Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention. Matthias Lodemann

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Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention - Matthias Lodemann Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht

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      Der kirchliche Arbeitnehmer kann demzufolge nicht vom Sendungsauftrag der Kirche differenziert werden; vielmehr gilt ein einheitliches Leitbild der kirchlichen Dienstgemeinschaft.6

      Wiewohl es also nicht zu einer „Klerikalisierung“ der Rechtsstellung des kirchlichen Arbeitnehmers kommen darf,7 kann als gesichert festgehalten werden, dass die Kirchen zur Wahrung ihrer Glaubwürdigkeit rechtswirksam entsprechende Loyalitätsrichtlinien für ihre Arbeitnehmer erlassen können. Entsprechend dieser Richtlinien, die die Grundsätze der Kirchen niederschreiben, kam es demzufolge zu Arbeitgeberkündigungen aufgrund privaten Fehlverhaltens der kirchlichen Arbeitnehmer wie etwa Kirchenaustritt,8 Wiederverheiratung Geschiedener,9 homosexuelle Beziehungen10 und außereheliche Affären.11 Zu beachten bleibt, dass selbstverständlich nur die privaten Fehltritte relevant sind, die dem kirchlich-religiösen Inhalt der Lehre zuwiderlaufen. Die Fachgerichte sind insoweit an die Vorgaben der Kirchen gebunden.

      Umstritten war – und ist – aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben in der Vergangenheit nie die grundsätzliche Rechtmäßigkeit dieser Vorgaben, sondern lediglich ihre Reichweite. Die einzige Konstante bei der Suche nach der Antwort zu dieser Fragestellung ist jedoch ihre Unbeständigkeit. Wurden also bis etwa 1980 kündigungswesentliche Loyalitätsobliegenheiten noch unproblematisch bejaht,12 differenzierte das BAG in der Folge nach der Nähe des Arbeitnehmers zum Verkündigungsauftrag und verneinte bei fehlender Nähe die Rechtmäßigkeit der Kündigung, da die Glaubwürdigkeit der Kirche nicht in Gefahr gewesen sei.13 Mit seiner Grundsatzentscheidung im 70. Band machte das BVerfG dem ein Ende und rückte die kirchliche Deutungshoheit in den Mittelpunkt.14 Die Fachgerichte seien demnach an die Vorgaben der Kirchen gebunden; Ausnahmen bilden lediglich Verstöße gegen die Grundprinzipien der Rechtsordnung, namentlich die guten Sitten, das Willkürverbot sowie den ordre public.15 Das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen wurde also deutlich gestärkt.

      Nachdem diese Fragestellung also zumindest grundsätzlich eine Antwort erhalten hatte, erhielt sie jedoch im Folgenden durch Einflüsse des internationalen Rechts neue Nahrung. Aufbauend – unter anderem – auf EU-Richtlinie 2000/78/EG trat am 18.08.2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Dieses verbietet Diskriminierungen aufgrund der Religion, sieht aber für die Religionsgemeinschaften in § 9 AGG eine Ausnahme vor.16 Eine eindeutige Klärung durch das BAG oder den EuGH steht weiterhin aus.17

      Zuletzt, und gleichzeitig im Mittelpunkt dieser Arbeit, ist die oben bereits zitierte Rechtsprechung des EGMR zu nennen, der die behauptete Konventionswidrigkeit des kirchlichen Kündigungsrechts an Art. 8, 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu messen hatte. Der Gerichtshof fand dabei einzig im Fall Schüth eine Verletzung.18 Inwieweit diese Rechtsprechung Einfluss auf die innerdeutsche Rechtslage und im Übrigen auch auf das korrekte Verständnis des AGG nehmen wird, gilt es hier zu beleuchten.

      Hierzu werden vom zweiten bis zum vierten Kapitel umfangreich die nötigen Grundlagen dargestellt. Zunächst wird dabei die Position der Kirchen im tatsächlichen wie im rechtlichen Gefüge herausgearbeitet. Folgend ist auf die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und letztlich auf die – die vorgenannte korrigierende – Reichweite der verfassungsrechtlichen Garantie einzugehen. Im fünften Kapitel wird dann untersucht, ob nicht der innergesellschaftliche Wertewandel, etwa bezüglich der Homosexualität, bereits eine Änderung der Rechtslage nach den vom BVerfG vorgegebenen Grenzen bewirkt. Dann wendet sich die Arbeit dem internationalen Recht zu und stellt im Rahmen eines kurzen Sachstandsberichtes die aktuellen Probleme rund um das AGG und die diesem zugrunde liegende Richtlinie 2000/78/EG dar, um schließlich im siebten Kapitel den Schwerpunkt aufzugreifen. Dieser liegt in der Rechtsprechung des EGMR, die zuerst materiell auf ihre Kernaussagen analysiert wird. Fraglich ist dabei, ob sich inhaltliche Unterschiede zur gefestigten deutschen Judikatur ergeben. Sollte dies der Fall sein, ist sodann zu untersuchen, ob, inwieweit, und, falls ja, auf welche Weise diese Rechtsprechung in Deutschland umgesetzt werden muss, umgesetzt werden kann und umgesetzt werden wird. Diese Fragestellung beantwortet sich aus dem Verhältnis der EMRK zum nationalen Recht, was insbesondere aufgrund der teilweise kongruenten Regelungsmaterie in Grund- bzw. Menschenrechtsfragen bei möglichen Differenzen die Frage einer Rangordnung in Konfliktfällen mit sich bringt, die es aufzulösen gilt. Nur so kann der Praxis eine Empfehlung ausgesprochen werden, welche der unterschiedlichen Wertungen es zu befolgen gilt.

      Die Frage der Bindungswirkung stellt sich zudem auch noch in einem gänzlich anderen Zusammenhang, der Ebene der Europäischen Union. Hier ist zu untersuchen, inwieweit die EMRK sowie die auf Basis dieser ergangene Rechtsprechung des EGMR das Unionsrecht als dessen Grundrechtsquelle beeinflusst. Wiederum stellen sich im Gemengelage von herkömmlicher Grundrechtsdogmatik, der kürzlich verbindlich gewordenen Charta der Grundrechte (GRC) und dem bevorstehenden EMRK-Beitritt der Union bei teilweise identischem Regelungsinhalt Spannungsfragen. Auch diese müssen aufgelöst werden, um eine verbindliche Aussage treffen zu können, inwieweit die vorgenannte Rechtsprechung des EGMR das kirchliche Arbeitsrecht über den europäischen Umweg über RL 2000/78/EG und § 9 AGG auch mittelbar national beeinflussen wird. Nach abschließender Analyse aller Lösungsalternativen werden schließlich eine Prognose erstellt und ein Vorschlag für die Praxis herausgearbeitet.

      1 Urteil: Kündigung wegen Ehebruchs verstößt gegen Menschenrechte, Spiegel Online vom 23.09.2010, erreichbar unter http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,719111,00.html.

      2 EGMR, Urteil vom 23.09.2010 - 425/03 – Obst ./. Deutschland; EGMR, Urteil vom 23.09.2010 - 1620/03 – Schüth ./. Deutschland.

      3 EGMR, Urteil vom 03.02.2011 – 18136/02 – Siebenhaar ./. Deutschland.

      4 BVerfGE 70, 138, 165 ff.

      5 BVerfGE 70, 138, 165.

      6 Zur Dienstgemeinschaft vgl. unten § 2 A. II. Die kirchliche Dienstgemeinschaft.

      7 BVerfGE 70, 138, 166.

      8 So z.B. BAG NZA 1984, 287; BAG NJW 1985, 2781.

      9 Dies bedeutet eine kirchenrechtlich unzulässige Heirat, vgl. BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG = NJW 1978, 2116.

      10 BAG NJW 1984, 1917.

      11 BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Kirchlicher Dienst.

      12 Vgl. etwa BAGE 2, 279 = AP Nr. 15 zu § 1 KSchG = NJW 1956, 646.

      13 Vgl. BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG.

      14 BVerfGE 70, 138, 165 ff.

      15 BVerfGE 70, 138, 168.

      16 Zu den Auswirkungen des AGG auf die kirchliche Dienstgemeinschaft im Allgemeinen sowie das kirchliche Kündigungsrecht im Speziellen vgl. Groh, Einstellungs- und Kündigungskriterien, sowie insbesondere Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht.

      17 Offen gelassen in BAG, Urteil vom 08.09.2011, 2 AZR 543/10 = NZA 2012, 443.

      18 EGMR, Urteil vom 23.09.2010 - 1620/03 – Schüth ./. Deutschland, Rn. 71.

      § 2 GRUNDLAGEN

      Die vorgestellte Problematik gewinnt aus zwei Gründen besondere Bedeutung. Zum einen ist dies die umfangreiche Betätigung der Kirchen als Arbeitgeber, zum anderen genießen diese, garantiert durch das deutsche Verfassungsrecht, einen

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