Einführung in das Verfassungsrecht der USA. Guy Beaucamp
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III. Generelle Schwierigkeiten des rechtsvergleichenden Blicks
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Eine Darstellung des Verfassungsrechts der USA mit einem rechtsvergleichenden Blick auf das Grundgesetz ist ein sehr ehrgeiziges Unterfangen. Deshalb heißt es im Titel auch „Einführung“. Es können nur ausgewählte Strukturen der beiden Verfassungen dargestellt und nur vereinzelt verglichen werden.
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Gerade die Rechtsvergleichung steckt zudem voller Tücken. Wie Pierre Legrand eindrucksvoll gezeigt hat, steht man nicht nur vor einem sprachlichen Problem[1], sondern auch vor der erkenntnistheoretischen Schwierigkeit, dass man das fremde Recht immer durch die Brille seiner eigenen juristischen Sozialisation, der eigenen Begriffswelt, der eigenen Methodik und somit verfälscht wahrnimmt[2]. Mark Tushnet spricht in diesem Zusammenhang von einem normativen oder ideologischen Ballast, den jede Verfassungsrechtsvergleichung mitbringt[3].
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Schließlich sei – um überhöhten Erwartungen zu begegnen – darauf hingewiesen, dass die Ursachen möglicher rechtlicher Unterschiede, die unter 2. bereits angedeutet wurden, zahlreich und häufig nicht einfach zu rekonstruieren sind. Verfassungsrecht zu vergleichen ist ein sehr schwieriges Unterfangen[4]. Wenn man, was plausibel erscheint, Verfassungsrecht als Produkt einer bestimmten Kultur begreift[5], kommen neben den erwähnten historischen, politischen, philosophischen und geographischen Aspekten auch noch soziale und ökonomische Erklärungen für bestimmte Regelungen in Betracht[6]. In einem einführenden Werk wie diesem, kann indes nicht annähernd allen Erklärungsansätzen nachgegangen werden.
Anmerkungen
Legrand, JCL 10:2, 405, 443 spricht sogar von „no translatability“; s.a. Frankenberg, Harvard International Law Journal 26:2 (1985), 411, 420; Voßkuhle, European Constitutional Law Review 6 (2010), 175, 184; Kommers, German Law Journal 20 (2019), 524, 529; Jackson, Penn State International Law Review 28 (2010), 319 u. 323; Kischel, S. 33; Tushnet, Comparative, S. 6.
Legrand, JCL 10:2, 405, 423 u. 428; ähnlich bereits Frankenberg, Harvard International Law Journal 26:2 (1985), 411, 413 f., 416, 425, 441 f u. 455; Kischel, S. 199 f.
Tushnet, Comparative, S. 9.
Heringa, S. 34; Kommers, German Law Journal 20 (2019), 524, 528.
Legrand, JCL 10:2, 405, 420, 422, 431 u. 433 m.w.N.; ähnlich Teitel, Harvard Law Review 117 (2004), 2570, 2578; Weber, S. 4; Kischel, S. 1 u. 34.
Ähnlicher Ansatz bei Frankenberg, Harvard International Law Journal 26:2 (1985), 411, 454; Kommers, German Law Journal 20 (2019), 524, 528; s.a. Jackson, Penn State International Law Review 28 (2010), 319 u. 323; Müller, ZaöRV 79 (2019), 85, 88; Hirschl, American Journal of Comparative Law 53 (2005), 125, 129.
A. Einleitung › IV. Verfassungsauslegung in den USA und Deutschland
IV. Verfassungsauslegung in den USA und Deutschland
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In beiden Ländern gibt es einen weitgehend akzeptierten Katalog von Interpretationsmöglichkeiten des Rechts, der auch für die Verfassungsauslegung herangezogen wird[1]. Er besteht aus der Wortlautauslegung, der systematischen oder auch kontextbezogenen[2] Auslegung, der historischen Auslegung[3] und der Auslegung nach dem Sinn und Zweck[4]. Die Gewichtung dieser Auslegungsgesichtspunkte ist allerdings durchaus unterschiedlich. In den USA werden, wie sogleich erläutert wird, historische Argumente oft sehr wichtig genommen[5], wohingegen systematisch-dogmatische Argumente, etwa der Gedanke der Einheit der Verfassung, weniger Relevanz haben[6].
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Eine Besonderheit der US-amerikanischen Verfassungsauslegung ist allerdings der von manchen vertretene Ansatz des „original meaning“. Hier wird nach der Bedeutung gesucht, die der Verfassungstext ursprünglich, also zu seiner Entstehungszeit, hatte[7]. Selbst der Wille des Verfassungsgebers wird hierbei von manchen nicht berücksichtigt[8]. Auf diese Weise soll dem Verfassungstext selbst mehr Gewicht zukommen als etwa den hierzu später ergangenen Entscheidungen des Supreme Court[9]. Dies kann bedeuten, dass der demokratisch gewählte Verfassungsgeber gegenüber dem Verfassungsgericht aufgewertet wird[10]. Außerdem soll dieser Interpretationsmodus mehr zur Rechtssicherheit beitragen als sein Gegenentwurf, der etwa mit den Stichworten „living“ oder „evolving constitution“ gekennzeichnet wird[11]. Denn die Bedeutung bestimmter von der Verfassung eingesetzter Begriffe zu einer bestimmten Zeit lässt sich leichter ermitteln, als etwa der Sinn und Zweck, den eine Verfassungsbestimmung heute am besten haben sollte[12]. Zudem solle eine Verfassung Stabilität vermitteln und nicht nach dem Willen der Verfassungsrichterinnen und -richter beliebig wandelbar sein[13]. Generell bestehe bei der teleologischen Interpretation die Gefahr, dass Richter ihre eigenen Vorstellungen an die Stelle der Vorstellungen des Gesetzgebers setzten[14].
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Aus deutscher Perspektive ist der Wunsch, an der ursprünglichen Wortbedeutung aus dem 18. Jahrhundert festzuhalten, ungewöhnlich[15]. Paul Kahn formuliert dies treffend[16]: The American concern with “original intent” for example, appears simply irrational – a kind of legal fetish – to the rest of the world. Eventuell spielt hier die fast religiöse Verehrung des Verfassungstextes[17] und der Verfassungsväter eine gewisse Rolle. Dennoch vermag der streng originalistische Ansatz nicht zu überzeugen[18]. Denn auch ein historisch interpretierter Wortlaut bietet Spielräume, geschichtliche Quellen sind vielfältig und ihre Aussagen nicht eindeutig[19]. Es kommt hinzu, dass die Methode, sich auf den ursprünglichen Text zu konzentrieren, bei Regelungslücken ins Leere geht. So spricht Art. I, section 8, cl. 12 USC von Armeen und Art. I, section 8, cl. 13 USC von der Marine, aber eine Luftwaffe ist in der Verfassung nicht erwähnt, weil 1787 noch unvorstellbar[20]. Dennoch besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass der Kongress die Kompetenz hat, eine Luftwaffe einzurichten. Folglich müssen „Originalisten“ bei historisch umstrittenem Wortlaut oder Regelungslücken ebenfalls auf die anderen Interpretationsmethoden zurückgreifen[21], so dass die Unterschiede zur Gegenauffassung nur graduell sein können. Hier besteht die Gefahr der Inkonsistenz, nämlich dass ich mich nur solange auf die ursprüngliche Wortbedeutung beschränke, wie mir das Ergebnis passt[22]. Es erscheint ohnehin unplausibel, in komplexen Auslegungsfragen bestimmte Informationen, wie etwa die Absichten des Verfassungsgebers oder die Betrachtung der aktuellen Auswirkung bestimmter Auslegungsvarianten von vornherein auszuschließen.
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