Filmgenres: Horrorfilm. Группа авторов

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Filmgenres: Horrorfilm - Группа авторов Reclam Filmgenres

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darf noch einmal singen, dann aber gehört sie ganz ihm und muss alle weltlichen Dinge für ihn aufgeben, auch Raoul, ihren Geliebten seit Kindertagen.

      Das psychologische Drama des Phantoms: Jemand, der wegen seines Äußeren Schrecken und Abscheu erzeugt, wird zum einsamen Außenseiter. Einen Sarg nutzt er als Bett: Ausdruck dafür, dass sich sein Bewusstsein an das außergewöhnliche Sein anpasst, das ihn konditioniert. Die völlige Isolation, verbunden mit der schöpferischen Fähigkeit, sich eine eigene Welt zu schaffen in der Dunkelzone der repräsentativen Institution Oper, die Treffpunkt der glanzvollen Gesellschaft ist und zugleich »Kraftwerk der Gefühle« (Alexander Kluge), lassen beide Komponenten im Phantom lebendig werden: die inbrünstige Liebe, die besitzergreifend Christine gilt, und die antisoziale Moral eines radikal ausgegrenzten Wesens, das keine Rücksicht auf das Leben anderer Menschen nimmt. Natürlich ist dieser Charakterentwurf in vielem an Mary Shelleys Konzept des Monsters angelehnt, das sie in ihrem Roman Frankenstein or the Modern Prometheus (1819) entwickelte: ein Wesen, das den Ekel der Menschen hervorruft, aber ausgestattet ist mit hoher Sensibilität. Erst die gesellschaftliche Ächtung seiner physischen Deformation führt zur psychischen Deformation, zu Wut und Hass und schließlich zu Gewalt und verbrecherischen Reaktionen.

      Zweifellos fehlt dem Film im Vergleich zu Murnaus Nosferatu (1922) die tragische Vertiefung, der Doppelsinn. Auch gelingt es Julian und seinen verschiedenen Kameraleuten nicht, ›Originalbilder‹ des Unheimlichen zu erfinden. Die blau viragierten Gefängnisphantasien, die das Reich unter der Oper in diesem Film bestimmen, gibt es beispielsweise ähnlich in zeitgenössischen Spionagefilmen, zugleich drängen sich Erinnerungen an manche unterirdische Bauten in Filmen Fritz Langs auf.

      Das Ungeheuer wird am Ende bei seiner Flucht auf nächtlicher Straße vom Mob umzingelt und gelyncht – die Masse exekutiert einen Menschen, den sie nicht als ihresgleichen versteht, der – zugegeben – durch Morde eine Blutspur gezogen hat. Kein irdisches Gericht erhält die Zeit, Beweggründe und Umstände seiner Verbrechen näher zu beurteilen und ein angemessenes Strafmaß festzulegen. Immerhin ist das Phantom der Oper aus Liebe zum Missetäter geworden – davor hat es sich offensichtlich nicht weiter aggressiv in die Geschicke der Oberwelt eingemischt, solange diese ihn in Ruhe gelassen und Loge 5 für ihn reserviert hat. Doch die Leidenschaft des Ausgegrenzten berührt wie in Freaks den Tatbestand des Verbotenen. Welches Recht soll das Monstrum haben, die Liebe einer schönen jungen Frau einzufordern? Keines, das bestätigt der Film von 1925. In dem Augenblick, in dem das Schreckensgesicht sichtbar wird, gleicht sich die Wesensart des Phantoms seiner äußeren Erscheinung an: In simpler Schwarzweißmalerei mutiert der hässliche Mensch zum hässlichen Charakter. So scheint die Wut der Masse berechtigt. Dass ihr dennoch die Legitimität fehlt, diesen Gedanken kann auch dieser Film nicht verscheuchen, genauso wenig wie James Whales Frankenstein (1930), an dessen Ende die zornige Meute den Abweichler in der flammenden Mühle vernichten will. Es mag die Erfahrung des 20. Jahrhunderts sein, dass man solchen Szenen vom Aufstand der Massen mit unüberwindlicher Skepsis gegenübersteht. Die Sympathie mit dem Ausgestoßenen führt wie bei Mary Shelley dazu, der »kochenden Volksseele« zu misstrauen, die sich zum Henkersdienst treiben lässt.

      In einer seiner letzten Arbeiten bettet der englische Regisseur Tony Richardson seine für das Fernsehen produzierte Version des Phantom-Stoffes (1990) in ein Familiendrama ein. Der von den neuen Opernbesitzern entlassene Direktor entpuppt sich als Vater des entstellten jungen Mannes in den unterirdischen Räumen. Richardson betont die künstlerische Kompetenz des Phantoms, das als großer Kenner des Musiktheaters über Jahre hinweg aus dem Verborgenen den Spielplan und die Auswahl der Sänger mitbestimmt hat. Trotz seiner Entstellung ist er eine stattliche und elegante Erscheinung, empfindsam und unterhaltsam, so dass in dieser Version erstmals Christines Zuneigung für ihn plausibel wird. Seine Liebe zu ihr löst bei ihm tiefste Verstörung aus – und leitet das Ende des Status quo, des Gleichgewichts zwischen Ober- und Unterwelt ein. Auch Richardsons Film ist reich an Anspielungen: Die Welt des Phantoms ist so ausgestaltet, als herrsche hier ein Ludwig II. in den unterirdischen Grotten seiner Schlösser, bewohne sein ›Paradis artificiel‹ und gebe sich einer ganz persönlichen Kunstreligion hin. Richardson sublimiert den horrorphantastischen Stoff zum psychologisch raffinierten und melodramatischen Kammerspiel. Die Humanität seines Phantoms will der Film dadurch begreiflich machen, dass man es als den Einsamen außerhalb der menschlichen Gemeinschaft erkennt, der sich nur in der Anwandlung größten Schmerzes auch innerlich dem Schreckbild anpasst, als das ihn die anderen wahrnehmen.

       Thomas Koebner

      Der Untergang des Hauses Usher

      La chute de la maison Usher

      F 1928 f 55 min

      R: Jean Epstein

      B: Jean Epstein, nach Erzählungen von Edgar Allan Poe

      K: Georges Lucas, Jean Lucas

      M: Gerhard Gregor (Neubearbeitung)

      D: Marguerite Denis Gance (Madeline), Jean Debucourt (Roderick Usher), Charles Lamy (Freund)

      Von Anfang an wurde der Horrorfilm entscheidend von literarischen Stoffen geprägt. Neben Mary Shelleys Frankenstein, Robert Louis Stevensons Erzählung Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Bram Stokers Dracula und den Erzählungen H. P. Lovecrafts ist vor allem das Œuvre Edgar Allan Poes auf die große Leinwand gelangt: Die Geschichte des Horrorfilms ist durchzogen von Adaptionen seiner Werke, wobei die meiste Aufmerksamkeit der Kurzgeschichte Der Untergang des Hauses Usher (The Fall of the House of Usher, 1839) zuteil wurde. Deren erste Adaption durch den französischen Regisseur Jean Epstein ist bislang unübertroffen: In diesem Stummfilm bewohnt Roderick Usher zusammen mit seiner Frau Madeline das alte Stammschloss seiner Familie, das als verflucht gilt. In der großen Halle arbeitet Roderick an einem Gemälde, für das ihm Madeline Modell steht. Während das Gemälde der jungen Frau immer lebensähnlicher wird, verlassen Madeline ihre Lebenskräfte mehr und mehr, bis sie beim letzten Pinselstrich leblos zu Boden sinkt. Sie wird in der Familiengruft beigesetzt, doch Roderick weigert sich, die Grabkammer zu verschließen, weil er fest davon überzeugt ist, dass Madeline noch lebt. Einige Tage später tobt ein Sturm und bei Roderick machen sich Anzeichen extremer nervöser Anspannung sichtbar. Plötzlich erscheint Madeline, die wirklich nur scheintot war und sich unter Aufbietung all ihrer Kräfte aus dem Sarg befreien konnte. Das Schloss gerät durch das Unwetter in Brand. Roderick und Madeline retten sich ins Freie, bevor das Gebäude hinter ihnen zusammenstürzt.

      Epstein übernimmt aus der Vorlage nur den äußeren Handlungsumriss und einige zentrale Motive und verknüpft sie mit einer Vielzahl von Anlehnungen aus Poes übrigem Werk. Die Bezüge reichen von kurzen Zitaten – etwa aus Die Maske des Roten Todes (The Mask of the Red Death, 1842), Berenice (1835) und Ligeia (1839) – bis zur vollständigen Integration einer weiteren Poe-Geschichte, der Künstlererzählung Das ovale Porträt (The Oval Portrait, 1850). Er führt überdies eine Reihe von Nebenfiguren ein und bricht die Fixierung der Handlung auf das Innere des Schlosses durch verschiedene Außenaufnahmen. Infolge dieser Eingriffe löst sich die dramatische Geschlossenheit der Erzählung auf und weicht einer lyrischen Grundstimmung. Schon Béla Balázs lobte Epsteins freien Umgang mit der berühmten Vorlage als eine wesentliche Voraussetzung dafür, Poes literarischen Imaginationen auf genuin filmische Weise gerecht zu werden: »Es ist wie die Bildessenz der dunklen Ballade. Unverständlich, aber unheimlich wirkend. Nicht die Begebenheit erscheint, sondern die Reaktion einer Psyche. Nicht das Gedicht, sondern die Flut der Vorstellungen, die es entfesselt.«

      Epstein ging es – im Gegensatz zu Baudelaires Poe-Interpretation – darum, das Werk des amerikanischen Schriftstellers sowohl vom Geruch des Makabren und Morbiden als auch von der Bindung an das Thema des schuldigen Bewusstseins zu befreien. Anders als in der Kurzgeschichte sind die beiden Ushers deshalb keine Geschwister, sondern Gatten. Nicht die Andeutung einer schuldbeladenen inzestuösen

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