Handbuch Ius Publicum Europaeum. Adam Tomkins
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Der Grundgedanke der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich somit in der einfachen Korrelation zusammenfassen, dass der Umfang der Zuständigkeiten der Europäischen Union das notwendige Maß demokratischer Legitimation der Gemeinschaftsorgane bestimmt.[80] Welche äußersten Grenzen damit der deutschen „Integrationsgewalt“[81] bei den Vertragsverhandlungen gezogen sind, ist freilich eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Sie ist auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung des jeweiligen Integrationsschritts zu beantworten, wobei den zuständigen Verfassungsorganen eine Einschätzungsprärogative zukommt.[82]
cc) Bundesstaatsprinzip
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Da der Bund auch Hoheitsrechte übertragen darf, die innerstaatlich Kompetenzen der Länder betreffen, zieht die insofern „länderblinde“ Kompetenzerweiterung der Europäischen Gemeinschaft/Union in der Regel auch Kompetenzeinbußen der Länder nach sich. Die Länder haben sich daher früh über eine Einengung ihrer Gesetzgebungsbefugnisse beklagt, die wegen der Ausschöpfung der konkurrierenden Zuständigkeiten durch den Bundesgesetzgeber ohnehin begrenzt sind.[83] Wenn weitergehend ein drohender Verlust ihrer Eigenstaatlichkeit geltend gemacht wird, so wird damit auf einen möglichen Konflikt mit Art. 79 Abs. 3 GG abgehoben, der die Gliederung des Bundes in Länder und – in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG – das Bundesstaatsprinzip für nicht abänderbar erklärt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss den Ländern ein „Kern eigener Aufgaben als ‚Hausgut‘ unentziehbar“ verbleiben,[84] wobei das Gericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1992 offen ließ, ob dies nur im Verhältnis zum Bund oder auch bei Kompetenzübertragungen auf die Europäische Gemeinschaft gelten soll.[85] Diese Frage wurde bald darauf durch den in das Grundgesetz eingefügten neuen Art. 23 GG explizit im letzteren Sinne beantwortet.
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Die Länder versuchten früh, zur Kompensation ihrer Kompetenzverluste stärker an der Willensbildung in Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaften beteiligt zu werden. Bereits das Zustimmungsgesetz zu den Römischen Verträgen von 1957[86] hatte die Verpflichtung der Bundesregierung statuiert, nicht nur den Bundestag, sondern auch den Bundesrat (und auf diesem Wege die Landesregierungen) über die Entwicklungen im Rat der Wirtschaftsgemeinschaft und im Rat der Atomgemeinschaft laufend zu unterrichten. Gesteigerte Beteiligungsrechte des Bundesrates sah das Zustimmungsgesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 (EEA) vor,[87] mit der die Weichen für die Weiterentwicklung der Gemeinschaften und der Europäischen Politischen Zusammenarbeit zu einer Europäischen Union gestellt wurden. Da auch dieses Gesetz der Zustimmung des Bundesrates bedurfte, konnten die Länder ihre Forderungen im Wesentlichen durchsetzen. In dem Gesetz wurde nunmehr auch die Verpflichtung der Bundesregierung festgelegt, Stellungnahmen des Bundesrates zu Vorhaben der Europäischen Gemeinschaften, welche die Interessen der Länder berühren, bei den Verhandlungen zu berücksichtigen und, soweit es um Stellungnahmen geht, die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betreffen, davon nur „aus unabweisbaren außen- und integrationspolitischen Gründen“ abzuweichen.[88] Da das Zustimmungsgesetz zur EEA Rechtsbeziehungen zwischen Verfassungsorganen regelte, konnte es ohne Grundgesetzänderung nur dann als verfassungsmäßig qualifiziert werden, wenn man in ihm eine zutreffende Konkretisierung der Pflichten erblickte, die sich aus den verfassungsrechtlichen Prinzipien der Bundestreue oder der Organtreue ergeben.[89] Auch hinsichtlich der Beteiligungsrechte der Länder durch den Bundesrat brachte der 1992 in das Grundgesetz eingefügte neue Art. 23 GG bald eine explizite Regelung.
c) Fortentwicklung des Europaverfassungsrechts
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Angesichts der fortschreitenden Integration der Europäischen Gemeinschaften hatte es seit den 1970er Jahren Überlegungen zu einer Reform der auf die europäische Integration bezogenen Bestimmungen des Grundgesetzes gegeben. Die im Jahr 1973 vom Bundestag eingesetzte Enquête-Kommission Verfassungsreform befasste sich auch näher mit den Art. 24, 25, 32 und 59 des Grundgesetzes.[90] Eine der im Bericht aus dem Jahr 1976 formulierten Empfehlungen ging dahin, die Übertragung von Hoheitsrechten der Länder künftig nur auf der Grundlage eines von der Zustimmung des Bundesrates abhängigen Vertragsgesetzes zu erlauben.[91] Ein entsprechender Vorschlag war bereits im Parlamentarischen Rat diskutiert worden.
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Den entscheidenden Anlass für die Einfügung spezifischen Europaverfassungsrechts in das Grundgesetz lieferte der Maastrichter Unionsvertrag. In der im Januar 1992 konstituierten Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat kam man, nicht zuletzt auf der Basis einer Sachverständigenanhörung,[92] zu dem Schluss, dass mit dem Unionsvertrag ein „neues Stadium“ der europäischen Integration erreicht werde.[93] Bei der Expertenanhörung im Mai 1992 hatte die Mehrzahl der Sachverständigen vertreten, dass die mit dem Unionsvertrag erreichte Integrationsstufe nicht mehr durch das geltende Verfassungsrecht gedeckt sei. Art. 24 Abs. 1 GG gehe von der Übertragung einzelner Hoheitsrechte aus und nicht von einem Zusammenschluss, der weite Bereiche der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland bestimme. Entgegen dieser engen Interpretation des Art. 24 Abs. 1 GG hat man in anderen europäischen Ländern vergleichbare, nach dem deutschen Vorbild formulierte Integrationsklauseln weiter ausgelegt und sieht keine Schwierigkeit, auf ihrer Grundlage auch den Europäischen Verfassungsvertrag zu ratifizieren.[94]
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Mit ihrem Vorschlag für eine besondere Regelung der europäischen Integration wollte die Gemeinsame Verfassungskommission freilich nicht nur weitere Integrationsschritte ermöglichen, sondern auch gewährleisten, dass die Sicherung bestimmter vom Grundgesetz besonders geschützter Strukturprinzipien von der Bundesrepublik Deutschland zur Voraussetzung weiterer Integrationsschritte gemacht wird. Der neue „Europa-Artikel“ sollte dabei symbolträchtig die Stelle der früheren nationalen Integrationsklausel, der Bestimmung über das Inkrafttreten des Grundgesetzes in „anderen Teilen Deutschlands“, einnehmen. Der alte Art. 23 GG war mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik,[95] d.h. mit der am 3. Oktober 1990 wirksam gewordenen Wiedervereinigung, gegenstandslos geworden.
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Die Vorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission, die auch eine Reihe weiterer Bestimmungen des Grundgesetzes betrafen, wurden durch das 38. Änderungsgesetz zum Grundgesetz am 21. Dezember 1992[96] umgesetzt. Die weiteren durch dieses Gesetz eingefügten Grundgesetzbestimmungen betreffen u.a. die Einrichtung eines Europa-Ausschusses im Bundestag (Art. 45 a GG) und einer Europakammer im Bundesrat (Art. 52 Abs. 3a GG) sowie die Regelung des Kommunalwahlrechts von Unionsbürgern (Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG).
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Der vorerst letzte Schritt eines Ausbaus des Integrationsverfassungsrechts erfolgte im Jahr 2000[97] mit der Regelung von Ausnahmen des Verbotes der Auslieferung Deutscher an das Ausland im Interesse der Mitwirkung Deutschlands an einer internationalen Strafgerichtsbarkeit sowie an einer integrierten justiziellen Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG).
2. Die Integrationsklauseln im Einzelnen
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Art. 23 GG n.F. ist seit der Grundgesetzänderung von 1992 die entscheidende Grundlage für die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland an der Fortentwicklung der EU. Wie seinerzeit bei Art. 24 Abs. 1 GG, der späteren Verfassungen als Vorbild diente, handelt es sich