Kirchliches Arbeitsrecht in Europa. Florian Scholz
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Während dieser Epoche waren in sämtlichen Reichsständen geistliche und weltliche Sphäre weiterhin eng verbunden, das weltliche Recht beeinflusste die Kirchenstruktur.250 Dies basierte (ironischerweise) in den evangelischen Territorien auch auf einer Entscheidung, die der Lehre Luthers diametral entgegenstand: Der Wegfall der bisherigen Kirchenorganisation hatte ein Vakuum entstehen lassen, das durch die Anerkennung der weltlichen Territorialherrscher als Notbischöfe gefüllt wurde (sogenanntes Episkopalsystem251) – es bildeten sich territoriale Landeskirchen, die von staatlicher Führung abhängig waren.252 Auch die katholische Kirche unterlag in ihren Gebieten weiterhin umfangreichen Einflüssen der jeweiligen Landesherrn, da sie ihren Besitzstand während der Reformation nur mit Hilfe der katholisch gebliebenen Fürsten hatte wahren können.253 In diesem während des Absolutismus später als „Territorialismus“ bezeichneten Modell wurden die Kirchen weitreichend von der territorialen Staatsgewalt beherrscht.254 Die damit einhergehenden umfangreichen Ingerenzen provozierten indes ein immer stärker wachsendes Bedürfnis der Kirchen nach Freiheit vor staatlichen Eingriffen, was durch die Strömung der Aufklärung und Toleranz unterstützt wurde.
Diese Bestrebungen sollten sich kontinuierlich im Laufe des 19. Jahrhunderts durchsetzen; es reifte nun auch der Gedanke zur Gewährung kirchlicher Autonomie. Die staatliche Einflussnahme auf die Kirchen nahm – wenn auch mit Rückschlägen – beständig ab.255 Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ist als Ausgangspunkt dieser Entwicklung zu betrachten, wenngleich er die Kirchen vor allen Dingen wirtschaftlich erheblich schwächte. Er erzwang eine Säkularisierung256, in deren Folge Besitztümer der Kirchen zur Entschädigung der während der Revolutionskriege depossedierten Fürsten enteignet und ganze geistliche Reichsstände aufgelöst wurden. Der Wiener Kongress brach mit seiner territorialen Neuordnung die bisherige konfessionelle Einheit der Territorien auf. Die nun wieder entstandene Heterogenität der Bekenntnisse verstärkte das Bedürfnis nach Toleranz und Neutralität auch auf einzelstaatlicher Ebene.257 Dies erklärt die Normierung individueller Religionsfreiheit hinsichtlich der christlichen Bekenntnisse in Art. XVI der Deutschen Bundesakte von 1815. Daneben induzierte die Säkularisation in Verbindung mit wachsenden kirchlichen Autonomieansprüchen den Prozess zur Herausbildung eines kirchlichen Selbstbestimmungsrechts.258
Insoweit kam durch das Revolutionsjahr 1848 erneut Bewegung in die staatskirchenrechtliche Entwicklung. Auch wenn der erste Versuch einer gesamtdeutschen Verfassung in Form der sogenannten Paulskirchenverfassung (PV) von 1848/49 scheiterte, so war sie doch in höchstem Maße wegweisend: Sie beinhaltete in § 144 Abs. 1 PV die uneingeschränkte Religionsfreiheit und garantierte nach § 147 Abs. 1 PV die Selbstverwaltungsfreiheit für jede Religionsgesellschaft, die aber den „allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen“ sein sollte. Eine Staatskirche sollte nicht bestehen (§ 147 Abs. 2 PV). Damit wurden die Grundlagen des modernen deutschen Staatskirchenrechts geschaffen, wenngleich dessen Umsetzung noch ausstand.259
In der Folge changierten Facetten eines Staatskirchentums einerseits und trennende Elemente andererseits.260 Dabei ist für das Ringen um Kontrolle und Unabhängigkeit zwischen den Kirchen und Staat die damalige Entwicklung in Preußen exemplarisch. Begründete die oktroyierte Preußische Verfassung von 1848 noch ein kirchliches Selbstverwaltungsrecht,261 kam es während des von Bismarck initiierten sogenannten Kulturkampfes zu antikatholischen Kampfgesetzen. Deren Ziel war eine Eindämmung der kirchlichen Freiheit und die Etablierung einer umfassenden Staatsaufsicht. Auch das kirchliche Selbstverwaltungsrecht der Preußischen Verfassung wurde 1875 wieder aufgehoben. Ex post kann diese Zeit aber als Durchgangsstadium während der Emanzipation von Staat und Kirche verstanden werden.262
Ihren Kulminationspunkt fand die bereits über ein Jahrhundert währende Phase des Umbruchs schließlich in der Revolution von 1918 und der Konstituierung der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919, die eine Epochenwende263 für das deutsche Staatskirchenrecht darstellt. Seitdem bestimmt Art. 137 Abs. 1 WRV – fast wortgleich wie in der damals noch gescheiterten Paulskirchenverfassung – die Trennung von Staat und Kirche.264 Konsequenterweise wurde mit der Normierung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Art. 137 Abs. 3 WRV auch die staatliche Hoheit über die Kirche beendet. Dennoch blieben verschiedene der vorangegangenen Verschränkungen und kirchlichen Privilegierungen bestehen.265
Nach der für die Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts unbedeutenden266 Zeit des Nationalsozialismus bewirkte die neue demokratische Konstituierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg durch das Grundgesetz eine Renaissance des Weimarer Kirche-Staat-Verhältnisses, das nun eine Verfeinerung und Intensivierung erfuhr. Nach langen kontroversen Diskussionen innerhalb des Parlamentarischen Rats einigte man sich im Rahmen eines sogenannten „doppelten Kompromisses“267 auf eine Inkorporation der entsprechenden Weimarer Verfassungsartikel über Art. 140 GG in das Bonner Grundgesetz.268 Mit der deutschen Einheit im Jahr 1990 wurde die Geltung des Staatskirchensystems aus dem Grundgesetz schließlich auf das gesamte wiedervereinigte Deutschland erstreckt.
2. Die Stellung der Kirchen unter dem Grundgesetz
Das gegenwärtige deutsche Staatskirchenrecht steht als Folge der vorangehend skizzierten historischen Entwicklung auf zwei verfassungsrechtlichen Fundamenten: Einerseits garantiert Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als Grundrecht die Religionsfreiheit. Dabei ist für das Wirken der Kirche und den ihr zugeordneten Einrichtungen dessen spezifische Ausprägung der korporativen Religionsfreiheit maßgeblich. Andererseits bestimmen die durch Art. 140 GG inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung das institutionelle Grundverhältnis von Staat und Kirche.269 Insoweit ist das den Kirchen in Art. 137 Abs. 3 WRV garantierte Selbstbestimmungsrecht von zentraler Bedeutung.
Beide Gewährleistungen sind letztlich unterschiedliche Akzentuierungen derselben verfassungsrechtlich gewährten Freiheit.270 Die inkorporierten Kirchenartikel der WRV gewährleisten die für die Ausübung der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG förderlichen institutionellen Rahmenbedingungen.271 Im institutionellen Verständnis des Staatskirchenrechts ist aber Art. 137 WRV als Kernbestimmung272 anzusehen, da es die Grundprinzipien des staatskirchenrechtlichen Systems des Grundgesetzes enthält.
a) Korporative Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
Leitender Bezugspunkt des staatskirchenrechtlichen Systems des Grundgesetzes ist Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.273 Es handelt sich um ein einheitliches274 Grundrecht, das die Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses, sowie die ungestörte Religionsausübung schützt. Es ist in erster Linie Abwehrrecht gegenüber staatlicher Einflussnahme auf religiöse Überzeugungen und ihre Betätigung.275 Auch die Religionsgemeinschaften selbst sind vom persönlichen Schutzbereich erfasst und können sich entsprechend auf die korporative Religionsfreiheit berufen.276 Dies gilt auch, wenn sie – wie die verfassten Kirchen – als Körperschaften des öffentlichen Rechts nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV organisiert sind.277 Da Art. 4 GG keine ausdrückliche Schrankenregelung enthält, können grundsätzlich nur Rechte mit Verfassungsrang grenzziehend wirken.278 Der Ausübung der korporativen Religionsfreiheit dient im Wesentlichen das in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht.279 Im Zusammenhang mit dessen Darstellung soll das Verhältnis zu Art. 4 Abs. 1 und 2 GG thematisiert werden.
b) Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV - Fundament des deutschen Staatskirchenrechts
aa) Systematische