Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche. Kathrin Loewe

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Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche - Kathrin Loewe Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht

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in die bestehende Arbeitsplatzsituation eingegriffen werden, um beispielsweise einen Arbeitsplatz oder Arbeitsabläufe möglichst menschengerecht zu machen.87 Ein entscheidender Ansatz des Arbeitsschutzes ist es, zur optimalen Zielerreichung präventionsorientiert zu handeln, um einen möglichen Schaden von vornherein zu vermeiden. Dabei gilt es nicht nur, spontane Verletzungen und plötzliche Erkrankungen zu verhüten, sondern vor allem auch Gesundheitsbeeinträchtigungen, die durch lang anhaltende Überbeanspruchung oder durch ständiges Einwirken von Arbeitsstoffen nach und nach eintreten, wie etwa Berufskrankheiten.88

      Die verfassungsrechtliche Grundlage des Arbeitsschutzrechts ist an Art. 1 Abs. 1 (Schutz der Menschenwürde), Art. 2 Abs. 2 (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) und Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) festzumachen89, da das Grundgesetz abgesehen von Art. 74 Nr. 12 GG, der die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes vorschreibt, keine Bestimmungen enthält, die sich speziell auf den Arbeitsschutz beziehen. Diese Grundrechte sind nicht nur subjektive Abwehrrechte jedes Einzelnen gegenüber dem Staat, sondern nach der Rechtsprechung des BVerfG folgt aus diesen Grundrechtsbestimmungen auch eine Verpflichtung des Gesetzgebers, Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer zu erlassen.90 Denn bei einer ungleichen Kräfteverteilung wie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen staatliche Regelungen auch im Bereich des Vertragsrechts ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern.91 Dies kann in Form öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Pflichten erfolgen. Staatliche Regelungen sind auch für die Privatautonomie unerlässlich, um dem sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewicht entgegenzuwirken und damit die Voraussetzungen für eine rechtsgeschäftliche Ordnung zu schaffen.92 Allerdings muss dieser Schutz nicht so weit gehen, dass die Arbeitswelt als risikofreie Zone gebildet werden müsste, denn so würde möglicherweise auch die gewissenhafte Nutzung der fortschrittlichen Technik schon von vornherein ausgeschlossen.93

      Das öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzrecht in Deutschland ist von seinem dualen Aufbau geprägt. Es entfällt in folgende zwei Gruppen: das staatliche Arbeitsschutzrecht und das öffentlich-rechtliche, autonome oder auch unfallversicherungsrechtliches Arbeitsschutzrecht genannt.94 Letzteres ist durch das Siebte Sozialgesetzbuch (SGB VII) geregelt und wird durch die Unfallversicherungsträger wahrgenommen. Diese sind in erster Linie Berufsgenossenschaften sowie Gemeinde- und Eigenunfallversicherungsträger.95 Aufgabe der Unfallversicherung ist es, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu vermeiden bzw. nach Eintritt eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit, die Gesundheit des Betroffenen wiederherzustellen § 1 SGB VII. Der Arbeitsschutz wird hier durch mittelbare Staatstätigkeit wahrgenommen, indem der Staat die Regelungskompetenzen der Unfallversicherungsträger in diesem Bereich durch das SGB VII festgelegt hat.

      Im Bereich des staatlichen Arbeitsschutzrechts schafft der Staat Gesetze und sichert ihre Einhaltung durch staatliche Ämter für Arbeitsschutz bzw. Gewerbeaufsichtsämter.96 Man unterscheidet zwischen dem technischen und dem sozialen Arbeitsschutz. Ersterer lässt sich systematisch wiederum in Vorschriften den betrieblichen Arbeitsschutz betreffend und in Regelungen einteilen, die den produktbezogenen Gefahrenschutz angehen. Wichtige Gesetze sind dabei das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), das SGB VII und das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (PSG). Der soziale Arbeitsschutz umfasst neben dem Arbeitszeitschutz nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) auch den Schutz bestimmter Personengruppen im Arbeitsleben, wie beispielsweise werdende Mütter im Mutterschutzgesetz (MuSchG), Jugendliche im Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) oder eben den Schutz schwerbehinderter Menschen nach dem SGB IX.97 98

      Das duale Arbeitsschutzsystem wird durch eine weitere Ebene, die betriebliche Ebene, ergänzt, die bei der Durchführung und Ausfüllung der Regelungen des Arbeitsschutzes eine erhebliche Rolle spielt. Sie bezieht folgende betriebliche Akteure in die Durchführung des Arbeitsschutzrechts mit ein: der jeweilige Betriebsrat bzw. Personalrat, einzelne Beschäftigte sowie die vom Arbeitgeber aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen bestellte Personen, wie etwa Sicherheitsbeauftragte nach dem SGB VII oder Betriebsärzte nach dem ASiG.99 Letztlich führt diese Einbeziehung in die Durchführung des Arbeitsschutzrechts zu einer Dreigleisigkeit des Arbeitsschutzsystems.100 Dem Betriebsrat kommt vor allem im betrieblichen Arbeitsschutz eine zentrale Rolle zu, da ihm bei ausfüllungsbedürftigen Rahmenregelungen häufig ein Beteiligungs- oder Mitbestimmungsrecht zusteht wie etwa nach § 87 Abs. 1 BetrVG bzw. bei Vorschriften ohne arbeitgeberseitigen Gestaltungsspielraum ein Überwachungsrecht zukommt.101 Zudem ist er verpflichtet, den Arbeitsschutz im Betrieb zu fördern, § 80 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG. Das BetrVG selbst ist somit ebenfalls Arbeitsschutzrecht102 und ist zugleich zum Bereich des kollektiven Arbeitsrechts zu zählen. Es sind außerdem in weiteren Arbeitsschutzgesetzen, außerhalb des BetrVGs, Beteiligungsrechte des Betriebsrats verankert103, wie etwa in § 10 Abs. 2 ArbSchG oder in § 84 Abs. 2 SGB IX. Auch diese Rechte dienen letztlich dazu, die Umsetzung der jeweiligen Arbeitsschutz-vorschrift individuell für den Betrieb im Interesse der Arbeitnehmer zu regeln.

       II.SGB IX als Arbeitsschutzrecht

      Das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellt insgesamt eine Verknüpfung arbeits- und sozialrechtlicher Regelungen dar.104 Erstere sind hauptsächlich in den Paragraphen 68ff. SGB IX geregelt. Es ist Teil des staatlichen, sozialen Arbeitsschutzrechts.105 Mit Hilfe dieses Gesetzes soll den besonderen Bedürfnissen behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen Rechnung getragen werden, indem ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefördert wird. Gleichzeitig soll Benachteiligungen entgegengewirkt werden.106 Im Folgenden wird auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes eingegangen sowie auf seine verfassungsrechtliche Verankerung.

      Erst am 01.07.2001 ist das neunte Buch des Sozialgesetzbuches mit dem Titel „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ in Kraft getreten. Es kann aufgrund der langen Entstehungsgeschichte des Schwerbehindertenrechts insgesamt als das Ergebnis einer fast drei Jahrzehnte währenden Diskussion über das „Ob“ und „Wie“ eines einheitlichen Rehabilitationsrechts für behinderte Menschen angesehen werden.107

      Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde mehr und mehr die Idee eines Staates geboren, der die Widersprüche zwischen formaler Gleichheit und tatsächlicher Unterlegenheit – sei es aufgrund körperlicher Benachteiligungen oder aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit108 – versucht auszugleichen und so die Gesellschaft in ihrem Wirtschaftsleben nicht komplett sich selbst überlässt. Es wurde also die Idee eines Sozialstaates geboren, der zum Schutz Einzelner in die Gesellschaft ordnend eingreift.109 Kriegsgeschädigte, deren Anzahl mit dem technischen Fortschritt der Waffen immer mehr stieg, erlitten meist ein ähnliches Schicksal wie Personen, die Opfer von Betriebsunfällen geworden waren: Der Geschädigte erhielt zwar Schadensersatz im Rahmen des geltenden Haftpflichtrechts, letztlich konnte seine Versorgung dadurch aber nicht langfristig sichergestellt werden, so dass er meist auf die Armenpflege angewiesen war.110 Oberstes Ziel im Umgang mit Kriegsgeschädigten war es also, sie schnellstmöglich wieder erwerbsfähig zu machen und in das Wirtschaftsleben zurückzuführen.111 Ebenso wie die Weimarer Kirchenartikel wurde darum auch das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 06.04.1920 bereits zu Zeiten der Weimarer Republik erlassen. Es sah eine Pflichtquote der Beschäftigung von Schwerbeschädigten für alle Arbeitgeber vor und legte zudem einen besonderen Kündigungsschutz fest.112 Nach dem Zweiten Weltkrieg und einer daraus resultierenden hohen Anzahl Schwerbeschädigter wurde das soziale Arbeitsschutzrecht dann weiter ausgebaut. 1950 wurde das Gesetz über die Versorgung der Kriegsopfer (Bundesversorgungsgesetz)

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