Compliance Management im Unternehmen. Martin R. Schulz
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Hierher gehört insbesondere die Compliance-Verpflichtung des Unternehmens,202 wobei allerdings (noch) streitig ist, ob der Betrieb eines Compliance-Management-Systems bereits eine Rechtspflicht des Unternehmens darstellt oder nur eines von mehreren geeigneten Mitteln zur Wahrnehmung der Aufsichtspflicht ist. Anders sieht es natürlich aus, wenn das Gesetz selbst (vgl. etwa §§ 25a KWG, 33 WpHG, 9, 9a GWG, 64a VAG, 52aff. BImschG) Vorgaben für die Einrichtung eines Compliance- oder Risikomanagements macht.203 Im Hinblick auf die allgemeine Compliance-Verpflichtung des Unternehmens wegweisend sind insoweit die Ausführungen des LG München I in der sog. „Neubürger-Entscheidung“, ausweislich derer die Einhaltung des Legalitätsprinzips und demgemäß die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems zur Gesamtverantwortung des Vorstands gehöre. Ein Vorstandsmitglied habe daher im Rahmen seiner Legalitätspflicht dafür Sorge zu tragen, dass ein Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt wird, dass „keine Gesetzesverstöße wie Schmiergeldzahlungen an Amtsträger eines ausländischen Staates oder an ausländische Privatpersonen“ erfolgen. Seiner Organisationspflicht genüge ein Vorstandsmitglied bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichte, wobei für den Umfang im Einzelnen Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit zu beachten seien.204 Die vom Landgericht München aufgestellten Compliance-Verpflichtungen sind jedoch heftig umstritten und können jedenfalls straf- bzw. ordnungsrechtlich nicht unmittelbar auf die Pflichtenbestimmung i.S.v. § 130 OWiG Anwendung finden.205
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Eine Darstellung, welche (Aufsichts-)Maßnahmen im Rahmen der Good Corporate Governance unterschiedlicher Unternehmen, die teilweise einem völlig anderen Regelungsregime unterliegen, erforderlich, zulässig und zumutbar und damit „best practice“ sind, würde den Rahmen dieses Beitrages jedoch sprengen, so dass insoweit auf die unterschiedlichen Kapitel dieses Handbuches sowie weiterführend auf die Kommentarliteratur zu § 130 OWiG verwiesen werden muss.
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Umstritten ist auch die Frage, ob § 130 OWiG in einem Konzernsachverhalt im Falle eines Fehlverhaltens der Tochtergesellschaft auch die Verhängung einer Geldbuße gegen die Konzernobergesellschaft ermöglicht. Das Bundeskartellamt bejaht diese Frage, die Rechtsprechung sieht dies allerdings durchaus differenzierter. Das OLG München hat insoweit unlängst befunden, dass eine dahingehende gesellschaftsrechtliche Aufsichtspflicht nur im Falle konkreter Weisungen der Konzernobergesellschaft angenommen werden kann.206
V. Strafrechtliche Risiken der Non-Compliance für das Unternehmen
1. (Unternehmens-)Strafrecht
a) Überblick
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Nach einigen gescheiterten Initiativen zur Schaffung eines echten Unternehmensstrafrechts207 hat die Bundesregierung unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) am 16.6.2020 den lange erwarteten Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ vorgelegt, das in seinem Art. 1 den Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG-E) enthält. Mittels des VerSanG soll zukünftig die Verhängung empfindlicher – im schlimmsten Fall existenzbedrohender – Sanktionen möglich werden. Je nach Unternehmensgröße und Tat ist es denkbar, dass zukünftig Strafzahlungen in Milliardenhöhe, die bislang eher aus dem europäischen Kartellrecht und ausländischen Rechtsordnungen bekannt sind, auch in deutschen Straf- bzw. Sanktionsverfahren Realität werden. Nach Art. 15 VerSanG-E soll das Gesetz zudem erst zwei Jahre nach Verabschiedung in Kraft treten, um den Behörden und den Unternehmen ausreichend Zeit für die Umsetzung einzuräumen. Zum Zeitpunkt der Drucklegung war das Gesetz noch nicht verabschiedet. Nach einer kontroversen Diskussion auch im Bundesrat hat die Bundesregierung die Einwände der Verbände und auch des Bundesrates größtenteils verworfen und unter dem 21.10.2020 den finalen Entwurf dem Bundestag zur Beschlussfassung vorgelegt. Zum Zeitpunkt der Drucklegung war das Gesetz noch nicht verabschiedet.
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Doch auch unabhängig von der Geltung des Verbandssanktionengesetzes existierte bereits zuvor de facto ein effektives „Unternehmensstrafrecht“ i.w.S. über die Vorschriften der Verbandsgeldbuße aus § 30 OWiG sowie der Einziehung aus den §§ 73ff. StGB und § 29a OWiG sowie der Nebenbeteiligung des Unternehmens im Strafverfahren, mit denen Unternehmensgeldbußen verhängt und Umsätze aus strafrechtlich bemakelten Geschäften abgeschöpft werden konnten. Für den Fall einer Straftat als sog. „Bezugstat“ und damit Anknüpfungspunkt einer Sanktionierung des Unternehmens würde das VerSanG nach seinem Inkrafttreten die Regelung der Verbandsgeldbuße aus § 30 OWiG verdrängen, im Falle einer Ordnungswidrigkeit als Bezugstat jedoch bliebe § 30 OWiG weiterhin anwendbar.
b) Verbandssanktionengesetz208
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Das Verbandssanktionengesetz soll die Sanktionierung von Verbänden wegen Straftaten ermöglichen, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte (sog. „Verbandstaten“). Für solche Verbandstaten schafft das Gesetz mit der Verbandssanktion eine eigenständige Sanktionsart, die die bereits vorhandenen Elemente der Verbandsgeldbuße aufgreift und weiterentwickelt. Als Verbandssanktionen sieht § 8 VerSanG die „Verbandsgeldsanktion“ und die „Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt“ vor. Als weitere Folge kann daneben nach § 14 VerSanG die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung angeordnet werden, das sog. „Naming and Shaming“.209
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Nach § 9 Abs. 1 VerSanG kann eine Verbandsgeldsanktion grundsätzlich bis zu einer Höhe von 10 Mio. EUR verhängt werden. Um aber auch große Unternehmen und multinationale Konzerne adäquat treffen zu können, ermöglicht das Gesetz für Unternehmen mit einem Konzernumsatz von mehr als 100 Mio. EUR p.a. die Erhöhung der Geldsanktion bis zu einer Obergrenze von zehn Prozent des Jahresumsatzes. In der Praxis bedeutet das, dass es im Falle der Sanktionierung der deutschen Beteiligungsgesellschaften eines ausländischen Konzerns nicht auf den kleineren Umsatz der deutschen Beteiligung ankommt, sondern – bei Vorliegen der Voraussetzungen der wirtschaftlichen Einheit – auf den weltweiten Gesamtumsatz des Konzerns. Für fahrlässige Verbandstaten ist der Bußgeldrahmen jeweils halbiert.
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Die Verbandsgeldsanktion soll jedoch (anders als die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG) nicht zugleich das aus der Verbandstat erlangte Vermögen abschöpfen; die Abschöpfung des durch die Verbandstat Erlangten erfolgt daher in der Zukunft neben der Sanktionierung nach den Vorschriften über die Einziehung gem. §§ 73ff. StGB. Als reine „Sanktion“ ist die Verbandsgeldsanktion daher, wie die Geldstrafe bei natürlichen Personen, nicht steuermindernd als Betriebsausgabe absetzbar.210
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Voraussetzung der Sanktionierung ist eine sog. „Verbandstat“, also eine betriebsbezogene strafbare Handlung