Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen. Christoph Keller
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Überdies ist die Polizei sachlich zuständig aufgrund spezialgesetzlicher Regelungen, z. B. nach dem BVersG oder dem WaffG. Aus den genannten Bestimmungen ergibt sich eine sachliche Zuständigkeit der Kreispolizeibehörden (§ 2 Abs. 1 POG NRW). Für diese handeln die tätig werdenden Polizeibeamtinnen und -beamten („Amtswalter“).
Unausrottbar scheint die in Polizeirechtsklausuren ausgelebte Neigung zu sein, innerhalb der – zumeist unproblematischen – Zuständigkeitsprüfung – eingehend darzulegen, dass eine konkrete oder gar qualifizierte (z. B. gegenwärtige) Gefahr vorliegt. Eine solche Erörterung wirkt besonders befremdlich, wenn die spätere Eingriffsnorm überhaupt keine konkrete Gefahr voraussetzt (z. B. § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW).33
Verfahren
Bei der Frage des Verfahrens ist danach zu differenzieren, ob die Maßnahme als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist oder nicht, denn die allgemeinen Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze gelten (vgl. § 9 VwVfG NRW) – nur bei Verfahren, die auf den Erlass eines Verwaltungsaktes (oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages) gerichtet sind.34 Die Relevanz der Unterscheidung zwischen Verwaltungs- und Realakt ist an dieser Stelle allerdings gering. Da weder das VwVfG NRW noch das PolG NRW für Realakte Verfahrensanforderungen normieren35, wird für Realakte auch eine Regelungslücke angenommen. Insoweit wird teilweise vertreten, die Regelungen des VwVfG NRW für Verwaltungsakte analog auch auf Realakte anzuwenden.36 Im Falle des Erlasses eines Verwaltungsaktes ist das Anhörungsgebot aus § 28 Abs. 1 VwVfG NRW zu beachten. Die Norm ist auch dort anzuwenden, wo es keine inhaltsgleiche gesetzliche Regelung gibt.37 Verlangt wird, dass dem Adressaten eines ihn belastenden Verwaltungsakts vor dessen Erlass Gelegenheit dazu gegeben werden muss, sich zum Sachverhalt zu äußern (Anhörung). Ist eine Anhörung erfolgt (bzw. hat der Adressat die Gelegenheit zur Äußerung erhalten, sie aber nicht genutzt), kann dies schlicht festgestellt werden.38 Nur wenn Verfahrensvorschriften verletzt wurden, sind die Rechtsfolgen dazulegen. Fehlt eine vorherige Anhörung, ist zu erörtern, ob von ihr nach § 28 Abs. 2 VwVfG NRW abgesehen werden konnte.39
Form
Im dritten Schritt ist der Frage nachzugehen, ob die Maßnahme unter Einhaltung bestehender Formvorschriften getroffen wurde. Gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 VwVfG kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Realakte sind (mit Ausnahme schriftlicher Hinweise u. ä. ohne Regelungscharakter) regelmäßig faktische Handlungen, die nicht in einer bestimmten „Form“ erfolgen können (z. B. der Einsatz von unmittelbarem Zwang).40
Von Bedeutung ist zudem, dass gem. § 41 VwVfG jeder Verwaltungsakt bekannt gegeben werden muss. Ansonsten kommt allenfalls ein Vorgehen der Polizei im Rahmen des Sofortvollzugs in Betracht.41 Gem. § 43 Abs. 1 VwVfG NRW wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.
Sind entsprechende (Form-)Vorschriften verletzt worden, sind die Rechtsfolgen anhand der §§ 44–46 VwVfG NRW zu untersuchen.
Begründung
Im vierten Schritt ist darzulegen, ob die entsprechende Verfügung begründet wurde. Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW; Ausnahmen in Absatz 2).
Ordnungsgemäße Bekanntgabe
Für die Zugang mündlicher Verwaltungsakte ist eine tatsächliche Kenntnisnahme erforderlich. Für den Zugang schriftlicher Verwaltungsakte ist eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht vonnöten. Der schriftliche Verwaltungsakt muss in den Machtbereich des Empfängers gelangt sein (§ 41 Abs. 2 VwVfG NRW und subsidiär § 130 BGB analog).42
Wenn der Sachverhalt zu Zuständigkeit, Verfahren oder Form keine Angaben enthält, dürfen die entsprechenden Punkte nicht etwa in der Weise im Gutachtenstil behandelt werden, dass erst umständlich ein Obersatz und eine Definition gebildet werden, um dann lapidar festzustellen, dass der Sachverhalt zu diesen Punkten schweigt. Stattdessen gilt der Grundsatz, dass mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass die Behörden richtig gehandelt haben.43
zu III. Materielle Rechtmäßigkeit
Die materielle Rechtmäßigkeitsprüfung setzt sich aus der Untersuchung des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage („Vorbehalt des Gesetzes“), der Behandlung der besonderen (maßnahmenspezifischen) Verfahrensanforderungen (Anordnungsbefugnis und Durchführungsbestimmungen), Überlegungen zum zulässigen Adressaten, zur Rechtsfolge, zum Ermessen und zur Verhältnismäßigkeit zusammen.
Tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
Viele Ermächtigungen enthalten lediglich eine Ermächtigungsgrundlage, andere gliedern sich dagegen in mehrere solcher Grundlagen. Zudem kann es erforderlich sein, weitere gesetzliche Vorschriften heranzuziehen, die z. B. Definitionen tatbestandlicher Voraussetzungen enthalten oder diese wiederum an weitere Voraussetzungen knüpfen.44
Besondere Verfahrensvorschriften
Während die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen die Frage behandelt, „ob“ die Polizei eine bestimmte Maßnahme treffen darf, regeln die maßnahmenspezifischen Verfahrensanforderungen das „Wie“. Aufgrund des Grundsatzes des „Vorrangs des Gesetzes“ haben die handelnden Polizeibeamtinnen und -beamten auch diese Anforderungen zu beachten. Nicht jeder Verstoß führt allerdings zur Rechtswidrigkeit der Eingriffsmaßnahme.45 Auch ist zu klären, wer die konkrete Maßnahme anordnen (bzw. durchführen) darf. Bestimmte Ermächtigungsgrundlagen verlangen zudem die Beachtung besonderer Durchführungsbestimmungen. So ordnet § 39 Abs. 3 Satz 1 PolG NRW als Durchführungsbestimmung für die Durchsuchung von Personen an, dass Personen nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchsucht werden dürfen.
Adressat
Zu klären