Ius Publicum Europaeum. Andrzej Wasilewski
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In einer bis zum Ersten Weltkrieg währenden Phase der Konsolidierung dominierte Mayers formalistischer Ansatz, der wirkmächtig in Fritz Fleiners „Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts“ (11911) fortgeschrieben, im Fortgang der insgesamt acht Auflagen (81928) jedoch zunehmend modifiziert und aktualisiert wurde.[31] In diese Zeit bürgerlicher Sekurität fallen zentrale rechtsdogmatische Monographien unter anderem zum fehlerhaften Staatsakt und zur Ermessenslehre aus der Feder des jungen Walter Jellinek,[32] Karl Kormanns Versuch zu einem „System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte“ (1910) sowie Ottmar Bühlers Studie über „Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung“ (1914). Der spätestens mit der Kriegswirtschaft und Kriegsfolgenbewältigung unübersehbar gewordene Ausbau des Interventionsstaates mit seinem ungeheuren Aufgabenzuwachs[33] ließ Bühler 1919 eine gewaltige Umstellung von Verwaltung und Verwaltungsrechtslehre diagnostizieren, nicht zuletzt auch eine Schwerpunktverlagerung vom Landes- auf das Reichsrecht.[34] Mayers vielzitiertem Diktum aus dem Vorwort zur dritten Auflage seines Verwaltungsrechtslehrbuches vom August 1923 „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“ widersprach Fleiner, demzufolge die Neugestaltung des Verfassungsrechts einen „starken Einfluß auch auf das Verwaltungsrecht ausgeübt“ hat,[35] aber auch Albert Hensel, der nicht zuletzt auf die „Neugestaltung der wirtschaftlichen Betätigung des Staates in halböffentlichrechtlichen Formen“ und den „Zusammenschluß der den Staat und stärker noch die Verwaltung beeinflussenden Kräfte in Organisationen“ mit einer „scheinbar rein privatrechtlichen Struktur“ hinwies.[36]
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Fleiner nahm in seine Darstellung einen Abschnitt „Neue Organisationsformen“ (§ 8) auf, insbesondere zu den „öffentlichen Betrieben“ und der „Verwaltung mit den Mitteln des Privatrechts“ in Form der „gemischt-wirtschaftlichen Unternehmung“. Im Besonderen Teil von Walter Jellineks stärker gesetzespositivistisch ausgerichteten enzyklopädischen Darstellung zum „Verwaltungsrecht“ (1928) fehlten weder die „Verwaltung durch beliehene öffentliche Unternehmer“ noch die „Öffentliche Fürsorge“ oder Fragen der Sozialversicherung; im Allgemeinen Teil fand sich die Anerkennung des „öffentlichrechtlichen Vertrages“ ebenso wie die der „schlichten Hoheitsverwaltung“.[37] Zweckerwägungen spielten namentlich beim sog. freien Ermessen eine Rolle, anders als in Adolf Merkls österreichischem Entwurf, der die „Phantasmagorie einer rechtsfreien Verwaltung wie Rauhreif in der Bestrahlung der Sonne“ zerstieben sehen wollte.[38] Die mit der steten Zunahme des Stoffes unvermeidliche Ausdifferenzierung der Fächer führte zur Verselbständigung von Sozial- und Steuerrecht. Das öffentliche Wirtschaftsrecht systematisierte Ernst Rudolf Huber nach Grundformen und Rechtsschutzgesichtspunkten in seinem wegweisenden „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ (1932).[39] Das Kommunalrecht wie die Kommunalwissenschaften überhaupt erlebten einen Bedeutungsgewinn, der noch vor dem Ende der Weimarer Republik auch die Verwaltungswissenschaft erfasste.[40]
3. Niedergang im Nationalsozialismus
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Trotz seiner Technizität und Fachlichkeit war das Verwaltungsrecht samt seiner Wissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus einem beispiellosen Niedergang ausgesetzt. Nach einzelnen „Rettungsversuchen“ rechtsstaatlicher Elemente durch Anpassung an die neue Lage in der Anfangsphase dominierte bald eine nicht nur antipositivistische, antiformalistische und selbstredend antiparlamentarische, sondern geradezu gegen das rechtliche Element gerichtete Tendenz, wie sie in der Umstellung von Verwaltungsrecht auf „Verwaltung“ in Lehrbuchtiteln und Vorlesungsbezeichnungen zum Ausdruck kam.[41] Gesetzmäßigkeit sollte lediglich den „Vorrang des Führerwillens“ garantieren und „Rechtmäßigkeit“ aus einer konkreten gemeinschaftsgeprägten Ordnung resultieren, die subjektive öffentliche Rechte unter Entwertung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle durch eine „volksgenössische Rechtsstellung“ und Gewaltenteilung durch das Führerprinzip ersetzt hatte.[42] Eher etatistische Konzeptionen von sachtreuer Verwaltung im „totalen Staat“[43] konkurrierten mit einer Degradierung der Administration zum Apparat in den Händen von Führung und Bewegung.[44]
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Mit der Auflösung der Rechtsformen ging die programmatische Forderung nach einer Orientierung an der veränderten Verwaltungswirklichkeit und den Verwaltungszwecken einher, die politisch funktionalisierte Begriffe wie „Planung“ und „Raumordnung“ akzentuierte und der Verwaltungswissenschaft einen Bedeutungszuwachs bescherte.[45] Als innovativer „Brückenbegriff“ lässt sich Ernst Forsthoffs im Rückgriff auf Hegel wie Heidegger und Jaspers entwickelte und als Entsprechung zum französischen Institut der services publics gedachte „Daseinsvorsorge“ verstehen. Diese gilt einer sozialen Bedürftigkeit, in die der moderne Mensch auf Grund einer permanenten Verengung des vom Einzelnen selbst beherrschten Lebensraumes geraten sein soll.[46] Existenzielle Lebensgüter wie Wasser, Gas und Elektrizität bedürften solidarischer Veranstaltungen, an deren „Teilhabe“ ein elementares Interesse, aber auch Recht des Einzelnen bestehe, und zwar von vergleichbar höherem Stellenwert als die Garantien individueller Freiheit. Forsthoffs „glücklicher Griff“ steht im Kontext jener „Langzeitentwicklungen“ der Industriegesellschaften, die „durch den Nationalsozialismus hindurch“ gingen.[47]
4. Neubeginn unter dem Bonner Grundgesetz
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Nach der „deutschen Katastrophe“ stand der Nachdruck des Lehrbuches von Walter Jellinek (1948) für ein Wiederanknüpfen an die Bestände vor 1933. Hingegen reklamierten die zu wesentlichen Teilen schon während des Krieges verfassten Lehrbücher des unbelasteten Hans Peters und von Forsthoff einen Selbststand, der sich aus einer kaum rezipierten methodischen Verbindung von Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre und -politik[48] bzw. einem reichlich eigenwilligen Konzept rechtsstaatlicher Durchdringung einer veränderten Verwaltungswirklichkeit ergeben[49] sollte. Forsthoffs Lehrbuch blieb mit zehn Auflagen bis Anfang der siebziger Jahre die „erste Autorität im Verwaltungsrecht“,[50] wenn auch eine gewisse „rechtsdogmatische Unterbilanz“ bei dem mehr auf Leitideen als auf klassische Rechtsbegriffe ausgehenden Werk zu vermerken ist.[51] Auf Grund ihrer daseinsvorsorgenden und sozialgestaltenden Funktion, aber auch ihrer Bedeutsamkeit angesichts der Gefahren des technisch-industriellen Fortschritts führt die Verwaltung bei Forsthoff ein Eigenleben gegenüber der bürgerlich-rechtsstaatlichen Verfassung, das von eigenen Rechtsprinzipien geprägt ist.[52] Als literarisches Pendant in der frühen Bundesrepublik fungierte das dreibändige „Verwaltungsrecht“ von Hans Julius Wolff, das im Rechtsquellenkapitel in einer Nachwehe der Naturrechtsrenaissance[53] den „verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen“ immerhin