BGB-Erbrecht. Lutz Michalski
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Voraussetzung für die ergänzende Testamentsauslegung ist zunächst eine planwidrige Lücke.[40] Eine solche liegt vor, wenn ein bestimmter, tatsächlich eingetretener Fall vom Erblasser nicht bedacht und deshalb nicht geregelt wurde, aber geregelt worden wäre, wenn ihn der Erblasser bedacht hätte.[41] Maßgeblich ist insoweit eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände bei Testamentserrichtung.[42] Wenn der Erblasser dagegen bewusst Lücken gelassen (z.B. bewusst nur über einen Teil seines Vermögens verfügt hat[43] oder bewusst keinen Ersatzerben eingesetzt hat[44]), ist eine ergänzende Auslegung weder zulässig noch geboten, sondern würde vielmehr dem Ziel, dem wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung zu verhelfen, zuwiderlaufen.
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Liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, so ist zu prüfen, ob ein hypothetischer Wille des Erblassers ermittelt werden kann, anhand dessen die vorhandene Lücke geschlossen werden könnte.[45] Maßgeblich ist nicht der mutmaßliche wirkliche Wille des Erblassers, sondern vielmehr der Wille, den er vermutlich gehabt hätte, wenn er die planwidrige Unvollkommenheit der letztwilligen Verfügung im Zeitpunkt ihrer Errichtung erkannt hätte.[46] Spätere (reale) Äußerungen des Erblassers können nur herangezogen werden, soweit sich aus ihnen Rückschlüsse auf den Willen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ziehen lassen; andernfalls würden durch die ergänzende Auslegung die Formvorschriften des Widerrufs umgangen werden.[47] Grenzen für die ergänzende Testamentsauslegung ergeben sich zudem aus den gesetzlichen Formerfordernissen und den allgemeinen Grundsätzen der Andeutungstheorie: Durch die ergänzende Auslegung darf kein Wille in das Testament hingetragen werden, der darin nicht wenigstens andeutungsweise ausgedrückt ist.[48] Lässt sich nach diesen Grundsätzen kein hypothetischer Wille des Erblassers feststellen, so muss es trotz vorhandener Regelungslücke beim bisherigen Auslegungsergebnis bleiben.[49]
Insb. ist es auch nicht möglich, das Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313) heranzuziehen; denn dieses wurde für schuldrechtliche Austauschverträge entwickelt und ist daher auf eine unentgeltliche erbrechtliche Zuwendung nicht anwendbar.[50]
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Typische Fälle, in denen eine ergänzende Auslegung in Betracht kommt, sind[51]: Vorversterben einer bedachten natürlichen Person[52], Erlöschen oder Insolvenz einer bedachten juristischen Person[53], Hinzutreten weiterer Personen[54], Veränderungen hinsichtlich des vermachten Gegenstandes[55], Veränderungen in der Vermögenssituation des Erblassers (z.B. unerwarteter Vermögenserwerb[56]), Änderung der Rechtslage[57] oder inflationäre Geldentwertung[58].
7. Wohlwollende Auslegung (§ 2084)
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Wenn der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene Auslegungen zulässt, so ist gem. § 2084 im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die Verfügung Erfolg haben kann (sog. wohlwollende Auslegung – benigna interpretatio). Zweck der Vorschrift ist es, dem Testierwillen des Erblassers soweit wie möglich zur rechtlichen Geltung zu verhelfen.[59] Mit „Erfolg“ ist deshalb nicht etwa schlicht die Rechtswirksamkeit der Verfügung gemeint, sondern die rechtswirksame Erreichung des vom Erblasser gewollten Ziels der Verfügung.[60] Bei diesem Verständnis erscheint § 2084 nicht als Gegensatz, sondern als besondere Ausprägung von § 133.[61]
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Neben der gewöhnlichen (erläuternden) Auslegung (→ Rn. 325 ff.), und der ergänzenden Auslegung (→ Rn. 335 ff.) sowie der Umdeutung (→ Rn. 343) verbleibt für die Vorschrift des § 2084 nur noch ein eingeschränkter Anwendungsbereich. Erfasst sind nur die Fälle, in denen ein gültiges Testament vorliegt und die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt.[62] Ist der Wille des Erblassers hingegen gerade auf den zur Unwirksamkeit führenden Inhalt gerichtet, kommt nur eine Umdeutung in Betracht.[63] Kein Raum für § 2084 ist im Hinblick auf die Beurteilung, ob überhaupt eine Willenserklärung des Erblassers vorliegt oder ob es sich um einen bloßen Entwurf handelt.[64] Ebenso wenig ist § 2084 anwendbar, wenn Zweifel in Bezug auf die Einhaltung der Formerfordernisse bestehen (z.B. bezüglich der Frage, ob Text und/oder Unterschrift eigenhändig vom Erblasser geschrieben wurden).[65]
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§ 2084 ist allerdings analog anwendbar, wenn es um die Frage geht, ob eine Verfügung von Todes wegen oder ein Rechtsgeschäft unter Lebenden vorliegt; wenn die Erklärung nur bei einer dieser Deutungen rechtlichen Erfolg haben kann, ist dieser der Vorzug zu geben.[66]
8. Umdeutung (§ 140)
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Nach heute allgemeiner Meinung können auch Verfügungen von Todes wegen gem. § 140 umgedeutet werden.[67] Im Gegensatz zur Auslegung wird hier der Wille des Erblassers nicht gedeutet oder ergänzt, sondern korrigiert.[68] Voraussetzung für die Umdeutung einer nichtigen Verfügung von Todes wegen in ein anderes Rechtsgeschäft ist, dass dessen Wirksamkeitsvoraussetzungen gegeben sind und ein entsprechender hypothetischer Wille des Erblassers angenommen werden kann. Relevanz hat die Umdeutung vor allem bei formunwirksamen letztwilligen Verfügungen.
Beispiele:
Eine als gemeinschaftliches Testament gedachte letztwillige Verfügung, die mangels Unterschrift[69] oder Testierfähigkeit[70] eines Ehegattens unwirksam ist, kann in ein Einzeltestament des anderen umgedeutet werden (dies gilt richtiger Ansicht nach auch im Falle wechselbezüglicher Verfügungen, → Rn. 223). Eine in einem zweiseitigen Erbvertrag aufgrund der Geschäftsunfähigkeit des einen Teils unwirksame Verfügung kann in eine testamentarische Verfügung umgedeutet werden[71]. Die (wegen § 2302) unwirksame Verpflichtung, ein Testament zu errichten, die in einem notariellen Vertrag enthalten ist, kann in einen (bedingten) Erbvertrag umgedeutet werden[72]. Ein formungültiges Schenkungsversprechen unter Lebenden kann in ein Vermächtnis in Form eines eigenhändigen Testaments umgedeutet werden[73].
9. Wichtige Auslegungs- und Ergänzungsregeln
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Die gesetzlichen Auslegungsregeln sollen eine Hilfestellung bei der Ermittlung der wirklichen Bedeutung einer in einem Testament enthaltenen Erklärung des Erblassers geben. Die Regeln entsprechen allgemein anerkannten Erfahrungssätzen und sind nur dann anzuwenden, wenn der Wille des Erblassers durch