Rechtsgeschichte. Stephan Meder

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Rechtsgeschichte - Stephan Meder

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begrenzte Anzahl von höheren Beamten zur Verfügung stand. Die Zweiteilung entlastet den Prätor, sie fördert aber auch – wie die moderne Gewaltenteilung – die Unparteilichkeit der Rechtsfindung. Zwar ist der Prätor nach wie vor an das ius civile gebunden, aber nicht darauf beschränkt. Er kann auf Grund seiner iurisdictio neue Rechtsbehelfe gewähren, was vor allem im Rahmen des Formularprozesses geschah. Die Einführung des Formularprozesses ging Hand in Hand mit einer zunehmenden Differenzierung und Weltverflochtenheit der römischen Gesellschaft. Die alte Technik der Spruchformeln verlor allmählich an Überzeugungskraft. Dass sein Recht verlieren konnte, wer die Formeln nicht beherrschte oder sich versprach, wurde als zu hart empfunden. So setzte sich ein gelockertes Verfahren durch, in dem nicht mehr die Parteien zu förmeln brauchten, sondern nur noch der Prätor bei der Instruktion des Richters. Die Instruktionen erfolgten schriftlich, man nennt sie Schriftformeln oder Formulare. Diese Formulare bildeten einen Teil des prätorischen Edikts. Das Aufkommen der prätorischen Rechtsschöpfung zeigt, wie [<<64] sich die römische Rechtskultur allmählich von der in den Zwölf Tafeln verschriftlichten Mündlichkeit absetzt und die Schriftlichkeit den alten Formalismus überwindet.

      Im Edikt legt der Prätor die Grundsätze schriftlich nieder, nach denen juristische Entscheidungen zu treffen sind. Adressaten sind nicht nur die Richter, sondern das allgemeine Publikum: Jeder, der eine Klage zu erheben beabsichtigt, kann sich im Edikt darüber informieren, ob es für den von ihm behaupteten Sachverhalt eine Klage (actio) gibt. In Routinefällen, in denen sich der Sachverhalt einfach subsumieren ließ, mochte es genügen, wenn die Parteien die passende Formel auswählten. In den schwierigeren Fällen mussten sie im Vorfeld des Prozesses ein Programm entwerfen, das nicht nur den Behauptungen des Klägers, sondern auch den Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten Rechnung trug. Der Laie war hier schnell überfordert, er suchte Rat bei den Juristen – den sogenannten iuris consulti (2. Kapitel 5, S. 68.). Diese leiteten die Interaktion der Parteien und sorgten dafür, dass Lebenssachverhalt und Prozessformel in Einklang kamen. Die Entscheidung ist durch Juristen also vorbereitet worden. Nur so hat die Aufgabenteilung von Prätor und Richter, jedenfalls in komplexen Fällen, funktionieren können.

      Wie bereits erwähnt, haben die Römer für leitende Beamte die Annuität eingeführt, um zu verhindern, dass einzelne Personen zu viel Macht über die Bevölkerung erlangen (S. 25). Auch der Prätor war Jahresbeamter. Seinem Amtsnachfolger stand es im Prinzip frei, bereits nach einem Jahr völlig neue Rechtsgrundsätze einzuführen. Die mit einem alljährlichen Wechsel des Normenbestandes verbundenen Unübersichtlichkeiten hätten einen Rückfall in Zeiten bedeuten können, in denen die Rechtsuchenden über dessen Inhalt nur unzureichend informiert waren. Die Nachfolger übernahmen jedoch das Recht ihrer Vorgänger, sie modifizierten oder ergänzten es nur, wenn neue Problemstellungen das Bedürfnis nach adäquaten Regeln entstehen ließen.

      Die prozessorientierten Ankündigungen im prätorischen Edikt führten zu der für das römische Recht charakteristischen aktionenrechtlichen Denkweise. Diese Denkweise war noch im 19. Jahrhundert vorherrschend, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, als Bernhard Windscheid in seiner Schrift „Die Actio des römischen Civilrechts vom Standpunkt [<<65] des heutigen Rechts“ (1856) das römische Aktionenprinzip durch den materiellrechtlichen Anspruch ersetzte (S. 327). Bis heute dominiert in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen die strikte Trennung von materiellem Recht und Verfahrensrecht. Gleichwohl ist auch hier das prozessuale Wechselspiel von Klage (Angriff, Anspruch, actio) und Gegenrecht (Verteidigung, Einrede, exceptio) mit einhergehender Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bisweilen noch anzutreffen. Die nähere Bezeichnung der Schnittstellen, an denen prozessuale und materiellrechtliche Elemente interagieren, bleibt ein Desiderat rechtswissenschaftlicher Forschung. Die neuere Literatur pflegt das Thema im Rahmen vergleichender Darstellungen von Rechtsbehelfen aus dem römischen und angelsächsischen Recht zu behandeln (vgl. Hartwieg, ZZP-Int 2000, 19, 33, 52).

      Nach dem Sieg der Römer über Karthago in den punischen Kriegen des 3. Jahrhunderts erstreckte sich die römische Herrschaft über den gesamten Mittelmeerraum. Die Zahl von Nichtbürgern oder Fremden (peregrini) war sprunghaft angestiegen. Peregrini waren diejenigen, die per-egre, also jenseits des römischen Gebiets (ager Romanus) lebten. Die Rechtsordnung konnte der wachsenden Zahl von Ausländern nicht gleichgültig gegenüberstehen. Im Jahr 242 v. Chr. wurde daher das Amt des Fremdenprätors (praetor peregrinus) eingerichtet. Seine Zuständigkeit erstreckte sich auf Fälle, in denen eine oder beide Parteien Ausländer waren. Es gab nun also zwei Prätoren, den Stadtprätor (praetor urbanus) und den Fremdenprätor (praetor peregrinus). Das zu einem erheblichen Teil vom praetor peregrinus geschaffene ius gentium ist im Lauf der Zeit als selbständige Rechtsmasse neben das ius civile getreten.

      Der Begriff des ius civile hat mehrere Bedeutungen. Zum einen tritt er in Gegensatz sowohl zum ius honorarium als auch zum ius publicum (öffentliches Recht) und ius sacrum (religiöses Recht). Darüber hinaus bezeichnet er aber auch einen Gegensatz zum ius gentium, weil das ius civile nur für römische Bürger gilt und auf Fremde nicht ohne weiteres [<<66] ausgedehnt werden kann. Für die Nichtbürger (peregrini) galt ursprünglich das Personalitätsprinzip, d. h. die Regel, dass jedermann, wo immer er sich aufhält, rechtlich nach seiner Nationalität beurteilt wird. Auf die Rechtsbeziehungen zwischen Römern und Peregrinen oder zwischen Peregrinen verschiedener Nationalität war dagegen weder das ius civile noch eine der nichtrömischen Rechtsordnungen anwendbar. Deshalb entwickelten die Römer für den Rechtsverkehr mit oder unter Peregrinen eine Reihe von Rechtseinrichtungen, die unter dem Begriff des ius gentium zusammengefasst werden. Das ius gentium ist ein Recht, das unabhängig vom Bürgerrecht der Beteiligten für alle Menschen gelten soll. Es darf nicht mit Völkerrecht verwechselt werden, es ist römisches Recht, das auf Fremde, Fremde und Römer sowie später teilweise auch bei Streitigkeiten unter Römern angewendet wird.

      Das ius gentium gilt als Keimzelle eines transnationalen Völkergemeinrechts und als Vorläufer autonomer Rechtssysteme jenseits des Nationalstaats, die gegenwärtig unter Stichworten wie lex mercatoria, lex sportiva oder lex informatica diskutiert werden (dazu näher Meder, Ius non scriptum, 2. Auflage, 2009, 25, 112). Seinen weltgeschichtlichen Rang verdankt das ius gentium vor allem seiner Neutralität gegen kulturelle Besonderheiten: Es ist nicht religionsgebunden, sondern säkular und erkennt die Betroffenen grundsätzlich als gleichberechtigt an. Ob Ägypter oder Grieche, Römer oder Jude, arm oder reich – das ius gentium behandelt alle gleich. Bemerkenswert ist ferner, dass hinter dem ius gentium keine internationale, sondern eine „nationale“ Organisation steht: Als Weltrecht, das weder durch einen „Staat“ noch durch eine Weltbehörde verabschiedet wurde, hat es den paradoxen Charakter eines „nationalen Weltrechts“.

      Dem ius gentium steht der Begriff des Naturrechts (ius naturale) nahe: Dabei handelt es sich um ein überzeitliches Recht, das für alle Menschen ohne Unterschied des Bürgerrechts verbindlich sein soll und das auf der natürlichen Vernunft (naturalis ratio) beruht (12. Kapitel, S. 261). Gaius hat das ius gentium mit den Worten umschrieben:

      Alle Völker, welche durch Gesetz und Gewohnheit regiert werden, bedienen sich teils ihres eigentümlichen, teils des allen Menschen gemeinsamen Rechtes. Dasjenige Recht nämlich, welches sich jedes Volk selbst setzt, ist [<<67] sein eigentümliches und wird bürgerliches Recht genannt, gleichsam das eigentümliche Recht dieses Staates; was dagegen das natürliche Rechtsbewußtsein unter allen Menschen festsetzt, das wird bei allen Völkern gleichmäßig beachtet und Weltrecht genannt, welchen Rechts sich gleichsam alle Nationen bedienen. Daher bedient sich das römische Volk teils seines eigentümlichen, teils des allen Menschen gemeinsamen Rechts (I, 1).

      Es gab aber auch Fälle, in denen ius naturale und ius gentium in Konflikt gerieten. Das Beispiel ist die Sklaverei. Die Sklaverei war unter allen antiken Völkern anerkannt. Sie war damit eine Einrichtung, die dem ius gentium angehörte. Zugleich war aber unbestritten,

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