Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen. Christoph Keller
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Rechtsfolge
Unter dem Punkt „Rechtsfolge“ ist zu erörtern, ob die tatsächlich getroffene Maßnahme von der Ermächtigungsgrundlage erfasst ist, also „gedeckt“ ist. Es bietet sich an, an dieser Stelle zu definieren, zu welchen Maßnahmen die Norm konkret ermächtigt.47 Prüfungsmaßstab ist damit die Frage, ob sich die Maßnahme innerhalb des durch die Ermächtigungsgrundlage eröffneten Rechtsfolgerahmens bewegt. Dies ist keinesfalls nur eine Frage des Ermessens, vielmehr sind der Maßnahme auch zahlreiche, von der Willensbildung der Behörde unabhängige, objektive Grenzen gesetzt. Die wichtigste dieser Fragen, nämlich ob die Maßnahme abstrakt der von der Ermächtigungsgrundlage vorgesehenen Rechtsfolge entspricht, wurde allerdings bei der Suche nach der richtigen Ermächtigungsgrundlage vorweggenommen.48
Bestimmtheit (§ 37 Abs. 1 VwVfG NRW)
Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, dass auch die im Einzelfall polizeilich getroffene Maßnahme hinreichend bestimmt sein muss. Der Adressat muss erkennen können, wie er sich zu verhalten hat, um dem ihm auferlegten Ge- oder Verbot zu entsprechen. Polizeiliche Maßnahmen genügen diesen Anforderungen, wenn sie so bestimmt sind, dass sie aus sich selbst heraus verständlich sind und ohne weitere Konkretisierung Grundlage einer nachfolgenden Vollstreckungsmaßnahme sein können.49 Ist ein polizeilicher Verwaltungsakt nicht inhaltlich hinreichend bestimmt, ist er materiell rechtswidrig und im schlimmsten Fall sogar nichtig.50
Ermessen (Entschließungs- und Auswahlermessen)
„Ermessen“ bedeutet, dass den handelnden Polizeibeamten durch die Ermächtigungsgrundlage Entscheidungsspielräume hinsichtlich der Rechtsfolge, also der zu treffenden Maßnahme eingeräumt sind.51 Zwei Stufen der Ermessenausübung sind zu unterscheiden:52
– Entschließungsermessen: Infrage steht das Handeln überhaupt.
– Auswahlermessen: Infragesteht die Art der Maßnahme selbst.
Bei präventivem Handeln, insbesondere zur Gefahrenabwehr, kommt der Polizei ein Entschließungsermessen zu. Sie kann also entscheiden, ob sie überhaupt tätig wird. Gem. § 3 Abs. 1 PolG NRW hat die Polizei ihre Maßnahmen nach „pflichtgemäßem Ermessen“ zu treffen (§ 3 Abs. 1 PolG NRW). Bei der Rechtmäßigkeitsprüfung einer bereits getroffenen Maßnahme ist allein zu prüfen, ob der Polizei Ermessensfehler unterlaufen sind. Die Frage der Ermessensreduzierung spielt dabei hauptsächlich in Verpflichtungskonstellationen eine Rolle, in denen ein Anspruch auf das Ergreifen einer bestimmten Maßnahme geltend gemacht wird. Mitunter besteht eine „Ermessensreduktion auf Null“, insbesondere wenn es um die Abwehr von Lebensgefahren geht.53 Ob eine Ermessensreduktion auf Null vorliegt, ist im Rahmen einer Güterabwägung zu ermitteln. Ermessensreduzierende Gründe sind dabei:54
– Schwere und Ausmaß der Gefahr,
– die hohe Bedeutung des gefährdeten Rechtsguts und
– die Möglichkeit der Polizei zum Handeln und das Fehlen anderer vorrangiger Aufgaben.
Die Schutzpflicht des Staates ist umso stringenter, je höher der Rang des jeweiligen Grundrechts bzw. Rechtsguts innerhalb der Wertordnung anzusetzen ist.
Liegt der Anfangsverdacht einer Straftat vor, greift das sog. Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2, § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO).55 Ein „Entschließungsermessen“ der Polizei, ob sie überhaupt zur Erforschung der Straftat tätig wird, besteht in diesem Fall nicht. Unzutreffend ist es allerdings, bei repressiven Maßnahmen im Zusammenhang mit Straftaten ein Ermessen generell abzulehnen. Denn die handelnden Polizeibeamten können auch im repressiven Tätigkeitsfeld entscheiden, an wen sie ihre Maßnahmen richten, z. B. welchen Zeugen sie zuerst vernehmen bzw. welche repressiven Maßnahmen zunächst getroffen werden sollen.
Formulierungsvorschlag:56
„Bei repressiven Maßnahmen im Zusammenhang mit Straftaten ist das Entschließungsermessen wegen des Legalitätsgrundsatzes auf Null reduziert. Ermessensfehler sind im Übrigen nicht ersichtlich.“
Verhältnismäßigkeit i. w. S./Übermaßverbot
Die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes spielt eine entscheidende Rolle und wird in vier Schritten vollzogen
(1) Legitimität des Zwecks der Maßnahme; dieser Zweck der Maßnahme ist dann legitim, wenn er sich im Rahmen der Staatsaufgaben bewegt
(2) Geeignetheit der Maßnahme; die Maßnahme ist geeignet, wenn sie zur Erreichung des angestrebten Ziels objektiv zwecktauglich ist
(3) Erforderlichkeit der Maßnahme; die Maßnahme ist erforderlich, wenn kein anderes milderes Mittel zur Verfügung steht
(4) Verhältnismäßigkeit i. e. S.; die Maßnahme ist angemessen, wenn sie den Betroffenen nicht übermäßig belastet und nicht unzumutbar ist. „Zweck“ und „Mittel“ müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen (sog. „Mittel-Zweck-Relation“).57
Der legitime Zweck ist zu bestimmen, um im Rahmen der Geeignetheit feststellen zu können, ob die Maßnahme diesen Zweck jedenfalls fördern kann. Bei präventiven Maßnahmen kann als Zweck allgemeiner die Gefahrenabwehr, konkreter das jeweils geschützte Rechtsgut (bzw. die geschützten Rechtsgüter) benannt werden.58 Bei repressiven Maßnahmen ist der Zweck die Sicherung einer ordnungsgemäßen Strafverfolgung bzw. einer Ahndung von Ordnungswidrigkeiten.59
Eine Maßnahme ist geeignet, wenn sie objektiv zwecktauglich ist, das polizeiliche Ziel zu erreichen, wenn sie den Zweck jedenfalls fördern kann („Schritt in die richtige Richtung“). Nur wenn sie unter allen denkbaren Gesichtspunkten nichts zur Erreichung des Zwecks beitragen kann, ist sie als ungeeignet und damit als unverhältnismäßig (und rechtswidrig) zu bewerten.
Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn es kein milderes, mindestens gleich geeignetes