Ius Publicum Europaeum. Andrzej Wasilewski
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Die Rechtfertigung eines inneren Systems[155] des Allgemeinen Verwaltungsrechts liegt in seiner Natur als Ordnungsidee, die auf der „Verallgemeinerungsfähigkeit“ fachverwaltungsrechtlicher Phänomene gründet und „größere Zusammenhänge“ und „durchlaufende Entwicklungslinien“ sichtbar macht.[156] Das vergleichsweise statische, aber reformoffene Allgemeine und das tendenziell dynamische Besondere Verwaltungsrecht stehen dabei in einer „Verbundperspektive“.[157] Letztere kennzeichnet eine dialektische Mischung aus Deduktion und Induktion,[158] die auf der Idee von jeweils repräsentativen,[159] jedenfalls innovativen „Referenzgebieten“ fußt. Das Allgemeine Verwaltungsrecht erfüllt eine rechtstechnisch entlastende und vereinfachende „Speicherfunktion“, erlaubt die zentrale Einspeisung verfassungsrechtlicher Vorgaben sowie die Diskussion rechtspolitischer „Wertungswidersprüche“ und „Entwicklungsrückstände“ sowie der Rezeptionsvoraussetzungen im Rahmen der fortschreitenden Europäisierung.[160] Eine Zwischenebene mittlerer Abstraktionshöhe bilden vereinzelt entstandene „Allgemeine Teile“ des Fachverwaltungsrechts, kodifiziert im Sozial- und Abgabenrecht, versucht als „Umweltgesetzbuch – Allgemeiner Teil“ und wissenschaftlich geleistet im allgemeinen Planungsrecht sowie im Allgemeinen Teil des Wirtschaftsverwaltungsrechts.[161] Während die Zukunft der Idee eines Allgemeinen Verwaltungsrechts im Europäisierungskontext mangels paralleler systematischer Strukturen der nationalen Verwaltungsrechtsordnungen teils mit Skepsis betrachtet wird,[162] betonen andere eine gewisse Kohärenz von europäischem und deutschem Allgemeinen Verwaltungsrecht und erhoffen für Letzteres eine erneute Schlüsselrolle bei der Überwindung partikularer Rechtszustände.[163]
a) Verfassungs- und Verwaltungsrechtslehre
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Die Verfassungsgeprägtheit des Verwaltungsrechts ist wegen grundgesetzlicher Vorgaben ebenso unbestreitbar wie die prinzipielle Verfassungsbindung der öffentlichen Verwaltung. Verfassungsvorgaben werden insbesondere aus der Abwehr- und Schutzfunktion der Grundrechte, einschließlich der verfahrensrechtlichen Dimension, dem Rechtsstaats-, Demokratie- und Sozialstaatsprinzip, der föderalen Gliederung des Bundes sowie der Garantie kommunaler Selbstverwaltung hergeleitet.[164] Trotz der hochgradigen Konstitutionalisierung der gesamten Rechtsordnung[165] goutiert die Verwaltungsrechtswissenschaft immer weniger die schon klassische Formulierung vom Verwaltungsrecht als „konkretisiertem Verfassungsrecht“[166] und verweist auf einen Selbststand des einfachen Rechts, das über eigene Prinzipien verfüge und nicht einfach aus der Verfassung deduziert werden könne.[167] Auch wenn das Verfassungsrecht stets als Prüfungsmaßstab präsent ist, lassen sich Verwaltung und Verwaltungsrecht nicht sinnvoll als reiner Verfassungsvollzug begreifen. Da umgekehrt aus der Verwaltungswirklichkeit ständig Impulse und Herausforderungen nicht nur für das Verwaltungs-, sondern auch für das Verfassungsrecht erwachsen, kann insgesamt von einem „Verhältnis der Interdependenz“[168] gesprochen werden. Die sich ihrer innovativen Dynamik und Komplexität gewisse Verwaltungsrechtswissenschaft betont mitunter die Statik und Schlichtheit des rangstärkeren Verfassungsrechts,[169] das überdies zum Teil, wie das Beispiel des aus dem preußischen Polizeirecht hervorgegangenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zeige, als „Abstraktion des Verwaltungsrechts“ zu begreifen sei.[170] Disziplinierende Wirkung auf die Entwicklung der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ gewinnt die verfassungsrechtliche Perspektive, wenn der „Rechtsstatus des Einzelnen“ ungeachtet der notwendigen „Perspektivenerweiterung“ den Ausgangspunkt bildet.[171] Effizienzorientierte Steuerungsmodelle finden hier eine Begrenzung.[172] Angesichts des massiven Einbruchs der Europäisierung in das nationale Verwaltungsrecht soll das geflügelte Wort „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“[173] aufgegeben oder jedenfalls umgedreht werden.[174] Die Verschränkung von Verfassungs- und Verwaltungsrechtswissenschaft zeigt sich auch am wissenschaftlichen Personal, das im Regelfall die Lehrbefugnis für beide Teildisziplinen des öffentlichen Rechts innehat, auf beiden Gebieten publiziert und sich unter dem gemeinsamen Dach der „Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer“ versammelt, die traditionell auch verwaltungsrechtlichen Themen eine Diskussionsplattform bietet.[175]
b) Verwaltungsrechts- und Zivilrechtswissenschaft
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Eine vergleichbare institutionelle Verknüpfung von Zivil- und Verwaltungsrechtslehre fehlt trotz weitreichender inhaltlicher Zusammenhänge weitgehend, sieht man vom Alltagsgeschäft der juristischen Fakultäten und dem stark rechtspolitisch orientierten Deutschen Juristentag ab, der keine wissenschaftliche Vereinigung darstellt. Dabei überlässt die von öffentlich-rechtlichen Interventionen in ihren Kernmaterien geplagte Zivilrechtswissenschaft es der Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, sich um die Anwendung von Privatrecht im Verwaltungsbereich zu kümmern. Beide Seiten rekurrieren zur Selbstbeschreibung auf „zeitbedingte“[176] Abgrenzungsformeln zur jeweiligen Gegenseite,[177] was vor allem wegen der damit positivrechtlich verbundenen Rechtswegfrage hohe rechtspraktische Relevanz genießt. Das nicht minder bedeutsame Zusammenspiel beider Rechtsregime führte in der Verwaltungsrechtslehre zur Ausbildung des Verwaltungsprivatrechts[178] neben dem Fiskalbereich, zu der Lehre von Formenwahl und -missbrauch[179] sowie der Zweistufentheorie[180] und erfuhr im Zuge der Privatisierungsdebatte eine vertiefte wissenschaftliche Reflexion sowohl im Hinblick auf die Leistungsprofile, (Dys-)Funktionen und Komplementarität der beiden Teilordnungen als auch ihren Einsatz im Organisations-[181] und Handlungsbereich.[182] Innovativ wirkte ihr Verständnis als „wechselseitige Auffangordnungen“,[183] das Teile der „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ unter Akzentuierung des Gewährleistungsverwaltungsrechts in einer „Verbund-Perspektive“ fortschreiben wollen, was auch dem weitgehend „regimeunabhängigen Ansatz“ des Europarechts entgegenkommt.[184]
4. Verhältnis zur Verwaltungswissenschaft
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Nach wie vor existiert eine Konzeption von juristischer Methode im Verwaltungsrecht, die eine klare Trennung zwischen Verwaltungsrechts- und Verwaltungswissenschaft postuliert,[185] jedenfalls dort, wo es um Entscheidungen über rechtmäßiges oder rechtswidriges Verwaltungshandeln geht.[186] Im juristischen Fächerkanon findet sich die Verwaltungswissenschaft unter dem Namen „Verwaltungslehre“ in die Nebenrolle einer untergeordneten Hilfswissenschaft gedrängt und fungiert als „Sammelplatz für das ‚Nichtjuristische‘ der Verwaltung“.[187] Die hohe Übereinstimmung der in den Lehrbüchern des Allgemeinen Verwaltungsrechts einerseits und der Verwaltungslehre andererseits behandelten