Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention. Matthias Lodemann

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Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention - Matthias Lodemann Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht

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      A. Die Kirchen als Arbeitgeber

      Die Rolle der Kirchen in Deutschland20 hat sich gewandelt: ausgehend lediglich von der Glaubens- und Missionierungstätigkeit erlangen Tätigkeiten im sozialen Bereich immer größere Bedeutung. Manche gehen so weit, zu folgern, „aus der eigentlichen Glaubensmission sei eine christliche Sozialmission geworden“.21 Dem mag man zustimmen oder nicht – sind doch Glaube und soziale Hilfstätigkeiten kaum jemals trennscharf zu differenzieren22 – doch Fakt ist, dass gerade die zahlenmäßigen Anteile an Arbeitnehmern in Diakonie und Caritas gegenüber denen an Seelsorgern und Kirchenbeamten ungleich stärker ansteigen.23

      I. Allgemeines: Arbeitnehmer und Kirchenbeamte

      Generell kann die quantitative Bedeutung einer Tatsache am besten an Zahlen festgemacht werden: Die Kirchen sind nach dem Staat zweitgrößter Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland.24 Die Tendenz ist hierbei steigend. Wurden noch 1980 ca. 500.000 Angestellte bei den Kirchen sowie den ihnen zugeordneten Einrichtungen wie Caritas oder Diakonie verortet,25 wuchs die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer über 700.000 im Jahr 199526 geradezu sprunghaft auf die heutige Zahl von 1,227 bis 1,4 Millionen28 Beschäftigte an. Ob es in diesem Zusammenhang angemessen erscheint, von „schwindender Kirchlichkeit“29 zu sprechen, erscheint diskussionswürdig, muss aber hier nicht entschieden werden.30 Die Aufgabenfelder der heutigen Kirche und der in und von ihr beschäftigten Arbeitnehmer reichen von der traditionellen Glaubens- und Missionierungstätigkeit über kulturelle Aufträge, Erziehungs- und Bildungstätigkeiten hin zu Seelsorge, Senioren-, Familien- und Kinderhilfe, kurz: den gesamten Bereich sozialer Tätigkeiten in Deutschland.

      Zu beachten ist, dass diese Arbeitnehmer der Kirchen in zweifacher Hinsicht qualitativ abzugrenzen sind. Arbeitnehmer ist nur, wer auf Grund privatrechtlichen Vertrags oder eines gleichgestellten Vertragsverhältnisses im Dienst eines anderen zur Arbeit verpflichtet ist.31 Zunächst findet also das staatliche Arbeitsrecht auf die Ämter der Geistlichen keine Anwendung.32 Die Zugehörigkeit zum geistlichen Stand wird in der katholischen Kirche durch das Sakrament der Weihe sowie in der evangelischen Kirche durch die Ordination begründet. Die genannten Personen werden also gerade nicht auf Grund eines Arbeitsvertrages, sondern auf Grund ihres Amtes beschäftigt.33 Zudem steht den Kirchen die Möglichkeit offen, Beamte zu beschäftigen. Diese Dienstherrenfähigkeit begründet sich aus dem Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts gemäß Art. 140 GG i.V.m. 137 V 1 WRV. Die konkrete Ausgestaltung erfolgt durch Kirchengesetze, die jedoch teilweise den staatlichen Beamtengesetzen nachgebildet sind.34 Direkt anwendbar sind diese gemäß § 135 BRRG jedoch ausdrücklich nicht. Geistliche, Kirchenbeamte und zusätzlich noch Ordensangehörige35 sind also nicht dem hier zu untersuchenden Arbeitnehmerbegriff zuzuordnen.36

      Eine weitere Differenzierung erfährt der Begriff der kirchlichen Arbeitnehmer intern.37 Differenziert werden kann nach der Nähe der Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag der Kirche, einfach gesagt: nach dem quantitativen Grad der religiösen Prägung. Direkt in der Verkündigung Tätige, wie z.B. Chorleiter oder auch Pressesprecher, unterliegen demnach einer besonders starken religiösen Prägung ihrer Tätigkeit. Es folgen seelsorgerische, karitative und pädagogische Berufe, bei denen der Dienst am Menschen im Vordergrund steht. Zuletzt zu nennen sind die rein unterstützenden Berufe, bei denen nur eine – wenn überhaupt – sehr geringe religiöse Prägung der Tätigkeit angenommen werden kann. Neben administrativen Tätigkeiten können hier auch handwerkliche Berufe beispielhaft aufgezählt werden.

      II. Die kirchliche Dienstgemeinschaft

      Unabhängig von dieser Differenzierung wurde jedoch bereits oben dargelegt, dass nach christlich-kirchlichem Verständnis die Tätigkeiten der Kirche nicht vom religiös motivierten Auftrag zu trennen sind. Im Gegenteil: Nach evangelischem Verständnis besteht ein gemeinsames Priestertum aller Gläubigen.38 Im Katholizismus ist zwar die Unterscheidung von Klerikern und Laien konstitutiv; die fundamentale Gleichheit in der Teilnahme am Sendungsauftrag wird hierdurch aber nicht aufgehoben.39 Dies ist die Grundlage für den Begriff der christlichen Dienstgemeinschaft, die auch den kirchlichen Arbeitnehmern als Leitbild zu dienen hat.40 Nach dem Selbstverständnis der Kirchen ist vom „Auftrag gemeinsamer Sachwaltung im Haushalt Gottes“41 auszugehen. Es besteht also eine Einheit in der Sendung.42 Dieses Konzept wurde vom Bundesverfassungsgericht u.a. in der später noch zu beleuchtenden Grundsatzentscheidung im 70. Band ausdrücklich anerkannt.43 Anders als im herkömmlichen Arbeitsrecht besteht also kein Antagonismus zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite; vielmehr betätigen sich beide gemeinsam am Sendungsauftrag der Kirchen.44 Es handelt sich insoweit um eine kirchengemäße Alternative zum rein staatlichen Arbeitsrecht45 - natürlich als Teil desselben, als modifiziertes Arbeitsrecht.46

      Bereits mehrfach wurde betont, dass evangelische und katholische Kirche sich hier nicht grundlegend unterscheiden,47 und so ist es denn auch. Die katholische Kirche folgert hieraus die Legaldefinition des Art. 1 GrO:

      Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann (Dienstgemeinschaft).

      Für die evangelische Kirche lassen sich in vergleichender Hinsicht bereits die Thesen drei und vier der Barmer Theologischen Erklärung anführen, die die Einheit von äußerer Ordnung und Bekenntnis betonen.48 Herangezogen werden kann ebenfalls der zweite Satz der Präambel zum MVG.EKD: Die gemeinsame Verantwortung für den Dienst der Kirche und ihrer Diakonie verbindet Dienststellenleitungen und Mitarbeiter wie Mitarbeiterinnen zu einer Dienstgemeinschaft und verpflichtet sie zu vertrauensvoller Zusammenarbeit.49

      Für die kündigungsrechtliche Fragestellung wendet sich die Dienstgemeinschaft – terminologisch fragwürdig, aber inhaltlich wohl zutreffend – in eine „Disziplinargemeinschaft“, indem ihr Loyalitätsobliegenheiten innewohnen.50

      B. Die rechtliche Position der Kirchen in Deutschland

      Bevor jedoch in concreto auf die spezifischen Loyalitätsobliegenheiten eingegangen werden kann, muss gleichsam als ihr rechtliches Fundament die grundsätzliche Rechtsposition der Kirchen in Deutschland beleuchtet werden.

      I. Verfassungsrechtliche Grundlagen

      Schon denklogisch genießen die Kirchen nach dem deutschen Grundrechtekatalog einen besonderen Schutz. Schließlich handelt es sich bei den Kirchen um nichts anderes als einen Zusammenschluss von Trägern der Religionsfreiheit. Diese wird in Deutschland durch Art. 4 GG geschützt, welcher lautet:

      (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

      (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

      Hierbei handelt es sich um einen weiten Schutzbereich, der seine Geltung im Übrigen oftmals auch gerade im Arbeitsrecht entfaltet.51 Art. 4 GG schützt im Grundsatz als individuelles Abwehrrecht zweierlei: das forum internum als Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie das forum externum als Freiheit des Bekenntnisses. Der Glaube muss dabei – auf das Rudimentärste herabgebrochen – eine wie auch immer geartete Gottesoder vergleichbare

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