BGB-Erbrecht. Lutz Michalski
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Schließlich besteht auch kein wirklicher Widerspruch zwischen der Andeutungstheorie und der Zulässigkeit der sog. ergänzenden Auslegung (→ Rn. 335 ff.): Bei der ergänzenden Auslegung muss eben gerade nicht das Ergebnis der Lückenschließung selbst in der Urkunde enthalten sein, sondern die Anknüpfungspunkte für die vorzunehmende Auslegung in Bezug auf den „hypothetischen Willen“ der Erblassers.[14]
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In der Praxis spielt die Andeutungstheorie eine wichtige Rolle.[15] Ohne sie müsste über jede Parteibehauptung bezüglich eines angeblichen Erblasserwillens Beweis erhoben werden. Da die Beweiswürdigung nicht in jedem Fall verfälschende Behauptungen als solche entlarven wird, bietet nur die Andeutungstheorie einen ausreichenden Schutz des erklärten Erblasserwillens. Für sie sprechen außerdem prozessökonomische Gründe: Der Richter muss nicht zunächst umfänglich bezüglich des Erblasserwillens Beweis erheben und sodann prüfen, ob dieser formgültig erklärt wurde.
b) Konsequenzen der Andeutungstheorie
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Bei Falschbezeichnungen ist zwischen bewussten und unbewussten Falschbezeichnungen zu unterscheiden. Die bewusste Falschbezeichnung ist aus der Sicht des Erblassers der zutreffende Ausdruck des Gemeinten (falsa demonstratio non nocet).[16]
Schulbeispiel
ist der Erblasser, der seinen Weinvorrat als „Bibliothek“ zu bezeichnen pflegt und ihn unter dieser Bezeichnung auch vermacht. Aufgrund des besonderen Sprachgebrauchs des Erblassers – und nicht nur, weil er innerlich den Weinvorrat vermachen wollte – ist der Weinvorrat zumindest im Testament angedeutet.[17]
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Die unbewusste Falschbezeichnung, die auf einem Erklärungs- oder Inhaltsirrtum beruht, kann auch dem Problemkreis der irrtümlichen Verfügungen zugeordnet werden. Die Verfügung gilt dann mit ihrem objektiv eindeutigen Gehalt und kann nicht durch Auslegung dem eigentlichen Willen des Erblassers angepasst werden; hier hilft ggf. nur die Anfechtung (→ Rn. 384 ff.).[18]
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Unterbliebene Verfügungen – sei es aufgrund der Zerstreutheit des Erblassers oder aufgrund eines Motivirrtums – können nicht durch Auslegung ersetzt werden. Vermacht der Erblasser lediglich die Flurstücke 31 und 32 gesondert und vergisst das Flurstück 30, so kann das Vermächtnis nicht im Wege der Auslegung auf das letztere Flurstück erstreckt werden. Zwar hat der BGH einen ähnlichen, sich jedoch auf einen Vertragsschluss beziehenden Fall als unschädliche Falschbezeichnung gewertet.[19] Dieses Ergebnis lässt sich zwar mit den Anforderungen aus Treu und Glauben (§ 157) begründen; § 157 ist jedoch auf die Auslegung von Testamenten gerade nicht anwendbar (→ Rn. 325). Das Ziel des Erblassers kann auch hier allenfalls durch eine Anfechtung erreicht werden.[20]
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Der Auslegung zugänglich sind auch scheinbar eindeutige Erklärungen.[21] Ein eindeutiger Wortlaut ist nicht die Grenze, sondern das Ergebnis der Auslegung. Der Wortlaut hat jedoch die Vermutung, den Willen des Erblassers wiederzugeben, für sich, sodass an eine abweichende Auslegung strenge Beweisanforderungen zu stellen sind. Häufig sind Fälle, in denen der Erblasser einen Begriff gebraucht, dem in der Fachsprache eine feste Bedeutung zukommt, der in der Alltagssprache jedoch unscharf verwendet wird.
So kann z.B. bei der testamentarischen Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft in der Bezeichnung des Vorerben als „Alleinerben“ die Andeutung eines Willens gesehen werden, den Vorerben von den Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. (→ Rn. 759 ff.) zu befreien.[22]
4. Maßgeblicher Zeitpunkt
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Maßgebend für die Auslegung ist nur der bei der Errichtung des Testaments vorhanden gewesene Wille des Erblassers.[23] Später eintretende Umstände können nur Bedeutung erlangen, soweit sie Rückschlüsse auf den Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zulassen.[24] Andernfalls würden die Formanforderungen für Testamente bzw. Widerrufe umgangen werden.
5. Berücksichtigungsfähige Umstände
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Auszugehen ist vom Wortlaut der Erklärung.[25] Man darf sich jedoch nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränken, muss diesen gleichsam „hinterfragen“, um festzustellen, was der Erblasser tatsächlich gewollt hat.[26] Zur Ermittlung des Erblasserwillens sind auch alle zugänglichen Umständen außerhalb der Testamentsurkunde auszuwerten, die zur Ermittlung des Erblasserwillens beitragen können.[27]
Zu berücksichtigen ist der Textzusammenhang, der sich sowohl aus dem Sinnzusammenhang der einzelnen Sätze als auch aus seiner (grafischen) Anordnung ergeben kann.[28] Die Testamentsform spielt insoweit eine Rolle, als beim eigenhändigen Testament die Begriffe in der Regel alltagssprachlich, beim öffentlichen hingegen fachsprachlich gebraucht werden.[29]
Herangezogen werden können auch andere frühere Erklärungen des Erblassers.[30] Wenn mehrere Testament vorliegen, die sich nach dem Willen des Erblassers ergänzen sollen, so bilden die Testamente in ihrer Gesamtheit die Erklärung des Erblasserwillens; zur Ermittlung des Inhalts jeder einzelnen Verfügung sind daher sämtliche Testamente heranzuziehen.[31] Unproblematisch ist die Heranziehung früherer Erklärungen auch, wenn durch die spätere Verfügung nur eine frühere ergänzt oder präzisiert wird.[32] Formnichtige oder widerrufene frühere Verfügungen sind nur zu berücksichtigen, wenn sie den in der späteren Verfügung angedeuteten Willen verdeutlichen[33]; nicht jedoch, um die spätere Verfügung durch eine weitere Anordnung zu ergänzen[34]. Zur Auslegung herangezogen werden können ferner grundsätzlich auch bloße Entwürfe; hier ist allerdings stets zu berücksichtigen, dass Textunterschiede auch ein Hinweis auf eine Willensänderung sein können.[35]
6. Ergänzende Auslegung
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Im Zeitraum zwischen der Errichtung des Testaments und dem Erbfall ergeben sich häufig Veränderungen, die der Erblasser nicht vorausgesehen hat. Konsequenz ist, dass im Zeitpunkt des Erbfalls keine Regelung vorhanden ist, die diesen veränderten Umständen Rechnung trägt. Zur Schließung solcher Lücken im Testament dient die sog. ergänzende Auslegung.[36] Ein vorschneller Rückgriff auf das gesetzliche Erbrecht würde in diesen Fällen der grundsätzlichen Entscheidung des BGB für den Vorrang der privatautonom gestalteten Erbregelung zuwiderlaufen. Für eine ergänzende Auslegung besteht daher jedenfalls in den Fällen ein Bedürfnis, in denen der Erblasser es nicht in der Hand hatte, nachträgliche Lücken durch neue letztwillige Verfügungen