Kirchliches Arbeitsrecht in Europa. Florian Scholz
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Die auf Grundlage des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts vorzunehmenden Modifikationen zur angemessenen Berücksichtigung des kirchlichen Selbstverständnisses wirken in sämtliche Bereiche des Arbeitsrechts hinein; kaum ein Feld bleibt ausgespart.369 Nachfolgend werden die für die Kirchen bedeutendsten Problemstellungen innerhalb des Individual- und Kollektivarbeitsrechts erörtert. Zuvor sind noch die grundlegenden Fragen des Geltungsbereichs kirchlichen Arbeitsrechts zu klären, woraus die Besonderheit des kirchlichen Dienstes gefolgert wird und auf welche Weise kirchliches Selbstbestimmungsrecht und staatliches Arbeitsrecht zu einem kirchlichen Arbeitsrecht verschmelzen.
Allerdings besteht in Deutschland die Besonderheit, dass die Kirchen als Folge ihres von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV vermittelten Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts auch eine Dienstherrenfähigkeit besitzen. Daraus folgt gemäß § 2 Nr. 2 BeamtStG das Recht, Beamte zu haben. Entsprechend schließen die Kirchen insbesondere mit den Klerikern – das heißt, mit ihren Bischöfen, Priestern, Pastoren und Diakonen – öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse ab, die nicht dem Arbeits- und Sozialversicherungsrecht unterliegen.370 Diese besondere Ausgestaltung der Arbeitsbeziehung wird auch für einige wenige leitende Laienmitarbeiter gewählt. Doch der ganz überwiegende Teil der kirchlichen Beschäftigten ist auf der Grundlage privatrechtlicher Arbeitsverträge beschäftigt.
1. Ausgangspunkte
a) Die Dienstgemeinschaft und ihre ekklesiologischen Grundlagen
aa) Der Begriff der Dienstgemeinschaft
Kirchliche Arbeitsverhältnisse sind in einen besonderen Kontext eingebettet, der in der weltlichen Sphäre keine Entsprechung findet. Diese Besonderheit wird durch das Leitbild der Dienstgemeinschaft zum Ausdruck gebracht, der als zentraler Begriff die Besonderheit der religiösen Dimension des kirchlichen Dienstes zusammenfasst.371 Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird die herausgehobene Bedeutung dieses Leitbilds für die kirchlichen Arbeitsverhältnisse vielfach betont. Die Dienstgemeinschaft wird als „Strukturelement“372 des kirchlichen Dienstes, als „Schlüsselbegriff“373 bzw. „zentraler Begriff“374 des kirchlichen Arbeitsrechts sowie als „unaufgebbarer Dreh- und Angelpunkt des Arbeitsgefüges der Kirchen und ihrer sozialen Dienste“375 beschrieben. Kardinal Karl Lehmann hat in ihrem Zusammenhang von einer Art „Unternehmensphilosophie“ der kirchlichen Arbeitgeber gesprochen.376
Damit wird die Tatsache zum Ausdruck gebracht, dass kirchliche Arbeitgeber bei der Beschäftigung ihrer Arbeitnehmer von anderen Voraussetzungen als gewöhnliche, gewinnorientierte Unternehmer ausgehen. Nach dem Selbstverständnis der Kirchen genügt es nicht, dass der von ihnen geleistete Dienst fachlich qualifiziert erbracht wird; darüber hinaus muss auch die christliche Spiritualität, die das Besondere dieses Dienstes ausmacht, sichergestellt werden.377 Es handelt sich somit um einen Begriff zur Distinktion kirchlicher Beschäftigungsverhältnisse von anderen, „gewöhnlichen“ Beschäftigungsverhältnissen.378 Dabei wird in der Literatur häufig angemerkt, dass die Dienstgemeinschaft nicht notwendigerweise eine Beschreibung der Realität darstelle, sondern als Wertbegriff zu verstehen sei, der eine Zielvorstellung und eine Gestaltungsaufgabe zum Ausdruck bringe.379
Gewöhnlichen Arbeitsverhältnissen liegt als Prämisse das synallagmatisch geprägte Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zugrunde. Der Arbeitgeber bedient sich zur Verfolgung eines wirtschaftlichen Zwecks der Arbeitskraft seiner Beschäftigten, die wiederum ihren Lebensunterhalt durch die Tätigkeit erlangen. Diese auf das reine Austauschverhältnis reduzierte Konzeption eines Arbeitsverhältnisses wird dem Selbstverständnis der Kirchen nicht gerecht, wenn sie in Ausübung ihrer theologisch begründeten Mission Arbeitnehmer beschäftigen. Denn der gesamte kirchliche Dienst hat seine Grundlage im Sendungs- und Verkündigungsauftrag der Kirche, als Teilhabe am Heilswerk Jesu Christi.380 Daraus folgt, dass die Beschäftigung – über das Gegenseitigkeitsverhältnis eines gewöhnlichen Arbeitsverhältnisses hinaus – in die Funktion des kirchlichen Auftrages eingebettet ist. Da Dienstgeber und Dienstnehmer gemeinsam und gleichrangig in der Nachfolge Christi handeln, sind ihnen gegensätzliche Interessen – so das Idealbild – grundsätzlich fremd.381
Der dem kirchlichen Dienst zugrunde liegende religiöse Auftrag kann nur erfüllt werden, wenn sich die Beschäftigten mit ihm ausreichend persönlich identifizieren.382 Insbesondere bei der karitativen und diakonischen Tätigkeit als Ausdruck tätiger Nächstenliebe können die kirchlichen Einrichtungen nur auf diese Weise ihrem christlichen Selbstverständnis gerecht werden. Dabei trägt jeder Dienstnehmer – gleich ob Chefarzt, Reinigungskraft oder Verwaltungsangestellter – den konfessionellen Charakter der Einrichtung mit und ist dem kirchlichen Auftrag verpflichtet.383 Es gibt keine „tendenzfreien“ Räume, da ein jeder Dienst innerhalb einer kirchlichen Einrichtung trotz aller Unterschiede der übertragenen Tätigkeiten auf den Auftrag der Kirche bezogen ist.384 Alle kirchlichen Arbeitnehmer tragen als Gemeinschaft einen Teil der Gesamtverantwortung für die Erfüllung dieses Auftrags.385 Dabei sind nach dem Verständnis der Kirchen auch jene Mitarbeiter der Dienstgemeinschaft zuzurechnen, die nicht der jeweiligen oder keiner Kirche angehören.386
Wie Joussen zutreffend herausgearbeitet hat, weist die Dienstgemeinschaft neben dem nach außen gerichteten Aspekt der Verkündigung durch die Erbringung des kirchlichen Dienstes daher auch einen internen Bezug in Gestalt eines verbindenden Elements auf, das die gemeinsame Wahrnehmung des kirchlichen Auftrags durch alle Beschäftigten umfasst.387 Durch dieses nach innen wirkende Strukturprinzip sind alle Personen, die für eine kirchliche Einrichtung tätig sind, miteinander verbunden. Dies schließt auch die Dienstgeber mit ein. Im Gegensatz zur regelmäßig bestehenden Bipolarität zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht damit in kirchlichen Arbeitsverhältnissen eine Multipolarität im Rahmen einer Gemeinschaft, zu der auch der Dienstgeber gehört.388
Diese interne und externe Dimension der Dienstgemeinschaft kommt auch in der Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst vom 22. September 1993 zum Ausdruck. Danach bilden „alle, die in den kirchlichen Einrichtungen mitarbeiten (…) – unbeschadet der Verschiedenheit der Dienste und ihrer rechtlichen Organisation – eine Dienstgemeinschaft“.389 Weiter heißt es: „Wer in ihnen (den kirchlichen Einrichtungen) tätig ist, wirkt an der Erfüllung dieses (kirchlichen) Auftrages mit“.390 Darin findet sich das nach innen wirkende Gemeinschaftselement sowie das nach außen gerichtete Element des Sendungsauftrags wieder. Daraus folgt zugleich, dass „jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter das kirchliche Selbstverständnis der Einrichtung anerkennt und dem dienstlichen Handeln zugrunde legt“.391
Auch die innerhalb des Schrifttums vorgenommenen Definitionen des Begriffs der Dienstgemeinschaft orientieren sich an diesen beiden Elementen. So heißt es bei Herr:
„Die kirchliche Dienstgemeinschaft ist der institutionalisierte und arbeitsrechtlich geregelte Zusammenschluss von Dienstgebern und Mitarbeitern in kirchlichen Einrichtungen, deren Besonderheit sich aus der Tatsache ergibt, dass der kirchliche Dienst von der gemeinsamen Verantwortung aller für die Sendung der Kirche getragen wird und sich als Lebens- und Wesensäußerung der Kirche nach