Neue Theorien des Rechts. Группа авторов
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ders., Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt am Main 1996.
ders., Der gespaltene Westen, Frankfurt am Main 2004.
ders., Zur Verfassung Europas. Ein Essay, Berlin 2011.
Maus, Ingeborg, Zur Aufklärung der Demokratietheorie. Rechts- und demokratietheoretische Überlegungen im Anschluss an Kant [1992], Frankfurt am Main 1994.
dies., Über Volkssouveränität. Elemente einer Demokratietheorie, Berlin 2011.
dies., Menschenrechte, Demokratie und Frieden. Perspektiven globaler Organisation, Berlin 2015.
dies., Justiz als gesellschaftliches Über-Ich. Zur Position der Rechtsprechung in der Demokratie, Berlin 2018.
Niesen, Peter/Herborth, Benjamin (Hrsg.), Anarchie der kommunikativen Freiheit. Jürgen Habermas und die Theorie der internationalen Politik, Frankfurt am Main 2007.
Rosenfeld, Michael (Hrsg.), Habermas on Law and Democracy, Cardozo Law Review 17, 4–5, 1995, 767–1648.
von Schomberg, René/Baynes, Kenneth (Hrsg.), Discourse and Democracy: Essays on Habermas’s Between Facts and Norms, Albany 2002.
|29|Derrida und das Modell der Dekonstruktion
Thomas-Michael Seibert
DekonstruktionDas praktische Recht hat einen doppelten Boden. Jeder, der die Justiz anruft und ihre Mittel nutzen möchte, hat zwar eine Vorstellung, in welche Richtung sie wirken soll. Oft kommt aber etwas anderes heraus als gedacht, und nicht selten erschlägt die Justiz diejenige, die sie zu Hilfe ruft. Strafprozesse wegen Vergewaltigung sind ein Beispiel dafür, dass sich die Justiz gegen diejenige wenden kann, die ihre Macht und Hilfe benötigt hätte. Was das praktische Recht anrichtet, kann seit hundert Jahren mit den Methoden der Rechtssoziologie untersucht werden. Seitdem es eine Rechtssoziologie gibt, existiert ein semiotischer Verdacht, der dahin geht, was als Recht ausgegeben werde, sei in Wirklichkeit nur ein verbrämtes Modell der Gewalt. Wer sich seitdem für das Recht zwischen Erkenntnis, Macht und Gewalt interessiert, muss mit diesem Verdacht umgehen. Man kann ihn bezweifeln, besänftigen, manchmal sogar zerstreuen, aber man wird ihn nicht los[92]. Wer Spuren lesen kann, verharrt in beständigem Fragen und in Zweifeln. Ein Modell dafür bietet die DekonstruktionDekonstruktion. Dekonstruktion ist der Einsatz, den man wagen muss, wenn man Zweifel hat: nach dem Unausgesprochenen fragen, Gründe umkehren und jede Umkehr der Gründe wieder verdächtigen, denn es kann etwas anderes als Recht dahinter stecken. (Juridische) GerechtigkeitGerechtigkeit ist immer unterwegs. Sie verlangt nach Fragen.
A. Zur Vorstellung der Fragen
Der Philosoph der Fragen ist Jacques Derrida. Ganze Absätze seiner Texte bestehen aus Fragen und vergeblich sucht der Leser nach entsprechenden Antwortsätzen. Man muss sie erst noch selbst bilden. Derrida stammt aus Zwischenreichen, die Merkmale prägen: er war Jude, aber nicht religiös, Franzose, aber (Jahrgang 1930) aus Algerien mit der Folge, dass die französische Staatsbürgerschaft von Vichy-Frankreich 1942 aberkannt wurde, Philosoph, Leser klassischer Texte von Aristoteles und Plato, schreibender Autor, aber ständig in Vorträgen auf weltweiten Konferenzen präsent. Bereits im Jahre 1967 sind seine Programmschriften erschienen, nämlich die Husserl-Lektüre »Die Stimme und das Phänomen«, die den Primat der Lautlichkeit in der Sprache bestreitet, das Hauptwerk »Grammatologie«, das den Vorrang der Schrift begründet, und schließlich eine |30|Aufsatzsammlung unter dem Titel »Die Schrift und die DifferenzDifferenz«, mit der Derrida die herrschende strukturale Betrachtung auf Prozesse, die »im Kommen sind«, umstellt. Die NietzscheNietzsche, Friedrich-Lektüre bietet für Derrida im Jahre 1976 den Einstieg in eine grundlegende Rechtsfrage[93], die Juristen scheinbar beantwortet haben: Wer ist Autor einer Verfassung? Dass es »das Volk« sei, halten inzwischen auch die Juristen für eine dekonstruierbare Aussage, die nicht über DekonstruktionenDekonstruktion reden. Derrida bewegt sich programmatisch »vor dem Gesetz«, liest auf einem weiteren Kolloquium in Cerisy-la-Salle im Jahre 1982 die gleichnamige Kafka-Parabel über den Türhüter »Vor dem Gesetz« und übersetzt die Position des »Mannes vom Lande« als vorbeurteilt, vorverurteilt, vorurteilsverhaftet, fast unübersetzbar aus dem französischen Titel »Préjugés«[94]. Es folgen weitere Beiträge über den Zusammenhang von Recht und Philosophie, mit denen Derrida die Kantische Rechtslehre aufnimmt[95], es folgen lange Ausführungen über NietzschesNietzsche, Friedrich Politik der Feindschaft[96], und es folgt vor allem der für die Rechtstheorie programmatisch gewordene Vortrag über »Force of Law« vor der amerikanischen Critical Legal Society im Jahre 1989[97]. Markenzeichen für Derrida-DekonstruktionenDekonstruktion sind lange Textlektüren, die das Augenmerk auf sprachliche Feinheiten richten, Worte, Wortklänge, Assoziationen, die der eilige Leser nicht entdecken wird, mit denen aber dem gelesenen Text etwas Neues »aufgepfropft« werden kann. Diesen Ausdruck verwendet Derrida selbst[98] und er versteht sich gern als Gärtner, als Kultivator, der ein Reis aufpfropft und aus Altem Neues wachsen lässt. Wie dieses Neue aussehen wird oder wie lange es braucht, um zu wachsen, verrät der Meistergärtner aber an keiner Stelle. Was aufgepfropft wird, kommt langsam und ist – ein Grundton der dekonstruktiven Philosophie – »im Kommen«. Was das für das Recht heißen könnte, bleibt noch zu entdecken, und das muss man inzwischen ohne autorisierte Anleitung tun. Derrida starb schnell und unerwartet im Oktober 2004. Hinterlassen hat er ein semiotisches Modell für den Umgang mit Sprachzeichen, das Besonderheiten aufweist, wenn man nur übliche hermeneutische Traditionen kennt, in dem aber gerade Juristen fortlaufend arbeiten, ohne es zu wissen. Das Modell soll zunächst in einer der DekonstruktionDekonstruktion an sich nicht angemessenen Kürze dargestellt werden (B), ehe man fragen kann, was davon auf das Recht passt (C) und was in der Rechtslehre bisher diskussionsweise angekommen ist (D) mit einigen wenigen Lektürehinweisen am Schluss (E).
|31|B. Die DekonstruktionDekonstruktion in fünf Operationen
I. Gegensätze in Texten suchen
DekonstruiertDekonstruktion werden fast immer Texte. Das mag erstaunen, weil Derrida sich durchaus allgemeiner philosophischer und lebensweltlicher Phänomene annimmt und die Freundschaft zwischen Menschen oder die Gabe des einen an den anderen untersucht. Für alle diese Lebensweltkonzepte präsentiert er aber schnell und ohne Umstände schon auf den ersten Blick problematische Texte. »O meine Freunde, es gibt keinen Freund« heißt der thematische Satz für die »Politik der Freundschaft«, der Aristoteles zugeschrieben wird[99], ohne dass Entstehung und Kontext klar wären, und ihm wird eine Ergänzung NietzschesNietzsche, Friedrich aus »Menschliches, Allzumenschliches« zugeordnet, die da lautet:
Freunde, es giebt keinen Freund, so rief der sterbende Weise. Feinde, es giebt keinen Feind, ruf ich, der lebende Thor[100].
Beide Sätze zeigen auf den ersten Blick, wie die dekonstruktive Interpretation sich bewegt und vor allem: wie sie in Bewegung kommt. Sie sucht Gegensätze auf und versucht, sie so zu steigern, dass sie sich nicht friedlich nebeneinander vereinbaren lassen, sondern in möglichst großer Nähe einen scheinbar oder wirklich unauflöslichen Widerspruch herstellen. Wer wissen will, was Freundschaft bedeutet, soll zunächst einmal nach der Feindschaft suchen und überlegen, in welchen Zusammenhängen er wie oft Feinden begegnet. Wer nach der Rechtfertigung der Todesstrafe fragt, soll sich mit den Bedingungen der Begnadigung befassen[101]. Wer die Unabhängigkeit eines Staates fordert, ist aufgefordert, darüber nachzudenken, welchen Abhängigkeiten er oder sie folgen[102]. Wer in der Welt »Schurken« oder gar »Schurkenstaaten«