Ius Publicum Europaeum. Andrzej Wasilewski
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Erster Teil Landesspezifische Ausprägungen › § 58 Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Deutschland › I. Die Genese der Wissenschaft vom Verwaltungsrecht
1. Herausbildung aus der älteren Schicht der Policeywissenschaft
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Verwaltung im spezifischen Sinne einer kompetenziell ausdifferenzierten, verschriftlichten, tendenziell normierten und bürokratischen sowie zunehmend verwissenschaftlichten Amtsführung ist in Deutschland cum grano salis seit dem 16. Jahrhundert mit der Aufweichung der tradierten religiösen und altständischen Ordnungsvorstellungen in den nach Herrschaftsverdichtung strebenden frühneuzeitlichen Territorialstaaten entstanden.[1] Unter dem neoaristotelischen Leitbild „guter Policey“[2] stand obrigkeitliches Handeln insgesamt im Dienste richtiger und angemessener Ordnung sowie Verwaltung des Gemeinwesens, worauf insbesondere eine vielfältige und formenreiche Polizeigesetzgebung durch Statuierung sozialdisziplinierender Pflichtenordnungen (beispielsweise Hof-, Schul-, Feuer-, Kleider-, Markt-, Gewerbe- und Bettelordnungen) hinzielte, in den Territorien ebenso wie in den Städten und im Reich, dort kulminierend in den Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577. Literarisch flankiert wurde diese Entwicklung durch ein breites Spektrum allenfalls am Rande juristischer Schriften. Diese reichten von Regimentstraktaten, klassisch ausgeprägt zum umfassenden Handbuch der Politik in Veit Ludwig von Seckendorffs „Teutscher Fürstenstaat“ (1656), über verwaltungspraktische Formel- und Kanzleibücher, Beamtenethiken, überwiegend der altökonomischen Lehre vom Ganzen Haus verpflichtete sog. Hausväterliteratur bis hin zu „Ehezuchtbüchlein“, die als „theologisch-moralisch-policeyliche Mischgattung“ zur guten Ordnung ermahnten.[3]
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Im Zuge der Bewältigung der verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Krieges breitete sich in den außenpolitisch kaum noch handlungsfähigen deutschen Territorialstaaten der Kameralismus aus und gewannen die innere und die soziale Verwaltung eine besondere legitimatorische und praktische Bedeutung. Zu der in Europa singulären eigenen Disziplin einer Policeywissenschaft kam es nach systematisierenden Anfängen im 17. Jahrhundert nicht zuletzt durch die Einrichtung entsprechender, den philosophischen Fakultäten zugeordneter Lehrstühle, zunächst in Halle und Frankfurt/Oder (1727), und das Erscheinen einschlägiger Lehrbücher. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts verselbständigte sich die Policeywissenschaft allmählich gegenüber der staatswirtschaftlichen Kameralistik und Privatökonomie und fand ihren ersten Systematiker in Johann Heinrich Gottlob von Justi. Dessen „Grundsätze der Policey-Wissenschaft“ (11756) erklärten allerdings zunächst noch in kameralistischer Weite und Anlehnung an die Eudämonielehre von Christian Wolffs Natur- und Vernunftrecht die staatliche Wohlfahrtspflege zur Aufgabe der Policey, wenn auch zunehmend unter Aufbrechung der Vorstellung einer gemeinschaftlichen Glückseligkeit von Fürst und Volk zugunsten des Glücks der Bürger.[4] Dagegen band der nächst von Justi bedeutendste Polizeiwissenschaftler des 18. Jahrhunderts, der dem habsburgischen Absolutismus verhaftete Joseph von Sonnenfels, in seinem Hauptwerk „Grundsätze der Policey“ (51787) die Policey an einen, wenn auch weit gefassten Sicherheitszweck.
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Speziell dem Policeyrecht als eigenem Fach widmete sich erstmals der von Montesquieu beeinflusste Altdorfer Rechtslehrer Johann Heumann von Teutschenbrunn in seinem 1757 erschienenen Werk „Initia Iuris Politiae Germanorum“, das die Natur der Policeygesetze, ihre Quellen und Geschichte untersuchte, um sodann die auch zuvor schon in Sammlungen zusammengestellte und inzwischen ungeachtet ihrer Gemachtheit und damit Veränderlichkeit als Recht begriffene Normenmasse nach Sachgebieten unter Unterscheidung von Policey- und Justizsachen juristisch zu systematisieren.[5] Die große Summe der sich wissenschaftlich etablierenden juristischen Disziplin lieferte an der Wende zum 19. Jahrhundert, im Übergang vom aufgeklärten Absolutismus zum liberalen Rechtsstaat und konstitutionellen System Günther Heinrich von Berg mit seinem „Handbuch des Teutschen Policeyrechts“ (1799–1809).[6] Dort wurde zwar die Wohlfahrtspolicey der Sicherheitspolicey unterstellt, sie aber trotz Kants wirkmächtiger Kritik jeder empirisch bedingten Glückseligkeit nicht verabschiedet, weil von Berg die Policey als „Schutzmacht des bürgerlichen Handels und Wandels“ begriff.[7] Der Wohlfahrtszweck war auf die Bekämpfung künftiger gemeinschädlicher Übel beschränkt, Eingriffe in die bürgerliche Freiheit nur im Rahmen der Verfolgung rechtmäßiger Zwecke zulässig und der Bereich der Justiz rechtsstaatlichen Postulaten folgend ausgeweitet.[8]
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Entgegen der radikalliberalen Beschränkung des Staates auf den Rechtszweck wirkte der pragmatische Altliberale Robert von Mohl in seinem staatswissenschaftlich ausgerichteten Werk „Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates“ (1832/1833) im Vormärz auf eine Synthese von wohlfahrtsstaatlicher Polizei, gerade auch mit Blick auf die soziale Frage, und einer formal wie material ausgeformten Rechtsstaatlichkeit hin. So „taufte er den verketzerten Polizeibegriff mit liberalem Wasser“.[9] Zweck des Rechtsstaates sei es neben der Freiheitssicherung liberal-formaler Lesart, auch den Bürgern „Schutz und Unterstützung“ zu gewähren, physisch durch die „Medicinal-“ und die „Armen-Polizei“, geistig durch „Förderung der Verstandesbildung“, der „sittlichen“ und der „religiösen Bildung“. Neu ist die Verknüpfung mit einem als freiheitssichernd konzipierten rigorosen Subsidiaritätsprinzip. Zum Schutz der Freiheit der Bürger fügte von Mohl die Verwaltung in das System des konstitutionellen Staatsrechts ein,[10] band sie bei Neuregelungen eines Rechtsverhältnisses an ein unter Mitwirkung der Volksvertretung zustande gekommenes Gesetz[11] und wollte sie, einem zunächst wirkungslos gebliebenen zeitgenössischen Ansatz folgend, einer eigenständigen Administrativjustiz unterworfen sehen. Hatte Heumann der Sache nach allenfalls Vorformen des Verwaltungsrechts behandelt, von Berg um 1800 eine Gesamtdarstellung des „von nun an so genannten Administrativ- oder Verwaltungsrechts“[12] vorgelegt, so gilt spätestens der zweite Band von Robert von Mohls „Staatsrecht des Königreiches Württemberg“ (1831) als wissenschaftlich bedeutsame Darstellung des Verwaltungsrechts, wobei Verfassungs- und Verwaltungsrecht unter dem gemeinsamen Dach des Staatsrechts einander zugeordnet werden.[13] Parallel zur Entstehung der Verwaltungsrechtswissenschaft aus der Policeywissenschaft vollzog sich in der Ausbildung zur höheren Staatsverwaltung eine Abwertung der kameralistischen zugunsten rein juristischer Inhalte, wobei allerdings in der Juristenausbildung das Zivilrecht dominierte und Staats- wie Verwaltungsrecht eine Nischenexistenz führten.[14]
2. Verengung zum rechtswissenschaftlich-dogmatischen Verwaltungsrecht
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Auch nach dem Scheitern der Frankfurter Paulskirchenverfassung (1849) hat sich die Rechtsstaatsidee im liberalen Bürgertum erhalten und drängte nun, abgelöst von der politischen Verfassungsfrage und dem Anspruch demokratischer Partizipation, auf eine Beschränkung der Staatsgewalt gegenüber dem Einzelnen. Wegweisend schied Carl Friedrich von Gerber (1865) das Verwaltungsrecht aus dem Staatsrecht aus, wollte es dann „in seiner Selbständigkeit erkannt“ wissen und erklärte, wenn „der Begriff des Rechtsstaats irgend eine reelle Bedeutung hat, so ist sie gerade die, dass mehr und mehr auch auf dem Gebiete der Verwaltung feste rechtliche Bestimmungen gegeben werden, welche der Willkür den Boden entziehen“.[15] Bereits 1856 war auf gesetzespositivistischer Grundlage Josef Pözls „Lehrbuch des bayerischen Verwaltungsrechts“ erschienen, worauf aus württembergischer Perspektive, aber mit gemeindeutschem Anspruch unter Übernahmen