettes ou le monde trop complexe. Qui commande, qui décide? […] Mais dans ce monde, il y a des choses insupportables. Pour le voir, il faut bien regarder, bien chercher. Je dis aux jeunes: cherchez un peu, vous allez trouver. La pire des attitudes est l’indifférence, dire "je n’y peux rien, je me débrouille". En vous comportant ainsi, vous perdez l’un des composantes essentielles qui fait l’humain. Une des composantes indispensables: la faculté d’indignation et l’engagement qui en est la conséquence.3 (Hessel 2010a: 14)
Wenn sich Empörung in Engagement verwandelt, werden auch (Auf-)Forderungen laut. Inwiefern die emotionale mit der sprachlichen Ebene zusammenhängt, soll im Folgenden näher untersucht werden.
Pragmatik der Aufforderung
Als Oberbegriff für eine ganze Reihe von direktiven Sprechhandlungen (befehlen, bitten, vorschlagen, abraten …) lässt sich die Aufforderung relativ gut definieren. Schwieriger gestaltet sich die Aufgabe, wenn es darum geht, die Vielfalt ihrer sprachlichen Realisierungsmöglichkeiten pragmatisch zu erklären.
In der einschlägigen Literatur werden verschiedene Faktoren genannt, die bei der Wahl der Formulierung eine entscheidende Rolle spielen (cf. Weigand 1984; Wunderlich 1984; Herrmann 2003; Graf/Schweizer 2003). So sollte genau darauf geachtet werden, welches hierarchische Verhältnis zwischen den Kommunikationsbeteiligten besteht, ob sie auf Kooperation oder Konkurrenz eingestellt sind, in wessen Interesse die intendierte Handlung ausgeführt werden soll, inwiefern die besagte Handlung einen dringenden,