Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha

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Bankrott und strafrechtliche Organhaftung - Jörg Habetha Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht

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des § 283 Abs. 1 StGB begründet insoweit eine normative Zäsur dieser Risikozuordnung, da nach Eintritt (drohender) Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung das Vermögen des Schuldners den vollständigen Ausgleich sämtlicher Verbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet. In dieser Situation verbietet § 283 Abs. 1 StGB dem Schuldner, bestimmte vermögensmindernde Dispositionen oder informationsbezogene Handlungen, die die wirtschaftlichen Interessen der Gesamtgläubigerschaft gefährden.[30] Maßgeblich ist danach, ob die Krise in Kombination mit der Bankrotthandlung zu einer derart gewichtigen Gefährdung der wirtschaftlichen Interessen der Gesamtgläubigerschaft führt, die (im Lichte des verfassungsrechtlich verbürgten Übermaßverbots) einen Unrechtsgehalt begründet, der eine Sanktionierung durch Kriminalstrafe rechtfertigt. Die Funktion des Krisenmerkmals besteht also nicht darin, eine wirtschaftliche Krise des Schuldners zu umschreiben, die eine Insolvenzeröffnung rechtfertigt (§§ 17–19 InsO) oder den Schuldner hierzu zwingt (§ 15a Abs. 4 und 5 InsO). Sie liegt vielmehr darin, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die im Katalog des § 283 Abs. 1 StGB genannten Bankrotthandlungen eine strafrechtliche Sanktion rechtfertigen. Für diese Frage besitzen die Insolvenztatbestände allenfalls indiziellen Charakter.[31]

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      Überdies ist zu bedenken, dass die Ausweitung der Gestaltungsmöglichkeiten des Insolvenzverfahrensrechts, die insbesondere mit Blick auf eine Verbesserung der Sanierungschancen erfolgte, gleichzeitig die Eingriffsschwelle für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens senkt. Das Insolvenzverfahren ist danach für den Schuldner nicht mehr „die Katastrophe schlechthin“, sondern begründet „eine Möglichkeit zur Lösung seiner wirtschaftlichen Probleme mit einer Reihe von Chancen“.[32] Die insolvenzrechtliche Relativierung der Eingriffsintensität rechtfertigt zugleich, die Voraussetzungen der Insolvenztatbestände auszuweiten. Die Rechtsfolge des § 283 Abs. 1 StGB ist dagegen durch die Insolvenzrechtsreform unverändert. Die verfassungsrechtliche „Schranke“ des Übermaßverbots liegt damit im strafrechtlichen Kontext unverändert hoch. Die erforderliche autonom strafrechtliche Auslegung der Krisenmerkmale kann danach allenfalls orientiert an der insolvenzrechtlichen Begriffsausfüllung erfolgen.[33] Diese bilden dementsprechend (nur) den Ausgangspunkt – nicht aber das Ergebnis – einer strafrechtlichen Begriffsbestimmung.[34] Eine abweichende strafrechtliche Definition (drohender) Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung ist dementsprechend in Bereichen veranlasst, in denen eine unveränderte Übertragung der insolvenzrechtlichen „Vorgaben“ zu einer unverhältnismäßigen Ausweitung der Strafbarkeit führen würde.[35] Im Ergebnis besteht aus diesen Gründen nur eine funktionale Insolvenzrechtsakzessorietät der Krisenmerkmale.[36] Die „Komplikationen“, die eine Spaltung der straf- und insolvenzrechtlichen Voraussetzungen der Krisenmerkmale, ebenfalls die weitere Differenzierung innerhalb des Insolvenzstrafrechts (zwischen den Bankrottdelikten und dem Tatbestand Insolvenzverschleppung), bewirkt, sind aufgrund des abweichenden Regelungszusammenhangs und der damit verbundenen Relativität der Rechtsbegriffe sowie der deutlich divergierenden Zielrichtungen der betroffenen Normen nicht vermeidbar.

      Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der KrisenmerkmaleB › II. Zahlungsunfähigkeit

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      Zahlungsunfähigkeit liegt nach insolvenzrechtlicher Legaldefinition vor, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO). Auf die noch vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung erforderlichen zusätzlichen Merkmale eines dauerhaften Unvermögens des Schuldners, seine aktuell zu erfüllenden Verbindlichkeiten noch im Wesentlichen zu befriedigen, hat der Gesetzgeber dagegen bewusst verzichtet, um durch die Erweiterung dieses Insolvenzgrundes eine frühzeitige Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten.[37] Allein an der Voraussetzung eines ernsthaften Einforderns hält die Rechtsprechung in Zivilsachen im Rahmen eines „insolvenzrechtlichen Fälligkeitsbegriffs“ auch nach Einführung der Insolvenzordnung, wie gesehen, fest.[38]

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      Es ist umstritten, ob die insolvenzrechtlichen Weiterungen bei der strafrechtlichen Definition des Krisenmerkmals „Zahlungsunfähigkeit“ bindend zu berücksichtigen sind. Die Rechtsprechung[39] und Teile des Schrifttums[40] legen der strafrechtlichen Begriffsbestimmung auch insoweit eine strenge Zivilrechtsakzessorietät zu Grunde. Danach sei die Maßgeblichkeit der Merkmale „Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit“ des Liquiditätsdefizits ebenfalls im Rahmen des § 283 Abs. 1 StGB entfallen.[41] Die Zeitspanne der Illiquidität müsse in Anlehnung an das Insolvenzrecht[42] noch mindestens drei Wochen umfassen; die Liquiditätslücke im Mindestmaß 10 % betragen.[43] Diese strikte Insolvenzrechtsakzessorietät ist jedoch, wie gezeigt, keineswegs zwingend. Eine eigenständige, von den insolvenzrechtlichen Vorgaben grundsätzlich gelöste, autonom strafrechtliche Begriffsbestimmung erscheint ebenso wenig sinnwidrig. Sie ist wegen des abweichenden Regelungszusammenhangs vielmehr vorzugswürdig. Die Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit, die die Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtfertigen, müssen strafrechtlich gesehen (am Maßstab des Bankrotts) nicht ohne Ausnahme eine in Zusammenschau mit der Bankrotthandlung ausreichende Gefährdung der ökonomischen Interessen der Gläubigerschaft begründen.[44] Die insolvenzrechtlichen „Vorgaben“ kennzeichnen das strafrechtlich relevante Unrecht (Ausmaß der Krisensituation) keineswegs ausnahmslos und hinreichend sicher.

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      Auch im Anschluss an die Insolvenzrechtsreform sind insolvenzrechtlich nur solche Forderungen in die Betrachtung einzubeziehen, die von Seiten der (Unternehmens-)Gläubiger ernsthaft eingefordert werden.[45] Dieses Kriterium wurde bereits zuvor zur Beschränkung des strafrechtlichen Krisenmerkmals „Zahlungsunfähigkeit“ herangezogen, da nur Forderungen, die bei Fälligkeit (i.S. von § 271 BGB) auch ernsthaft eingefordert werden, geeignet sind, Geldilliquidität i.S. einer manifesten Krisensituation zu begründen.[46] Teile des Schrifttums[47] und die Rechtsprechung,[48] die im Grundsatz einer strengen Insolvenzrechtsakzessorietät zuneigen, wollen dieses Kriterium im Anschluss an die Einführung der Insolvenzordnung allerdings aufgeben. Diese Auffassung wird jedoch gerade unter der Prämisse einer strengen Insolvenzrechtsakzessorietät im Anschluss an die aktuelle Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen, die – im Unterschied hierzu – auch weiterhin an einem insolvenzrechtlichen Fälligkeitsbegriff unter Einschluss des Merkmals eines ernsthaften Einforderns festhält,[49] zu revidieren sein. Gerade eine streng an die insolvenzrechtlichen Vorgaben angelehnte strafrechtliche Begriffsausfüllung kann auf das Merkmal des „ernsthaften Einforderns“ nicht verzichten. Hinsichtlich dieses restriktiven Kriteriums besteht – zwischen einer strikten und einer (nur) funktionalen Insolvenzrechtsakzessorietät – nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen daher keine Diskrepanz (mehr). Unabhängig davon kann der strafrechtliche Krisenbegriff nicht weiter gefasst werden als der insolvenzrechtliche Eröffnungsgrund. Dieses Ergebnis ist auch mit Blick auf § 283 StGB sachlich zutreffend, da Verbindlichkeiten, bezüglich derer Gläubiger durch ein Unterlassen des Einforderns zu erkennen geben, dass keine sofortige Leistung erwartet wird, die aktuelle Liquiditätssituation faktisch nicht negativ beeinflussen.[50] In diesen Konstellationen genügt das Ausmaß der Krise (noch) nicht, um in Zusammenschau mit einer Bankrotthandlung des § 283 Abs. 1 StGB (und der objektiven Bedingung der Strafbarkeit, § 283 Abs. 6 StGB) ein strafwürdiges Unrecht zu begründen.

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