Rechtsgeschichte. Stephan Meder
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Auch das Werk des Gaius (S. 87) gehört zu dieser Literaturgattung. Gaius gilt als der beste Überlieferer und Vollender des ‚äußeren Systems‘ des Privatrechts, dessen Gliederung er von älteren Juristen vermutlich übernommen hat. Seine Institutionen gehen von der obersten Einteilung in personae (Rechtssubjekte), res (Rechtsobjekte) und actiones (‚Handlungen‘, Prozess) aus und beziehen in die erste Kategorie das Personen- und Familienrecht, in die zweite das Sachen-, Erb- und Obligationenrecht und in die dritte die Rechtsgeschäfte ein. Von dieser Einteilung führt eine direkte Linie zu den 5-Bücher-Systemen vieler Pandektenlehrbücher und nicht zuletzt auch des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (16. Kapitel 3, S. 347.) und anderer neuzeitlicher Kodifikationen (13. Kapitel 3, S. 287.). In einer umgewandelten Form liegt das Schema personae-res-actiones (Personen-Sachen-‚Handlungen‘) dem Allgemeinen Teil des BGB zugrunde. Bei Gaius findet sich zudem eine erste, freilich noch wenig ausgearbeitete Gliederung des Schuldrechts in Vertrag (obligationes ex contractu) und Delikt (obligationes ex delicto). Wie viele andere kontinentaleuropäische Kodifikationen beruht auch das BGB (2. Buch) auf dieser Einteilung. In der Spätklassik, vor allem bei Ulpian und Paulus, fließt die schulmäßige Nebenströmung mit der auf Praxis bezogenen Hauptströmung zusammen. Die römische Jurisprudenz hat ihren Ruhm vornehmlich der praxisorientierten Hauptrichtung zu verdanken. Ihre Stärken liegen in der kunstgerechten Bewältigung schwieriger Einzelfälle. Die Anteile von schulmäßiger Ordnung und theoretischer Reflexion dürfen jedoch nicht unterschätzt werden.
Das Zivilrecht der Zeit des frühen Prinzipats ist das klassische römische Recht. Es kann sich weitgehend ungehindert von obrigkeitlichem Zwang entfalten und jene Spitzenleistungen erbringen, die seine universale und überzeitliche Geltung ausmachen. Das römische Recht der klassischen Epoche ist das Recht einer entwickelten Schriftkultur. Davon zeugt nicht nur die dissonante Vielstimmigkeit, mit der die Juristen zu brisanten Rechtsfragen Stellung nehmen (S. 111), sondern auch die große Anzahl [<<84] rivalisierender und aufeinander reagierender Literaturgattungen. Dass sich später ganz unterschiedliche Staaten und Gesellschaften am römischen Recht orientieren können, liegt auch daran, dass die römischen Juristen rational bestimmte, technisch ausgefeilte und von den formellen Beschränkungen struktureller Mündlichkeit weitgehend entbundene Rechtsfiguren entwickelt haben. Hinzu kommt, dass es ihnen gelungen ist, rechtliche Begriffe zu formulieren, die zwischen Abstraktion und Konkretion die Mitte halten. Die Eigenart dieser Begriffe besteht darin, dass sie – wie „Dogmatik“ – jenseits von Gesetzgebung Verbindlichkeit entfalten können. Es handelt sich um Begriffe, die den Grundsätzen der Freiheit (libertas) entsprungen sind und die noch heute als Muster einer freiheitlichen Entwicklung dienen. Die Rechte, die wir gegenwärtig als Ausdruck bürgerlicher, persönlicher oder individueller Freiheit verstehen – etwa Vertragsfreiheit, Minderjährigenschutz, Freiheit des Eigentums, Testierfreiheit, Gleichberechtigung der Frau im Vertrags- und Erbrecht, Gebot von Treu und Glauben, Billigkeit (aequitas), Verbot arglistigen Verhaltens – sind schon den Römern selbstverständlich gewesen.
Unter den veränderten Bedingungen des Prinzipats erscheint der Begriff des Juristenrechts in einem neuen Licht. Gewiss darf auch bereits die interpretatio der Pontifices als Juristenrecht bezeichnet werden und ebenso die in der prätorischen Praxis geschaffenen Neubildungen, an denen Fachjuristen ja bereits Anteil haben. Genau genommen sind aber nur diejenigen Rechtsnormen Juristenrecht, die von der Jurisprudenz nicht durch Vermittlung der Jurisdiktionsmagistrate, sondern unmittelbar in ihrer Gutachtertätigkeit und ihrer literarischen Produktion geschaffen werden. Die Anerkennung der Autorität der Rechtsgelehrten (auctoritas prudentium) als eigenständige Rechtsquelle führt zu der Frage nach dem Verhältnis des Juristenrechts zum ius civile und zum ius honorarium (2. Kapitel 3.2, S. 64). Man könnte hier das Bestehen eines Konflikt- oder Konkurrenzverhältnisses vermuten. Dazu ist es aber zu keiner Zeit gekommen, weil die Juristen seit jeher ius civile und ius honorarium gleichermaßen bearbeitet haben.
Während des Prinzipats gewinnen die Kaiser zunehmend Einfluss auf die Gerichtsbarkeit. Dies veranlasst Kaiser Hadrian um 130 n. Chr., das Amtsrecht der Prätoren (und der kurulischen Ädilen) vom Senat als [<<85] Senatsbeschluss abschließend festlegen zu lassen (edictum perpetuum). In der Folgezeit kommt es zu einer Erweiterung des Spektrums kaiserlicher Rechtsetzungsakte (3. Kapitel 4, S. 88.). An Bedeutung gewinnen insbesondere die Konstitutionen (Edikte, Dekrete), die formal zunächst als Bestandteil des ius honorarium und später des ius civile angesehen werden (vgl. Gaius I, 5). Bei Abfassung der Konstitutionen (constitutiones) lassen sich die Kaiser von ihrem mit Juristen besetzten consilium beraten (s. o.). Die kaiserliche Rechtsprechung und Rechtsetzung bleibt also weiterhin mit der römischen Jurisprudenz eng verknüpft. An den strukturellen Unterschieden von ius honorarium und ius civile hat man über die Zeit des Prinzipats hinaus festgehalten. Erst im 5. Jahrhundert kommt es zu einer Verschmelzung der beiden Stoffgebiete. Als einheitliches Juristenrecht (ius) treten sie den Kaisergesetzen (leges) nunmehr als Antipode gegenüber.
3. Römische Juristen der Hoch- und Spätklassik
Von der gesamten klassischen Jurisprudenz haben wir allein durch die Institutionen des Gaius direkte Kenntnis. Autoren, wie seine Zeitgenossen Julian oder Pomponius, oder wie Papinian, Paulus und Ulpian, die vierzig oder fünfzig Jahre nach ihm lebten, kennen wir fast ausschließlich durch das Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian (4. Kapitel 4, S. 109). Die einzelnen Juristen fügen sich so sehr in die Tradition der römischen Jurisprudenz ein, dass ihren Äußerungen fast jede individuelle Note fehlt. Savigny hatte sie daher als „fungible“, d.h. austauschbare Personen bezeichnet (Beruf 157 – dazu näher 14. Kapitel, S. 299). Neuere Versuche, von dieser Einschätzung loszukommen, haben das Gesamtbild bislang kaum verändern können.
Kennzeichen der römischen Juristen der hochklassischen Zeit ist ihre meisterhafte Kunst der Entscheidung von Einzelfällen. Zu den glanzvollsten Namen gehören zwei Juristen, die hauptsächlich unter Kaiser Hadrian (117 – 138 n. Chr.) wirken: Celsus und Julian (Iulianus). Das Hauptwerk des Celsus bilden die vornehmlich kasuistisch angelegten 39 libri digestorum. Auf ihn geht eine Reihe bekannter Aussprüche zurück, z. B. die berühmte Definition des Rechts als ars boni et aequi (Kunst des [<<86] Guten und Gerechten) oder die zeitlos gültige Regel scire leges non hoc est verba earum tenere, sed vim ac potestatem (Gesetze kennen heißt nicht, ihre Worte kennen, sondern ihren Sinn und Zweck). Celsus gehört zu den letzten Schulhäuptern der Prokulianer (2. Kapitel 5.3, S. 71). Dagegen ist der etwas jüngere, in Nordafrika geborene Julian (um 100–um 170) ein Haupt der sabinianischen Rechtsschule. Über seine vielfältige und glänzende Ämterfolge sind wir durch die Inschrift einer Bildsäule unterrichtet, die ihm seine Heimatstadt gesetzt hat. Neben Labeo hat Julian