Kartellrechtliche Schadensersatzklagen. Fabian Stancke
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Zur Bestimmung des Erfolgsortes stellte der EuGH nicht mehr nur auf den Sitz des geschädigten Logistikunternehmens ab. Vielmehr legte er den Erfolgsort in den Mitgliedstaat, dessen Markt von dem Kartell betroffen war und in dem sich der behauptete Schaden konkret gezeigt hatte.163 Dieses Gericht sei aufgrund der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme am besten in der Lage, die Schadensersatzklage sachgerecht zu prüfen.164 Zudem werde der Gleichklang mit dem kollisionsrechtlichen Auswirkungsprinzip in Art. 6 Abs. 3 Rom II-Verordnung hergestellt. Schließlich sei auch das Vorhersehbarkeitskriterium beachtet, denn ein Kartellbeteiligter müsse damit rechnen, in denjenigen Ländern verklagt zu werden, auf die sich seine wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen ausgewirkt haben.
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Mit diesem Urteil hat der EuGH seine Feststellungen im CDC-Urteil ergänzt. Anders als bei flyLAL lag bei Tibor-Trans eine vergleichbare Konstellation zugrunde. Der EuGH hätte somit die Grundsätze der CDC-Entscheidung anwenden und auf den Sitz des geschädigten Abnehmers in Ungarn als Erfolgsort abstellen können. Stattdessen hat er einen anderen Ansatz gewählt und auf den beeinträchtigten Markt sowie die dortige Schadensentstehung abgestellt. Dieser Ansatz führte im konkreten Fall zu keinen Schwierigkeiten, denn das Lkw-Kartell erstreckte sich auf den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum, somit auch auf den Markt in Ungarn, und zugleich war der Schaden der Klägerin dort entstanden, weil sie ihren Geschäftssitz dort hat.
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Es stellt sich aber die Folgefrage, was gilt, wenn der Ort des Schadens und der betroffene Markt auseinanderfallen (etwa bei Diskrepanz zwischen Sitz des Abnehmers und faktischem Lieferort oder bei nur mittelbaren Schäden165). Einige meinen, dass es in diesen Fällen allein auf den Marktort ankommt.166 Dafür ließe sich mit der Tibor-Trans-Urteilsbegründung argumentieren, wonach Kartellanten damit rechnen müssen, in denjenigen Mitgliedstaaten verklagt zu werden, deren Märkte sie verzerren. Demgegenüber könne der Ort des tatsächlichen Schadenseintritts von Zufälligkeiten geprägt sein, die keinerlei Bezug zum Kartelldelikt aufweisen.167 Es bleibt abzuwarten, wie sich der EuGH in dieser Frage positionieren wird. Er wird – angesichts der vielen anhängigen Kartellschadensersatzverfahren – hierzu Gelegenheit haben. Vermutlich wird er den Marktort neben dem Geschäftssitz des Geschädigten als Erfolgsort etablieren.
ee) Konsequenzen für die gerichtliche Praxis und offene Fragen
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Obgleich der EuGH nicht, wie vom Generalanwalt Jääskinen im CDC-Urteil168 gefordert, den Handlungsort als Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeitsbestimmung in komplexen Kartellfällen hat entfallen lassen, dürfte dem Forum am Kartell-Gründungsort nur geringe praktische Bedeutung zukommen.169 Hierfür wird es in den meisten Fällen schlicht an einer alles determinierenden „Ur-Kartellabrede“ fehlen. Das gilt vor allem im Falle eines über einen langen Zeitraum andauernden Verstoßes mit vielen und wechselnden, europa- oder gar weltweit verteilten Beteiligten. Auch in der Entscheidungspraxis der Kommission wird regelmäßig kein zentraler „monokausaler“ Gründungsort eines Kartells identifiziert.
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Zudem lassen sich abgestimmte Verhaltensweisen, denen schon ihrem Wesen nach nicht zwingend eine konkrete Einzelabsprache zugrunde liegt, auf diese Art nicht erfassen. Selbst wenn es in einem Einzelfall einen solchen Gründungsort geben sollte, dürfte es den Klägern in der Praxis schwerfallen, diesen hinreichend darzulegen und zu beweisen. Da ein bestimmter Gründungsort für die Begründetheit eines Kartellschadensersatzanspruchs keine notwendige Voraussetzung ist, handelt es sich dabei um keine doppelrelevante Tatsache, so dass ein schlüssiger Vortrag nicht ausreicht.
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Die dem Kläger im CDC-Urteil alternativ eröffnete Möglichkeit, sich mittels der Darlegung einer konkreten Einzelabsprache auf den deliktischen Gerichtsstand des Handlungsortes zu berufen, führt zu einer Vielzahl von potenziellen Gerichtsständen, wie sie der EuGH in anderen Fällen zu vermeiden bestrebt ist.170 Sie ist aber auch für den Kläger kaum hilfreich. Zum einen wird der Kläger dazu gezwungen, eine Reihe von Gerichtsverfahren parallel zu führen, da die Kognitionsbefugnis der Gerichte am Teilgerichtsstand eingeschränkt ist. Zum anderen steht er vor erheblichen Darlegungs- und Beweisproblemen hinsichtlich der Absprache und deren alleiniger Ursächlichkeit für einen konkreten Schaden.171 Auch hinsichtlich der für die Darlegung einer Einzelabsprache notwendigen Details gilt, dass sich diese regelmäßig nicht der jeweiligen Kommissionsentscheidung entnehmen lassen, zumindest was die nichtvertrauliche Fassung betrifft. Ohnehin würde dem Kläger dadurch nicht der Nachweis der Ursächlichkeit einer bestimmten Einzelabsprache für einen konkreten Teilschaden erspart, weil er sich insoweit nicht auf die Bindungswirkung der Kommissionsentscheidung berufen kann.
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Erschwerend kommt hinzu, dass die einzelnen Teilabsprachen in einem über einen längeren Zeitraum hinweg fortgesetzten Kartell regelmäßig nicht isoliert für sich stehen, sondern ineinandergreifen und aufeinander aufbauen. Es wird im Regelfall kaum möglich sein, diese ineinandergreifenden Kausalketten künstlich so aufzuspalten, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen nur einer Teilabrede und dem Gesamtschaden hergestellt werden kann.172
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Die Klarstellung des EuGH in Sachen flyLAL, namentlich dass die „Durchführung“ einer wettbewerbswidrigen Abrede eine eigene unerlaubte Handlung (im zuständigkeitsrechtlichen Sinne) darstellen kann und in diesem Fall einen gesonderten Gerichtsstand begründet, ist zu begrüßen. Die vom EuGH zusätzlich geforderte Festlegung auf einen Gerichtsstand bei einer einheitlichen Strategie der Kartellbeteiligten, führt allerdings zu Rechtsunsicherheit. Mangels klarer Kriterien zur Bestimmung des „Schwerpunkthandlungsortes“ gerät diese Auslegung mit dem europäischen Harmonisierungsziel in Konflikt.
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Größere praktische Bedeutung kommt ohnehin dem Erfolgsort i.S.d. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu. Wie dargelegt, hat der EuGH in jüngerer Zeit verstärkt auf das Marktortprinzip abgestellt, zumindest wenn der Schaden auch konkret am Marktort eintritt. Ob darin eine Abkehr vom Klägergerichtsstand am Firmensitz des Geschädigten zu sehen ist, ist noch offen, erscheint aber eher unwahrscheinlich.
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Der EuGH wird sich auch künftig mit Vorlagefragen zur internationalen Zuständigkeit in kartellrechtlichen Schadensersatzprozessen auseinandersetzen müssen. Ein weiteres Vorabentscheidungsverfahren zum forum delicti in einer Klage zum Lkw-Kartell ist bereits beim EuGH anhängig.173 Auslöser für die Vorlagefrage eines Madrider Gerichts war eine Follow-On-Klage eines geschädigten Lkw-Abnehmers. Der Kläger mit Sitz in der Stadt Córdoba richtete seine Klage gegen vier Unternehmen der Volvo-Gruppe. Bei drei der beklagten Unternehmen handelt es sich um Adressaten der Lkw-Kartell-Bußgeldentscheidung mit Sitz außerhalb Spaniens. Die vierte Beklagte, eine spanische Tochtergesellschaft der Volvo-Gruppe, ist nicht Adressatin der Bußgeldentscheidung und hat ihren Sitz in Madrid.174
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Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass spanische Gerichte unter Zugrundelegung der CDC- und Tibor Trans-Entscheidungen gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO international zuständig sind. Der Erfolgsort liege in Spanien, da das Lkw-Kartell (auch) den spanischen Markt beeinträchtigt und der Kläger dort seinen Schaden erlitten habe. Das Gericht hat jedoch Zweifel an der Reichweite von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO: Regelt Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ausschließlich die internationale Zuständigkeit