Filmgenres: Horrorfilm. Группа авторов
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Denn Nosferatu entbehrt der physischen Gruseleffekte. Einige cinegraphische Pointen, wie Stopptricks und Doppelbelichtungen, die Negativprojektion beim Übergang Hutters ins ›Gespensterreich‹ oder die im Zeitraffer schnell dahinzuckelnde Kutsche, sind heitere Bildwitze aus der Zeit der Laterna magica und des frühen Kinos, rufen kein Schaudern mehr hervor, weniger jedenfalls als der reale Anblick des Schlosses auf steilem Felsen. Der Film ist auch nicht konsequent und logisch an vielen Stellen, durchbricht selbst den magischen Bann: Wenn das Schloss des Vampirs tatsächlich ein von allen gemiedener Ort ist, wie kann es dann ein gelassener Reiter wagen, seelenruhig vorbeizutraben und sogar noch einen Brief von Hutter mitzunehmen? Dennoch gelingt es Murnau, den Einbruch des Grauens in eine Friedenswelt zu zeigen – indem er über weite Strecken wie von einem schweren Traum erzählt. Traumhaft die – in der kolorierten Fassung – blauen Nachtszenen. Im Schlaf, im Bett überfällt einen die fremde Gewalt, zuerst unsichtbar, lässt Ellen auf der Balustrade balancieren und visionär die Gefahr erahnen, die Hutter droht. Traumhaft langsam sind die Bewegungen des nun sichtbaren Unholds, scheinbar unausweichlich sein Vorrücken auf das Lager Hutters zu, mit ausgestreckten Armen und Händen, als wolle er ihn erwürgen. Traumhaft das Irrwischartige, Sprunghafte des ›irren Gnoms‹ Knock – und zugleich Reminiszenz an die groteske Figurenwelt des Schauerromantikers E. T. A. Hoffmann. Traumhaft das Vorbeigleiten der Kamera, wie in einem Flug, an dem leeren Totenschiff, einem Fliegenden Holländer. Traumhaft schließlich dessen Einfahrt in den Hafen von Wisborg – als wäre der Kopf des Betrachters eisern festgehalten und dürfte nicht der Ankunft der Gefahr ›entgegenschwenken‹. Ein sozusagen biologischer Reflex, den der Überlebensinstinkt diktiert, wird gehemmt. So sticht das Schiff mit dem Bugspriet voran unaufhaltsam ins Bild, ist vordringlich Unheilsbote, der Tod und Verderben ankündigt.
Murnaus besondere Könnerschaft besteht darin, das vage Unheimliche, das verschwebend Traumhafte zur scharf umrissenen, malerisch plakativen Gestalt zu verwandeln: der Transfer aus der nebulösen Phantasie ins prägnant Phantastische. Dieses Sichtbarwerden nimmt den Erscheinungen der ›Zwischenwelt‹ vielleicht etwas von dem Grauen, das sie in ihrer relativen Unbestimmbarkeit auslösen, verleiht ihnen dagegen die Deutlichkeit tiefer Eindrücke und ›märchenhafte‹ Plastizität. Die extravagante Perspektive aus dem Bauch des Schiffs auf Nosferatu, der oben gespenstisch bedächtig um die Luke herumgeht, weil er sich einem wehrlosen Opfer nähert, hält ihn als Gräuel in verzerrter Dimension fest. Wenn Nosferatu als riesenhafter Schatten die Treppe zum Schlafzimmer Ellens hinaufsteigt, schwerelos, unaufhaltsam, entsteht derselbe Eindruck, dass man einen heimlichen und verbotenen Blick aus irgendeinem verborgenen Ort auf das Ungeheuerliche hat werfen können. Mit seinen Bildern vom personifizierten Schwarzen Mann dringt Murnau zu einer früh gebildeten und inneren Schicht unserer Gefühle vor. Ihre Korrespondenz zu Vorstellungen, die jenem frühen Alter entstammen, als zwischen Außen- und Innenwelt noch nicht strikt differenziert wurde, lässt diese ›visuellen Inventionen‹ unvergesslich werden. Das gilt für die Eindrücke von Furcht und Trost, die Murnau aus der Kindheitserinnerung, aus dem Traum, in dem sie wiederkehren, in den Film hinüberrettet: Als der Nachtmahr vom Tageslicht in Nichts aufgelöst wird, gerät dies zur unvergleichlichen Erlösungsszene. Das ›Dunkel‹ ist verschwunden. Doch so endet der Film nicht: Tote und Trauernde bleiben zurück, ratlos, unwissend, denn ihnen ist Nosferatu in Wisborg nie begegnet.
Thomas Koebner
Literatur: Lotte Eisner: Murnau. Frankfurt a. M. 1973. – Peter W. Jansen / Wolfram Schütte (Hrsg.): Friedrich Wilhelm Murnau. München/Wien 1990. (Hanser Reihe Film. 43.) – Thomas Koebner: Der romantische Preuße. In: Friedrich Wilhelm Murnau. Ein Melancholiker des Films. Hrsg. von Hans Helmut Prinzler. Berlin 2003. (Stiftung Deutsche Kinemathek.)
Das Phantom der Oper
Phantom of the Opera
USA 1925 s/w 72 min
R: Rupert Julian
B: Raymond Schrock, Elliott J. Clawson, nach dem Roman von Gaston Leroux
K: Virgil Miller u. a.
D: Lon Chaney (Eric / The Phantom), Mary Philbin (Christine Daee), Norman Kerry (Raoul de Chagny), Arthur Edmund Carewe (Ledoux)
Gaston Leroux’ schauerromantischer Stoff von einem Gräuel-Wesen, das unter der Pariser Oper haust und aus Liebe zu einer jungen Sängerin seine Umwelt mit Gewalt und Schrecken überzieht, ist im Lauf der Filmgeschichte gleich mehrfach adaptiert worden. Nicht zuletzt dank des gleichnamigen Bühnen-Musicals von Andrew Lloyd Webber erfreut er sich auch fast hundert Jahre nach seiner Entstehung einer medienübergreifenden Popularität. Brian de Palma setzte ihn in dem Filmmusical Phantom of the Paradise (Das Phantom im Paradies, 1974) als Satire auf das korrupte Showbusiness in Szene und griff dafür auf das Motiv des faustischen Teufelspakts sowie auf Schauerelemente in Stil der Rocky Horror Show zurück, während es Dario Argentos Il fantasma dell’ opera (Das Phantom der Oper, 1998) an Schlüssigkeit zwischen kurioser Liebesaffäre und drastischen Splatter-Szenen mangelt. Als bislang letzte Version wird Joel Schumacher 2004 Lloyd Webbers Musical auf die Leinwand bringen.
Die erste und zugleich bedeutendste Filmversion von Rupert Julian beginnt hingegen beinahe als Gruselspaß, bestückt mit slapstickhaften Intermezzi, endet aber nach Schrecknissen und Morden aller Arten sowie einer dramatischen Verfolgungsjagd gut – wenn man die brutale Exekution des Phantoms denn als guten Schluss bezeichnen mag. Wie der Glöckner von Notre Dame, den der Hauptdarsteller Lon Chaney zwei Jahre zuvor gespielt hatte, oder der kleinwüchsige Hans in Tod Brownings Freaks (1932) ist das Phantom ein ebenso verzweifelt wie unglücklich Liebender. Wegen der Entstellung seines Gesichts begegnet er der verehrten Nachwuchssopranistin Christine nur mit einer Maske, auf der die Augen aufgerissen und starr aufgemalt sind, was alleine schon unheimlich wirkt. Er leitet Christine über Treppen und Gänge in die suggestiv dargestellte Unterwelt der Oper, eine nicht kartographierbare Kerkerwelt wie in Eugène Sues Roman Die Geheimnisse von Paris, gekennzeichnet durch viele Türen, Gitter, durch irreal einfallendes Licht, aus der nur dem Kundigen ein Entkommen möglich ist. Schließlich bringt er Christine als unheimlicher Fährmann in einer Gondel über einen schwarzen unterirdischen See, der an den Fluss Styx erinnert, Assoziationen ans Totenreich auslöst, zu seiner unterirdischen Behausung, die in der viragierten Fassung rot eingefärbt ist. Dann setzt sich das Phantom wie einst Kapitän Nemo in Jules Vernes Roman 20 000 Meilen unter dem Meer an die Orgel und spielt meisterlich. Christine nähert sich von hinten und streift ihm die Maske ab – nicht nur sie, auch das Publikum sieht nun sein Gesicht, das vor allem durch das leuchtende Gebiss als hässlich zu beschreiben ist, als wären die Lippen um den Mund herum weggeätzt. Dass die Augen schwarz gerändert und weit geöffnet sind, gehört zu den typischen