Kirchliches Arbeitsrecht in Europa. Florian Scholz
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Letztlich kann der Meinungsstreit zur Schutzbereichsabgrenzung aber nur zur Schärfung des Verständnisses von der Einordnung des Selbstbestimmungsrechts dienen, weist er doch kaum praktische Relevanz auf. Zwar bedingt die Zuordnung des institutionellen Selbstbestimmungsrechts zum jeweiligen Schutzbereich die Bestimmung der einschlägigen Schranke, die bei einer Anwendung von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG lediglich verfassungsimmanente Güter umfassen würde. Aber auch wenn man das Selbstbestimmungsrecht als vollständig in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG enthalten ansähe, würde bei dessen Inanspruchnahme ohnehin die Schranke des „für alle geltenden Gesetzes“ aus Art. 137 Abs. 3 WRV Anwendung finden. Denn das Bundesverfassungsgericht stellt für diesen Fall der sogenannten Schrankenspezialität fest, dass Art. 137 Abs. 3 WRV als speziellere Norm Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG bei Überschneidung der beiden Schutzbereiche vorgehe.314 In ständiger Rechtsprechung berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht dann aber bei dem Ausgleich gegenläufiger Interessen im Rahmen von Art. 137 Abs. 3 WRV, dass die korporative Religionsfreiheit zugunsten der Kirchen ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet ist und misst dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonders hohes Gewicht zu.315 Dieser Umstand stärkt die Rechtsstellung der Kirchen erheblich.
Schließlich kann auch trotz der fehlenden (formellen) Grundrechtsqualität des Art. 137 Abs. 3 WRV eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts prozessual mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.316 Da das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zumindest in seinem Kernbereich auch durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützt ist, kann auf den Schultern des Grundrechts der Religionsfreiheit die Hürde der Zulässigkeit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 GG überwunden werden.317 Dann ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Prüfungskompetenz hinsichtlich sämtlichen Verfassungsrechts – und damit auch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV – innerhalb der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde eröffnet.318
(2) Schutzbereich
Da die institutionelle Garantie des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 137 Abs. 3 WRV materiell wie ein Freiheitsrecht zu verstehen ist, lässt sie sich in der dafür üblichen Struktur eines persönlichen („Religionsgesellschaften“) und sachlichen („Ordnen und Verwalten eigener Angelegenheiten“) Schutzbereichs, sowie einer Schranke („für alle geltendes Gesetz“) begreifen.319
(a) Die Kirchen und ihre Einrichtungen als Träger des Selbstbestimmungsrechts
Der persönliche Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts erstreckt sich nach dem Wortlaut von Art. 137 Abs. 3 WRV auf die „Religionsgesellschaften“320. Damit ist eine Vereinigung von Menschen gemeint, die in einem bestimmten Gebiet gemeinsam einer religiösen Überzeugung nachgehen.321 Dazu zählen ohne Zweifel die verfassten Kirchen.322
Werden bereits alle Religionsgemeinschaften unabhängig von ihrem rechtlichen Status in den Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts einbezogen,323 so nehmen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darüber hinaus auch die rechtlich selbständigen Untergliederungen der Kirchen an jenem Schutz teil. Danach sind auch „alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform (erfasst), (…) wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis, ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen“.324 Dem Schutzbereich zugeordnet werden kann eine Einrichtung aber nicht, wenn sie ganz überwiegend der Gewinnerzielung dient, da sie dann keinen ausreichenden Zusammenhang zum glaubensdefinierten Selbstverständnis aufweist.325 Die Mitwirkung von Laien an der Verwaltung steht der Zuordnung einer verselbständigten Einrichtung zur Kirche aber nicht entgegen.326 Diesem Ansatz ist die Literatur ganz überwiegend gefolgt.327 Neben der Teilhabe an der Verwirklichung eines kirchlichen Auftrages hat das Bundesverfassungsgericht in seiner weiteren Rechtsprechung auch noch einen Einklang der Einrichtung mit der verfassten Kirche und eine besondere Verbindung mit ihren Amtsträgern und Organwaltern gefordert.328 Die Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts durch eine rechtlich verselbständigte Einrichtung erfordert damit im Wesentlichen zweierlei: Die Erfüllung einer kirchlichen Grundfunktion sowie eine ausreichende Verbindung mit der verfassten Kirche.329 Einer besonderen Verbindung bedarf es schon deshalb, weil die Herleitung des kirchlichen Rechts eines Bindegliedes bedarf. Die rechtlich verselbständigten Einrichtungen können nur derivativ von der Kirchenautonomie Gebrauch machen.
Mit der Erfassung auch selbständiger kirchlicher Einrichtungen erfolgt eine entscheidende Weichenstellung für das kirchliche Arbeitsrecht. Denn könnten sich ausschließlich die verfassten Kirchen selbst zu den nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV Berechtigten zählen, wäre ein auf dieser Grundlage modifiziertes Arbeitsrecht für die zahlreichen rechtlich verselbständigten karitativen und diakonischen Träger in der Gestalt von Krankenhäusern, Kindergärten und Pflegeeinrichtungen bereits aus diesem Grunde ausgeschlossen. Der Anwendungsbereich kirchlichen Arbeitsrechts wäre auf ein Minimum dezimiert. Die verfassten Kirchen selbst treten als Arbeitgeber nämlich nur numerisch untergeordnet in Erscheinung.330
Insbesondere im Kontext der betrieblichen Mitbestimmung sind vom BAG im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts spezifischere Ausführungen zu den Anforderungen einer Zuordnung der autonomen Rechtsträger an die jeweilige Kirche gemacht worden.331
(b) Ordnen und Verwalten
Das selbständige Ordnen umfasst die Rechtsetzungstätigkeiten der Kirchen, die Verwaltung in einem weiten Sinne die Vollzugsmaßnahmen zur Verwirklichung ihrer Aufgaben.332 Dies beinhaltet auch die Einwirkung auf den Bereich außerhalb des kirchlichen Rechtskreises.333 Die Beschäftigung von Arbeitnehmern unterfällt somit dem Feld des Verwaltens, die Aufstellung von einheitlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse der Ordnung.334
(c) Die eigenen Angelegenheiten
Damit ist aber die entscheidende Bestimmung des sachlichen Schutzbereichs des Selbstbestimmungsrechts noch nicht vorgenommen. Nicht jegliche Ordnung und Verwaltung per se ist geschützt, die entsprechenden Tätigkeiten müssen auch im Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirchen anzusiedeln sein. Jene Zuordnung betrifft die wegen ihrer Grundsätzlichkeit stets umstrittene Abgrenzungsfrage zwischen weltlichem und kirchlichem Bereich. Jene Bereichsbestimmung ist essentiell, definiert sie doch die Grundlage für die kirchliche Freiheit vor staatlicher Ingerenz. Ob die Kirchen diese Definition autonom mit weltlicher Verbindlichkeit vornehmen dürfen, ist in der Literatur umstritten;335 das Bundesverfassungsgericht legt für die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten das Selbstverständnis der Kirchen zugrunde.336 Dabei vermag allein diese Herangehensweise zu überzeugen, denn dem Staat ist die Bewertung religiöser Sachverhalte schon zur Wahrung des Neutralitätsgebotes untersagt. Eine staatliche Definition kirchlicher Angelegenheiten könnte ohne eine solche Bewertung aber nicht erfolgen. Der Staat weiß nicht, „was religiöse Heilssetzung heißt, er weiß nur, dass er es nicht weiß“.337 Ihm fehlt aufgrund seiner