Dirk Nowitzki - So weit, so gut. Jürgen Kalwa
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Dieser Mann hatte im Vorfeld jenes Abends durchaus deutlich signalisiert, dass er sich für Dirk Nowitzki interessierte, aber sich dann kurz vor der Entscheidung öffentlich mit deutlichen Äußerungen zurückgehalten. Nelson führe bekanntermaßen Leute gerne an der Nase herum, warnte die Dallas Morning News vier Tage vorher und spekulierte: „Viele General Manager sind überzeugt, dass dies Teil eines machiavellistischen Plans ist, der Dirk Nowitzki nach Dallas bringt.“
Machiavellistisch bedeutet im englischen Sprachraum: die Anwendung von List und Doppelzüngigkeit in der Staatskunst oder im allgemeinen Verhalten. Aber die Zeitung und der Rest der Welt mussten noch ein paar Tage warten, um herauszufinden, was Don Nelson in diesem Moment tatsächlich aus dem Ärmel ziehen würde, nachdem ihm die schlechte vorausgegangene Saison einen relativ guten sechsten Draft-Platz beschert hatte.
Er entwickelte in dieser Zeit nämlich einen Plan, um ordentlich mit dem Pfund zu wuchern, das er in der Hand hielt.
Wir unterhielten uns vor ein paar Jahren unter anderem über die Frage, weshalb er damals von seinen Entscheidungen so unglaublich überzeugt war:
„Stichwort Dirk Nowitzki. Sie haben sich enorm bemüht, ihn – einen damals gerade mal 20 Jahren alten Basketballer aus Deutschland – 1998 nach Dallas zu holen. Wieso waren Sie so sicher, dass aus ihm etwas wird?
DON NELSON: „Sein Arbeitseifer. Er kam als erster in die Halle zum Training. Abends hat er noch mehr trainiert. Abgesehen davon war er einfach der talentierteste Jugendspieler, den ich je gesehen habe. Er konnte rebounden, werfen, sich unter dem Korb gut in Stellung bringen. Ein außerordentlich beweglicher Basketballer. Und das mit 2,13 Metern.“
„Sie haben am selben Tag, als sie Nowitzki gedraftet haben, im Rahmen eines Spielertausches Steve Nash nach Dallas geholt. Der wurde später zweimal MVP, Nowitzki einmal. Stört es Sie, dass kaum jemand weiß, was für eine Spürnase für Talente Sie hatten?“
DON NELSON: „Du bist bei so etwas nie der einzige. Du hast einen kompletten Stab, der scoutet. Allerdings: Wenn es um Entscheidungen geht, traue ich mir selbst immer mehr als anderen. Ich habe nach dem Ende jeder Saison und vor jeder Draft hunderte von Stunden damit zugebracht, Spieler zu analysieren. Aber im Fall von Steve Nash hatte mein Sohn Donnie den Hauptverdienst. Der hatte ihn, ehe ich ihn in Dallas verpflichtete, bei den Phoenix Suns erlebt. Als zweiten Mann hinter Jason Kidd. Er hat mir gesagt, Nash ist besser als Kidd. Ich habe ihm das geglaubt.“
Er erkannte früher als andere Nowitzkis Potenzial: Don Nelson. (imago)
Jahre später, nachdem er vom Club kaltgestellt wurde und an seine alte Wirkungsstätte bei den Golden State Warriors zurückkehrte, musste er erleben, dass ihm Mark Cuban nicht besonders dankbar für seine Leistung war. Der Eigentümer der Mavericks verklagte den Ex-Trainer und behauptete, der hätte den spektakulären Erfolg der Warriors gegen Dallas in der ersten Play-off-Runde nur deshalb zustande gebracht, weil er Betriebsgeheimnisse besaß und eingesetzt habe. Abgesehen von der kuriosen Vorstellung, wonach das Wissen eines Basketballtrainers dem Club gehört, bei dem er arbeitet, war ziemlich klar, um was es in der Auseinandersetzung wirklich ging. Man hatte sich im Streit getrennt. Nelson verlangte 6,5 Millionen Dollar an ausstehenden Gehaltszahlungen, aber war damit auf normalem Weg nicht durchgedrungen und hatte ein Schiedsgericht eingeschaltet. Cubans Retourkutsche wirkte im Vergleich dazu nachtragend und infantil.
Das Gericht erkannte irgendwann die Rechtmäßigkeit von Nelsons Anspruch an, entschied auf eine Zahlung von 6,3 Millionen Dollar und eine Überweisung von weiteren 500.000 Dollar, um Nelsons Anwaltskosten zu übernehmen. Was die Beweisaufnahme produzierte, kam mit Verspätung 2009 an die Öffentlichkeit. Es enthüllte, wie die Beziehung zwischen Cuban und Nelson zerschlissen war. Im Mittelpunkt niemand anderer als der Star der Mannschaft: Dirk Nowitzki.
Ausgangspunkt für die Reibung war eine Situation von 2003 gewesen, als sich Nelson weigerte, im sechsten Spiel der Finalserie der Western Conference gegen die San Antonio Spurs, Nowitzki einzusetzen. Der hatte sich in einem voraufgegangenen Spiel eine Knieverletzung zugezogen. Cuban hingegen verlangte, angeblich nach Konsultation mit dem Teamarzt, den Würzburger trotzdem aufzustellen. Ohne ihn verloren die Mavericks das Spiel und die Serie.
Nelson erklärte im Schiedsgerichtsverfahren, weshalb er der Forderung seines Arbeitgebers nicht nachgekommen sei: Er habe als Spieler selbst eine ähnliche Verletzung erlitten und sich deshalb Sorgen gemacht, dass ein Einsatz Auswirkungen auf die weitere Basketball-Karriere von Dirk Nowitzki haben könnte. „Ich wollte diesen jungen Spieler nicht wegen eines einzigen Spiels einem solchen Risiko ausliefern. Egal wie wichtig dieses Spiel in diesem Moment auch gewesen sein mag.“
Von da an wurde Nelson bei Beratungen über Verpflichtungen von Spielern bewusst ausgeschaltet. Das Kuriose an der Situation: Auf seinen Sohn Donn – Spitzname Donnie – , den er nach Dallas gebracht und in der Position des für personelle Entscheidungen Verantwortlichen installiert hatte, wirkte sich das alles überhaupt nicht aus. Der arbeitet auch heute noch bei den Mavericks. Seit 2005 in der Position des General Managers.
Aber zurück zum Draft-Abend von Vancouver, an dem sich Don auf die Kompetenz seines Sohnes verließ. Mit ihm sind nämlich zwei weitere Namen verknüpft, die nicht mit dem Buchstaben N anfangen. Beide gelten heute nur noch als Randfiguren in der Biographie von Dirk Nowitzki. Denn genau genommen hatte die Episode, in der die beiden eine Rolle spielten, keinen unmittelbaren Einfluss auf den Werdegang des Basketballers aus Würzburg.
Aber erwähnen muss man die beiden Männer trotzdem. Denn sie tauchen immer wieder in einer Geschichte auf, die scheinbar so plastisch und rund klingt: In ihr wird nämlich immer so getan, als hätten an diesem Abend die Milwaukee Bucks die Chance gehabt, den von ihnen gedrafteten Dirk Nowitzki zu behalten, den sie aber an die Mavericks im Tausch gegen einen anderen Spieler abgegeben hatten. Diese Aktion gilt kurioserweise als einer der krassesten Fehlgriffe in der Geschichte der NBA-Trades. Tatsächlich ist nur eines an dieser Episode wirklich interessant: Sie ist grundfalsch. Ein Ammenmärchen. Oder wie man heute gerne sagt: eine urban legend.
Der Name des Mannes, der in diesem Märchen immer als angeblicher Hauptversager genannt wird, lautet Bob Weinhauer. Der amtierte 1998 als General Manager der Milwaukee Bucks. Ein guter Bekannter von Don Nelson übrigens und jemand, der schon mal in dessen Gästehaus direkt am Ozean in Maui Urlaub gemacht hat und dort den Sonnenuntergang genoss: „Es ist wunderbar. Eine komplette Seite besteht aus Glas und öffnet sich zum Swimmingpool. Und man sieht dahinter den Strand. Du öffnest die Tür, und es kommt eine frische Brise herein.“
Der zweite Name ist nicht minder wichtig, aber gilt eher als tragische Nebenfigur. Dabei handelt es sich um einen jungen Basketballspieler aus Detroit, den Weinhauer damals unbedingt verpflichten wollte und dies auch tat: Robert Traylor. Ein wuchtiger, großer Typ, der schon in seiner Jugend mit einem plakativen Spitznamen versehen wurde: „Tractor Traylor“ – ein Wortspiel, das von einem Journalisten der Detroit News erfunden worden war.4
Weinhauer hatte in seiner Karriere einen sehr guten Lauf gehabt – zunächst als Assistent und Protegé des Dream-Team-Trainers Chuck Daly, als College-Coach in Pennsylvania und Arizona und als Assistenztrainer in der NBA, dann als Head Coach bei den Philadelphia 76ers, Atlanta Hawks und Minnesota Timberwolves. Zwischen 1994 und 1997 lag seine erfolgreichste Karrierephase. Damals war er Chefmanager der Houston Rockets. Das Team gewann in dieser Zeitspanne gleich zweimal die NBA-Meisterschaft.
Seine Vita hat allerdings selbst unter Basketballkennern keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es gab bis vor kurzem nicht mal eine Wikipedia-Seite über ihn. Und die enthält bis heute keine Korrektur jener immer wieder gern erzählten Sottise über den „einseitigsten Trade in