Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG. Lisa Maria Völkerding
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Das katholische Eherecht hat einen großen Einfluss auf die arbeitsrechtliche Beziehung zwischen Kirche und Dienstnehmer. Da dem „Eheband“ die Bedeutung eines heiligen Sakraments zugesprochen wird, können Verstöße gegen die kanonischen Eheregelungen arbeitsrechtliche Disziplinarmaßnahmen und sogar eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen. Durch die Reform der GrOkathK wurden die Anforderungen einer auf diesen Grund gestützten Kündigung insofern erhöht, als dass für leitende Angestellte und Erzieher bzw. Erzieherinnen nicht mehr ohne Weiteres die für den Kündigungsausspruch erforderliche Gefährdungslage für die kirchliche Glaubwürdigkeit angenommen werden kann. Die dem Fall IR zugrunde liegende Kündigung hätte damit nach der Reform nicht mehr auf den streitgegenständlichen Sachverhalt der Wiederheirat gestützt werden können.307 Es bleibt allerdings dabei, dass die GrOkathK hinsichtlich der Wirksamkeit der Eheschließung nach der Konfession ihrer Mitarbeiter differenziert. Lediglich katholische Mitarbeiter sind dem Grunde nach an das katholische Eherecht gebunden, wobei die Rechtsfolgen je nach Einbindung in den kirchlichen Sendungsauftrag variieren.
Die zivilrechtlich wirksame Wiederheirat berechtigte aus Sicht der evangelischen Kirche hingegen bereits vor Reform der EKD-RL nicht ohne Weiteres zu einer Kündigung, da die evangelische Kirche die Wiederheirat von Geschiedenen unter bestimmten Bedingungen anerkennt.308 Ferner sah die EKD-RL stets eine Interessenabwägung vor (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 EKD-RL a.F.). Eine konfessionelle Differenzierung fand ebenfalls nicht statt.
Das mehrheitliche Beibehalten des „status quo“309 nach Reformierung der Loyalitätsanforderungen beider Kirchen erfährt teilweise Kritik.310 Gleichwohl würden sich die Kirchen durch den vollständigen Verzicht auf ihre Loyalitätsanforderungen (z.B. aufgrund der Lage des Arbeitsmarktes) dem Vorwurf der Beliebigkeit aussetzen.311 Dieser Kritikpunkt wird allerdings fragwürdig, wenn die Kirchen durch zu enggefasste Anforderungsprofile Gefahr liefen, ihre selbstaufgestellten Regelungen unangewendet zu lassen, um eine Stelle besetzen zu können. Es rückt in diesem Zusammenhang die Frage in den Fokus, inwieweit die Kirchen angesichts knapper personeller Ressourcen aufgrund von Angebot und Nachfrage den von ihr selbst aufgestellten Regelungen gerecht werden können. Bereits jetzt arbeiten viele nicht-konfessionelle Mitarbeiter für kirchliche Einrichtungen, weil schlichtweg nicht genügend getaufte Bewerber für die erforderlichen Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.312 Hierdurch könnten die Kirchen gehalten sein, Verhaltensweisen zu ignorieren, die dem Papier nach ein Einschreiten erfordern, eine Sanktion aber aus Personalnot oder anderen wirtschaftlichen Faktoren untunlich erscheint.313
Können die Loyalitätsanforderungen unter diesen Umständen noch für die staatlichen Gerichte bindend festlegen, was zur Erfüllung des Sendungsauftrag zwingend erforderlich ist? Eine Antwort hierauf kann nur unter Berücksichtigung des Telos der jeweiligen Regelung gefunden werden. Denn die konsequente Einhaltung der Loyalitätsanforderungen dient der Sicherung kirchlicher Glaubwürdigkeit.314 Wenn die Kirchen durch ihre tatsächliche Personalpraxis diese Zielsetzung konterkarieren, entwerten sie ihre selbstaufgestellten Regeln. Und wenn sie aufgrund der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt gezwungen sein sollten, Regelungen unangewendet zu lassen, sind diese Regelungen den wirtschaftlichen Erfordernissen anzupassen.315 Insoweit mag für die Zukunft der Loyalitätsobliegenheiten gelten, was Bischof Overbeck unter Verweis auf ein Lied von Wolf Biermann wegen der Herausforderungen des Dritten Weges einmal so treffend ausdrückte: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“316.
IV. Die Leitentscheidungen des BVerfG zur Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen
In dieser Arbeit wurde herausgearbeitet, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirche gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV den „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ unterliegt.317 Diese Schranken wurden für den Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts vom BVerfG zunächst in der Leitentscheidung Stern318 im Jahr 1985 definiert und in der Chefarzt319-Entscheidung im Jahr 2014 präzisiert. Auf beide Entscheidungen wird zwecks Bestimmung der Schranke des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Folgenden näher eingegangen.
1. Rechtliche Situation bis 1985320
Das BAG hatte spätestens mit der Caritassekretärin-Entscheidung vom 14. Oktober 1980321 seine Rechtsprechung dahingehend gefestigt, dass in die Bewertung der Gefährdung der kirchlichen Glaubwürdigkeit durch das Verhalten eines kirchlichen Mitarbeiters stets die Nähe der Tätigkeit zu dem „spezifisch kirchlichen Auftrag“ der Kirche einbezogen werden müsse.322 Entscheidend sei die besondere Identifikation des Mitarbeiters mit der Kirche.323 Die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche könne daher nicht allein wegen des Zusammenschlusses als Dienstgemeinschaft zur Erfüllung kirchlicher Aufgaben einheitlich angewendet werden.324
Bis zur Entscheidung des BVerfG im Jahr 1985 erkannte das BAG also die bindende Wirkung der dem Selbstverwaltungsrecht entspringenden Ausgestaltung kirchlicher Loyalitätsanforderungen nur hinsichtlich solcher Mitarbeiter an, die nach gerichtlicher Wertung den Verkündungsauftrag der Kirche erfüllten.325 Insofern behandelte das BAG die Kirchen wie gewöhnliche Tendenzbetriebe, da bei solchen stets die Nähe der Tätigkeit zur Unternehmenstendenz den Ausschlag dafür gibt, welche Anforderungen an den Mitarbeiter gestellt werden können.326 Diese Behandlung widersprach jedoch der Wesensnatur der Kirche, die sich von einem Tendenzbetrieb qualitativ unterscheidet und daher einer entsprechend anderen Behandlung bedarf.327 Konsequenterweise korrigierte das BVerfG die Rechtsprechung des BAG und stärkte die verfassungsrechtliche Sonderstellung der Kirchen in zwei Leitentscheidungen, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen.
2. Die Stern-Entscheidung des BVerfG
a) Hintergrund
Anlass für die erstmalige Befassung des BVerfG mit der Frage der Prüfungskompetenz von Arbeitsgerichten bei Kündigungen wegen Verstößen gegen kirchliche Loyalitätsobliegenheiten war u.a.328 ein Aufruf von 58 Personen, darunter mehrheitlich Ärzte, im Oktober 1979 in der Rubrik Leserbriefe der Wochenzeitschrift „Stern“. Unter dem Titel „Ärzte gegen Ärztefunktionäre“ argumentierte ein in einem katholischen Klinikum in Essen beschäftigter Assistenzarzt unter Angabe von Namen und Beschäftigungsort für die Abtreibungsmöglichkeit unfreiwillig schwanger gewordener Frauen und für die von der katholischen Kirche abgelehnte Regelung des § 218 StGB.329 Hieraufhin sprach ihm die Trägerin des Krankenhauses zunächst unter Berufung auf den § 16 Abs. 1 der AVR Caritas eine ordentliche Kündigung aus.330 Derselbe Arzt gab etwa einen Monat nach Ausspruch der Kündigung ein Fernsehinterview im Dritten Fernsehprogramm des WDR, in dem er seine im „Stern“-Magazin veröffentlichten Ansichten bekräftigte.331 Daraufhin wurde ihm noch einmal außerordentlich und hilfsweise ordentlich eine Kündigung ausgesprochen.332 Über alle drei Instanzen klagte der Assistenzarzt erfolgreich auf Feststellung der Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen.
Das BAG befand die vorinstanzliche Interessenabwägung gem. § 1 Abs. 2 KSchG sowie § 626 Abs. 1 BGB für beanstandungsfrei, da das LAG insbesondere berücksichtigt habe, dass der Leserbrief nicht unmittelbar gegen das den Kläger beschäftigende Krankenhaus adressiert gewesen sei, sondern an den Gesetzgeber.333 Auch seien die Äußerungen im Fernsehinterview maßvoll gehalten und im Kontext der ausgesprochenen Kündigung nachvollziehbar gewesen.334