Ius Publicum Europaeum. Martin Loughlin
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Bundes- und Landesverwaltung lassen sich in die hierarchisch gegliederte unmittelbare Staatsverwaltung und die mittelbare Staatsverwaltung unterteilen, bei welcher der Staat Verwaltungsaufgaben nicht selbst wahrnimmt, sondern durch rechtlich selbständige Körperschaften (z.B. Gemeinden, [Land-]Kreise, Universitäten, Kammern), Anstalten (z.B. öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten) und Stiftungen (z.B. Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Stiftung Weimarer Klassik).[172] Der hierarchische Aufbau bedeutet, dass die Spitze in der ihr unterstellten Organisation „durchregieren“, also der Minister jede Sache an sich ziehen kann. Dies ist keineswegs selbstverständlich, wie insbesondere das schwedische Beispiel zeigt.[173]
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Unter den Trägern mittelbarer Staatsverwaltung nehmen die Gemeinden und (Land-)Kreise einen hervorgehobenen Platz ein, weil ihr Recht zur Selbstverwaltung durch Art. 28 Abs. 2 GG und die jeweilige Landesverfassung besonders abgesichert ist.[174] Sie sind allerdings immer wieder Gegenstand mehr oder weniger breit angelegter Gebietsreformen. In den 1970er Jahren wird die Anzahl der Gebietskörperschaften dadurch erheblich reduziert und größere, leistungsfähigere Einheiten geschaffen.[175] So gab es in Westdeutschland 1960 insgesamt 425 (Land-)Kreise, 141 kreisfreie Städte und 24 371 kreisangehörige Gemeinden.[176] Ihre Zahl hatte sich bereits 1981 nach diversen Reformen auf 235 (Land-)Kreise, 88 kreisfreie Städte und 8514 kreisangehörige Gemeinden verringert.[177] Heute gibt es in der Bundesrepublik 301 (Land-)Kreise (64 davon in den „neuen“ Bundesländern), 111 kreisfreie Städte (22) und 11 496 kreisangehörige Gemeinden (3014).
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Dem öffentlichen Dienst gehörten im Jahre 2008 1,56 Millionen Beamte, 21826 Richter, 183 571 Zeit- und Berufssoldaten sowie 2,54 Millionen sonstige Arbeitnehmer an. Während sich Beamte, Richter und Soldaten beim Bund mit den Angestellten und Arbeitern etwa die Waage halten, sind die Beamten in den Kommunen bis auf wenige Restbestände verschwunden.[178] Ihre Verwendung erfolgte nach 1949 trotz des in Art. 33 Abs. 4 GG enthaltenen Funktionsvorbehalts in der Regel unreflektiert und konzeptionslos. Es kann daher nicht verwundern, dass die aus der Monarchie übernommene Institution des Berufsbeamtentums ungeachtet ihrer rechtsstaatlichen und demokratischen Gewährleistungsfunktion seit den 1970er Jahren zunehmend unter Druck geraten ist.[179]
b) Die Stellung der Verwaltung im Staatsgefüge
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Blickt man auf die horizontale Gewaltenteilung und auf das Verhältnis der Exekutive zu Legislative und Judikative, so ist unverkennbar, dass das Grundgesetz darauf angelegt ist, die Exekutive, verglichen wohlgemerkt mit den exekutivlastigen früheren deutschen Verfassungen, stärker einzubinden, selbst wenn die Regierung und gerade das Amt des Bundeskanzlers weiterhin machtvoll ausgestaltet sind. Auch lebt das alte Verständnis fort, wonach die Verwaltung die Substanz des Staates ausmacht. Dies zeigt anschaulich ihre weiterhin vorherrschende Bestimmung über die Subtraktionsdefinition, nach der all jene Formen und Organisationen von Hoheitsgewalt zur Verwaltung zählen, die nicht Gesetzgebung, Regierung oder Rechtsprechung sind.[180] Es gilt also: Verwaltung ist der Normalfall von Staatlichkeit.
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Die öffentliche Verwaltung verfügt nach 1949 jedoch nicht mehr über viele frühere Machtinstrumente. Insbesondere ihre Rechtsetzungsbefugnisse erscheinen im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union schwach (Art. 80 Abs. 1 GG, Wesentlichkeitsdoktrin),[181] und sie ist, was noch wichtiger ist, einer weitgehend lückenlosen gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Zudem besitzt die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen einen belasten (Verwaltungs-) Akt, im Gegensatz zu den meisten anderen Rechtsordnungen, grundsätzlich aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]); der Grundsatz wird allerdings zunehmend durch Ausnahmen aufgeweicht.[182]
c) Funktionen von Verwaltung und Verwaltungsrecht nach 1949
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Versucht man die Entwicklung der öffentlichen Verwaltung in ihrer „klassischen“ Epoche unter dem Grundgesetz bis 1990 zu strukturieren, so lassen sich verschiedene Phasen unterscheiden, in denen sich die wirtschaftliche und soziale Entwicklung jener Jahre spiegelt.[183] Nach einer Periode der rechtsstaatlichen Konsolidierung treten im Gefolge des „Wirtschaftswunders“ Ende der 1960er Jahre leistungs-[184] und planungsrechtliche Fragen in den Vordergrund, die Ausdruck eines enormen Vertrauens in die wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit der Gesellschaft und in die Möglichkeiten staatlicher Steuerung sind. Schon bald weicht diese Zuversicht jedoch der Ernüchterung, mit erheblichen Konsequenzen für die öffentliche Verwaltung. So werden die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit sichtbar, Entscheidungen – etwa im Atom- und Fachplanungsrecht – verlieren an Akzeptanz. Ab Mitte der 1970er Jahre findet sich die öffentliche Verwaltung vor allem im neu entstehenden Referenzgebiet des Umweltrechts,[185] aber auch im Technik- und Planungsrecht mehr und mehr in der Rolle eines Schiedsrichters wieder, der die Interessengegensätze zwischen den Beteiligten im Rahmen multipolarer Verwaltungsrechtsverhältnisse ausgleichen und Zustimmung für das (im Gesetzgebungs- und Verwaltungsverfahren konkretisierte) staatliche Interesse finden muss.
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Otto Mayer hatte die zentrale Aufgabe des Verwaltungsrechts darin gesehen, die „flutende Masse der Verwaltungstätigkeit einzudämmen“.[186] Darauf besinnt man sich nach der Katastrophe der nationalsozialistischen Herrschaft und macht sich entschlossen an die Konsolidierung und Perfektionierung einer rechtsstaatlichen öffentlichen Verwaltung und des sie steuernden Verwaltungsrechts. Die Jahre nach 1949 erscheinen auch in dieser Hinsicht weniger als Bruch mit den Traditionslinien der deutschen Verwaltungsentwicklung denn als konsequente Fortsetzung eines bereits im Kaiserreich eingeschlagenen Weges. Dieser stellte angesichts des ihm zugrunde liegenden Kompromisses zwischen monarchischem und demokratischem Prinzip tendenziell ein deutsches Spezifikum dar und sollte es auch nach dem Zweiten Weltkrieg bleiben, bis die Herausbildung des europäischen Rechtsraums eine Fusion rechtsstaatlicher und demokratischer Traditionslinien auf die Tagesordnung gesetzt hat. Zunächst prägen jedoch eine tiefgreifende Konstitutionalisierung des Verwaltungsrechts (2), der Ausbau des (verwaltungs-)gerichtlichen Rechtsschutzes (3) und ein erst nach der Wiedervereinigung allmählich wahrgenommenes demokratisches Defizit (4) die „klassische“ Gestalt der modernen deutschen Verwaltung und des Verwaltungsrechts. In einer wirkungsmächtigen Interpretation begreift Rainer Wahl Umfang und Tiefe von Verrechtlichung, Konstitutionalisierung und Judizialisierung gar als Merkmale eines deutschen Sonderwegs, der im europäischen Rechtsraum auf dem Prüfstand steht.[187]
2. Die Konstitutionalisierung von Verwaltung und Verwaltungsrecht
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