Filmgenres: Horrorfilm. Группа авторов
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Eine Zäsur in der Geschichte der filmischen Bearbeitungen markiert das Jahr 1956, als das Copyright der Erzählung auslief. Hielten sich die ersten Verfilmungen relativ nah an die Vorlage, wurde die Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde ab diesem Zeitpunkt auf sehr unterschiedliche Weise filmisch neu interpretiert. Die gelungenste Auslegung ist Jerry Lewis’ Komödie The Nutty Professor (Der verrückte Professor, 1962), die Story eines tölpelhaften, verklemmten Professors, der sich dank einer Wundermixtur in einen Womanizer verwandelt. Lewis’ Film ist eine humorvolle Abrechnung mit amerikanischen Schönheitsidealen. Mit Eddie Murphy in der Titelrolle entstand unter der Regie Tom Shadyacs 1995 ein gleichnamiges Remake, in dem der Professor fürchterlich dick ist und sich durch eine Wunderpille in einen schlanken, aber unsympathischen Frauenhelden verwandelt.
Eine ähnliche Interpretation der Stevenson’schen Geschichte produzierten zwei Jahre zuvor bereits die Hammer Studios mit Terence Fishers The Two Faces of Dr. Jekyll (Schlag 12 in London, 1960) im Gewand eines ernsthaften Horrorfilms und erstmals in Farbe: Paul Messie stellt einen heruntergekommenen Arzt dar, der sein Leben der Forschung widmet, jedoch jeglichen Anschluss an die Gesellschaft verloren hat. Bis er sich in den gut aussehenden Mister Hyde verwandelt. In Fishers Version ist Hyde lange Zeit die weitaus sympathischere Seite von Jekylls Persönlichkeit und befreit diesen von seinen inneren Fesseln, die ihn zu einem Workaholic und einsamen Menschen gemacht haben.
Ebenfalls aus dem Hause Hammer stammt die freie Adaption Dr. Jekyll and Sister Hyde (Dr. Jekyll und Sister Hyde, 1971), die ein völlig neues Bild von Dr. Jekyll bietet. Hier ist er niemand anderes als der skrupellose Frauenmörder Jack the Ripper, der, um ein Elixier des ewigen Lebens zu brauen, auf die Hormone junger Frauen angewiesen ist. Als er den Trank an sich selbst testet, verwandelt er sich in Mrs. Hyde. Das Ganze kommt verworren daher und entbehrt nicht eines gewissen Trash-Charakters, ist dennoch überraschend spannend inszeniert.
Den interessantesten Neuansatz brachte schließlich Stephen Frears mit Mary Reilly (1995) Mitte der neunziger Jahre in die Kinos. Seine Interpretation der Jekyll/Hyde-Geschichte basiert als Einzige nicht auf Stevensons Text, sondern auf einer Erzählung von Valerie Martin, in deren Mittelpunkt Jekylls Dienstmädchen Mary steht. Auch Frears Film konzentriert sich ganz auf die weibliche Perspektive. Mary verehrt ihren scheuen, liebenswerten Arbeitgeber, gleichzeitig aber entwickelt sie eine Beziehung zu seinem mysteriösen Freund Hyde. Der Brite Frears erschafft in seinem Film ein London, das dem der Vorlage weitaus am nächsten kommt. Es ist ein kalter Ort, an dem allein der gesellschaftliche Status zählt und Jekyll ein Gefangener der Konventionen, Hyde jedoch ein freier Mann ist. John Malkovich interpretiert die Doppelrolle so nuanciert wie keiner seiner Vorgänger, bei ihm ist Hyde eine bewusste Kreation Jekylls, mit der er die Abgründe seiner Seele zu ergründen versucht. Zunächst besitzt er die Kontrolle über diese dunkle Seite, bis auch er seiner Sucht verfällt und die Macht über sich verliert. In seiner heimlichen Liebe zu Mary findet er zwar am Ende Vergebung, dennoch bezahlt er seine Sucht mit dem Leben.
Dass dieser Film an den Kinokassen trotz Julia Roberts in der Titelrolle gnadenlos scheiterte, dürfte vor allem auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass Frears die altbekannte Geschichte als eine Genre-Mischung aus Melodram und Kriminalfilm in Szene setzt. Und so erfährt der Zuschauer als Höhepunkt des Films, dass Dr. Jekyll und Mister Hyde ein und dieselbe Person sind! Nach über hundert Jahren Stoffgeschichte und zahlreichen Adaptionen nicht unbedingt eine überraschende Auflösung.
Christian Lukas
Literatur: A Pictorial History of The Movie Villain. Toronto 1964. – William Everson: The Bad Guys. A Picturial History of the Movie Villain. Secaucus (N. J.) 1974. – Alan Frank: Madmen, Demented Doctors and Psychopath Scientists. London 1975. – Thomas G. Aylesworth: Monster and Horror Movies. London 1986. – Michael Brunas: Universal Horror. London / New York 1990. – David J. Skal: Hollywood Gothic. London / New York 1990. – John McCarty: Movie Psychos and Madmen. Secaucus (N. J.) 1993. – Christopher Frayling: Nightmare. The Birth of Horror. London 1996. – Jonathan Rigby: English Gothic. A Century of Horror Cinema. Richmond 2000.
Frankenstein
Frankenstein – The Man Who Made a Monster
USA 1931 s/w 71 min
R: James Whale
B: Garrett Fort, Francis E. Faragoh, nach Mary Shelleys Roman Frankenstein oder Der moderne Prometheus, dem Bühnenstück von Peggy Webling und einem Treatment von Robert Florey
K: Arthur Edeson
D: Boris Karloff (das Monster), Colin Clive (Henry [dt.: Herbert] Frankenstein), Mae Clarke (Elizabeth), Dwight Frye (Fritz), Edward van Sloan (Dr. Waldman)
Das Motiv des künstlichen Menschen durchzieht die Filmgeschichte vom Anbeginn bis heute, von frühen deutschen Stummfilmen wie Paul Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam (1920) oder Fritz Langs Metropolis (1926) bis zum Science-Fiction-Film unterschiedlichster Ausprägung wie Blade Runner (1982, Ridley Scott), Edward Scissorhands (Edward mit den Scherenhänden, 1990; Tim Burton) oder A. I. – Artificial Intelligence (2001, Steven Spielberg). Im Horrorgenre hat sich dieses Motiv mit fast fünfzig filmischen Varianten paradigmatisch im Frankenstein-Komplex niedergeschlagen, den Mary Shelley mit ihrem 1818 anonym veröffentlichten Briefroman Frankenstein oder Der moderne Prometheus begründete. Angefangen mit Edisons One-Reel Frankenstein (1910) über die klassischen Frankenstein-Filme der Universal Studios unter der Regie von James Whale bis zu Kenneth Branaghs Mary Shelley’s Frankenstein (1994) ist ihnen allen gemeinsam die Auseinandersetzung mit dem ethischen Problem: Kann und darf der Mensch Leben erschaffen? In dem Zögern, diese zunehmend aktuelle und drängende Frage, die bereits im antiken Prometheus-Mythos enthalten ist, endgültig zu beantworten, wird das Schwanken zwischen lebenserhaltenden und -verbessernden Utopien einerseits und der Furcht vor den Folgen einer sich weiter und weiter entwickelnden Wissenschaft und deren Hybris andererseits deutlich.
James Whales stilbildender Frankenstein (1931) wird eingeleitet durch die Warnung eines Erzählers an Zuschauer mit schwachen Nerven: »It may shock you, it might even horrify you!« Der junge Wissenschaftler Dr. Henry Frankenstein setzt auf einer alten Burg aus menschlichen Leichenteilen einen Körper zusammen. Er hat die Vision, mit Hilfe galvanischen Stroms Leben zu erschaffen. Seine beunruhigte Verlobte Elizabeth will in Begleitung von Professor Waldman nach dem Rechten sehen. Sie treffen gerade im Moment der Schöpfung ein. Nachdem das zum Leben erweckte ›Monster‹ den buckligen Gehilfen Fritz getötet hat, wird es durch eine betäubende Injektion ruhiggestellt. Auf Drängen seines Vaters kehrt Henry Frankenstein auf das elterliche Schloss zurück, um Elizabeth endlich zu heiraten. Der Professor bleibt allein zurück, um die Kreatur einzuschläfern. Doch die wehrt sich, erdrosselt den Professor und flieht. An einem See ertränkt sie ein kleines Mädchen. Eine Hetzjagd auf das ›Monster‹ beginnt, in deren Verlauf das Geschöpf seinen Schöpfer überwältigt und sich mit dem Bewusstlosen in einer Mühle verbarrikadiert. Als die Dorfbewohner das Gebäude zu stürmen drohen, schleudert der Verfolgte Frankensteins ohnmächtigen Körper wütend nach unten. Der Wissenschaftler überlebt den Sturz. Die aufgebrachte Menge zündet mit Fackeln die Mühle an. Das Geschöpf – so glaubt man wenigstens bis zu Whales Fortsetzung The Bride of Frankenstein (Frankensteins Braut,