Thermografie. Eric Rahne
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Aus der Sicht der praktischen Ausführung der berührungslosen Temperaturmessung ist die bei tiefen Bohrungen zu beobachtende Mehrfachreflexion (siehe Kapitel 1.2.1. „Physikalisches Modell des schwarzen Körpers”), welche zu hohen Emissionsgraden führt. Die Strahlung in der Bohrung ergibt sich aus der Aufsummierung der jeweiligen Emission und Reflexion an den Bohrlochwänden. Im Falle nichttransparenter Materialien und ausreichend tiefer Bohrung ergibt dieser Effekt einen einem idealen Strahler nahekommenden Emissionsgrad. Noch dazu ist dies ab einem bestimmten Verhältnis von Bohrungstiefe zu Bohrlochdurchmesser praktisch unabhängig vom Objektmaterial. Der zu erwartende Emissionsfaktor - basierend auf den Bohrungsdimensionen und dem Emissionsgrad des Materials - ist in den folgenden Abbildungen (Abb. 43 und 44) dargestellt.
Abb. 43: scheinbarer Emissionsgrad in Abhängigkeit von Bohrlochtiefe/Durchmesser, sowie in Abhängigkeit vom Emissionsgrad des Objektmaterials (nach Buckley)
Obigem zufolge kann - unabhängig vom Objektmaterial - mit einem erreichbaren scheinbaren Emissionsgrad von über 85% gerechnet werden, wenn die Bohrung mindestens viermal so tief ist, wie ihr Durchmesser. In der Praxis können solche Bohrlöcher daher dazu verwendet werden, um die Objekttemperatur unabhängig vom Emissionsgrad des Objektmaterials zu messen oder den Emissionsgrad des Objektmaterials zu bestimmen. Speziell für metallische (auch polierte) Oberflächen mit besonders niedrigen Emissionsfaktoren ist dies oftmals die einzige Möglichkeit, berührungslos Temperaturen zu messen, ohne eine Emissionsgrad erhöhende Veränderung der Objektoberfläche (z.B. durch Farbüberzug oder Bekleben) vorzunehmen.
Abb. 44: Zusammenhang zwischen dem Verhältnis Bohrlochtiefe zu Durchmesser und erzieltem Emissionsgrad
1.4.3. Zusammenhänge zwischen Emission, Absorption, Reflexion und Transmission
Über den bereits behandelten Emissionsgrad hinaus gibt es für jeden Körper (jede Materie) weitere drei strahlungsphysikalische Größen. Diese alle sind immer als Maßzahl, relativ zu den Eigenschaften eines idealen Strahlers, Absorbers, Spiegels bzw. idealen Fensters zu verstehen.
Emissionsgrad ε | Maßzahl der Fähigkeit zur Aussendung von Strahlung (0 ... 1 bzw. 0 ... 100%) |
Absorptionsgrad α | Maßzahl der Fähigkeit zur Aufnahme von Strahlung (0 ... 1 bzw. 0 ... 100%) |
Transmissionsgrad τ | Maßzahl der Durchlassfähigkeit für Strahlung (0 ... 1 bzw. 0 ... 100%) |
Reflexionsgrad ρ | Maßzahl der Fähigkeit zur Spiegelung von Strahlung (0 ... 1 bzw. 0 ... 100%) |
Nach dem Kirchhoffschen Strahlungsgesetz gilt, dass der spektrale Emissionsgrad eines Körpers stets gleich seinem spektralen Absorptionsgrad ist.
Gl. 44
Der schwarze Körper als idealer Strahler (ε = 1) ist damit also zugleich auch ein idealer Absorber mit α = 1.
Das klingt erst einmal verblüffend, ist es aber in Wirklichkeit nicht. Jeder Körper emittiert Strahlung entsprechend seiner eigenen Temperatur (siehe Kapitel 1.1.1 ”Temperatur, Atommodell von Bohr”) und nimmt gleichzeitig Strahlung aus seiner Umgebung auf. Die zwei Prozesse finden gleichzeitig statt, die Summe der Strahlungsabsorption oder -freisetzung hängt allein davon ab, ob der Körper oder eben seine Umgebung die höhere Temperatur besitzt (siehe Kapitel 1.1.2.3. „Hauptsätze der Thermodynamik”). Emissions- und Absorptionsfaktoren beschreiben nur den „Wirkungsgrad” des Prozesses. Der schwarze Körper absorbiert daher verlustfrei die Strahlung der Umgebung (wenn diese wärmer ist) und emittiert ebenso ohne Verluste „seine” Strahlung (wenn die Umgebung kälter ist).
Abb. 45: Gustav Kirchhoff, deutscher Physiker (1824 - 1887) (Wikipedia, gemeinfrei [A14])
Dem Energieerhaltungsgesetz zufolge besteht zudem der folgende weitere Zusammenhang zwischen den strahlungsphysikalischen Maßzahlen:
Gl. 45
Aus diesen Zusammenhängen lassen sich folgende - für die Betrachtung der berührungslosen Temperaturmessung äußerst wichtigen - Spezialfälle herleiten:
Tabelle 8: strahlungsphysikalische Eigenschaften einiger (theoretischer) Körper
Theoretischer Körper | Kennzeichen | Folgerungen |
Schwarzer Körper (idealer Strahler) | ε = 1 | τ = 0, ρ = 0 |
Idealer Spiegel | ρ = 1 | ε = 0, τ = 0 |
Ideales Fenster | τ = 1 | ε = 0, ρ = 0 |
Nicht-transparenter Körper | τ = 0 | ε + ρ = 1 |
Aus der obigen Tabelle (Tabelle 8) ist ersichtlich, dass weder die Temperatur idealer Spiegel, noch die der idealen Fenster anhand der Erfassung von Strahlungswärme gemessen werden kann, da diese keine Wärmestrahlung emittieren. (Es gibt bei diesen Körpern keine Strahlung, die im Zusammenhang mit ihrer Temperatur steht, damit kann also aus der Strahlungsmessung nicht auf die Temperatur dieser Körper geschlossen werden.) Diese Körper sind dennoch sehr wichtig in der Thermografie: es sind typische Komponenten und Zubehöre von Infrarot-Thermometern und Thermokameras.
Als relativ alltägliches, aber außergewöhnliches Material soll Glas im Folgenden besondere Aufmerksamkeit erhalten. Glas lässt bekannterweise das sichtbare Licht sehr gut durch. Die Infrarotstrahlung wird im Kurz- und Mittelwellenbereich nur teilweise (bis 3,5 μm) und im Langwellenbereich allerdings überhaupt nicht hindurchgelassen. Dadurch ist die Detektion von Wärmestrahlung durch Fensterglas (Quarzglas) und damit die berührungslose Temperaturmessung auf den Kurz- und Mittelwellenbereich der Infrarotstrahlung