Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha

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Bankrott und strafrechtliche Organhaftung - Jörg Habetha Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht

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Zeiträumen zunehmenden Prognoseunsicherheit kann auch durch eine Erhöhung des erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrads kaum mehr hinreichend sicher begegnet werden.[85]

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      Daneben sind sämtliche zur Verfügung stehenden Mittel, d.h. neben der vorhandenen Liquidität und den zu erwartenden Einnahmen, insbesondere auch verfügbare „Kreditmöglichkeiten“ sowie die zu erwartende Auftragsentwicklung, zu berücksichtigen.[86] Die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit muss bereits zum Zeitpunkt der Vornahme der Bankrotthandlung – nicht erst danach – bestehen.[87] Drohende Zahlungsunfähigkeit kann betriebswirtschaftlich insbesondere durch eine Finanzvorschau und Liquiditätsplanung ermittelt werden.[88] Daneben kommt (alternativ) die Feststellung auf der Grundlage kriminalistischer Beweisanzeichen in Betracht,[89] wobei freilich zu bedenken ist, dass im Vergleich zu eingetretener Zahlungsunfähigkeit bereits schwächere Anzeichen, etwa drohende Schadenersatzansprüche, drohende Zusammenbrüche wichtiger Kunden, die drohende Kündigung von Bankkrediten oder der anhaltend stockende Ausgleich laufender Verbindlichkeiten als Indizien in Betracht kommen.[90] Andererseits ist der Schluss, dass die Unternehmensleitung solchen Entwicklungen nicht (rechtzeitig) entgegensteuern kann, nur selten mit der erforderlichen Sicherheit zu ziehen.

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      Wegen der Ungewissheit der weiteren Entwicklung besteht eine Parallele zum Insolvenzgrund der Überschuldung, der allerdings anders als (drohende) Zahlungsunfähigkeit nicht an der Liquiditäts-, sondern an der Vermögenslage des Unternehmens anknüpft. Der Eintritt von Überschuldung ist zugleich Indiz drohender Zahlungsunfähigkeit, da der Mangel an Eigenkapital in Relation zum Fremdkapitalanteil des Vermögens eine zukünftige Fremdkapitalfinanzierung erschwert. Dies gilt insbesondere bei längerfristiger Überschuldung.[91] Überschuldung scheidet sowohl im insolvenz- wie im strafrechtlichen Sinn bei Bestehen einer positiven Fortführungsprognose aus.[92] Eine positive Fortführungsprognose kann gestellt werden, wenn die ökonomische Ertrags- und Leistungsfähigkeit nach sachkundiger Prüfung aller maßgeblichen erkennbaren Umstände absehbar gewährleistet oder wiederhergestellt werden kann, wobei insbesondere auch eine Liquiditätsplanung erforderlich ist.[93] Dieser Grundgedanke ist auf das Krisenmerkmal drohender Zahlungsunfähigkeit im Zusammenhang des § 283 StGB übertragbar. Die im Rahmen der Fortführungsprognose anzustellende Beurteilung erscheint mit der prognostischen Prüfung drohender Zahlungsunfähigkeit insoweit durchaus vergleichbar. Die Prüfungsinhalte überschneiden sich jedenfalls in wesentlichen Teilbereichen.[94] Die wirtschaftliche Krise, die durch eine drohende Zahlungsunfähigkeit beschrieben wird, hat dann kein hinreichendes, Strafwürdigkeit auslösendes Gewicht, wenn dem Betroffenen trotz vorhandener gegenläufiger Indizien (die auf drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuten) eine Fortführung des Unternehmens nach Behebung der sich andeutenden Liquiditätskrise voraussichtlich dennoch möglich sein wird. Jedenfalls kann in diesen Fällen eine Überwindung des drohenden Liquiditätsdefizits nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden, so dass die Fortführung nicht gänzlich unwahrscheinlich ist. Der Insolvenzgrund drohender Zahlungsunfähigkeit kann im Insolvenzrecht auf derartige Restriktionen verzichten, da dessen Anwendung allein in der Dispositionsbefugnis des Schuldners selbst steht (§ 18 Abs. 1 InsO) und die abweichende Zielrichtung (Steigerung der Chancen einer Sanierung/Fortführung) verfolgt. Strafrechtlich scheidet drohende Zahlungsunfähigkeit dagegen aus, wenn nicht auszuschließen ist, dass zukünftig drohende Liquiditätsdefizite (welche die Qualität einer Zahlungsunfähigkeit zu erreichen drohen) möglicherweise durch unternehmerische Maßnahmen behoben werden können. In diesem Fall fehlt ein Strafwürdigkeit begründendes Ausmaß der wirtschaftlichen Krise. Die vorzunehmende Prüfung ist, wie gezeigt, der Beurteilung einer Fortführungsprognose im Falle von Überschuldung inhaltlich wenigstens angenähert.[95]

      Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der KrisenmerkmaleB › IV. Überschuldung

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      Der Insolvenztatbestand „Überschuldung“ (i.S.v. § 19 InsO) ist, wie gesehen, auf juristische Personen beschränkt.[96] Im Zusammenhang mit dem wortgleichen strafrechtlichen Krisenmerkmal fehlt dagegen eine vergleichbare Restriktion. Der Gesetzgeber hat hierauf bewusst verzichtet.[97] Überschuldung wird dementsprechend im Rahmen von § 283 Abs. 1 StGB auf das Vermögen jedes Schuldners bezogen angewandt.[98] Dieser Umstand erweitert den personellen Anwendungsbereich im strafrechtlichen Kontext.[99] Auf der Grundlage des FMStG[100] gilt insolvenzrechtlich ein modifizierter Überschuldungstatbestand.[101] Das Vorliegen bilanzieller Überschuldung und eine negative Fortführungsprognose sind danach gleichrangige Tatbestandsmerkmale. Der Eröffnungstatbestand scheidet bei positiver Fortführungsprognose aus. Diese Restriktion des insolvenzrechtlichen Krisenbegriffs ist in das Insolvenzstrafrecht zu übertragen.[102]

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      Überschuldung erfordert einerseits bilanzielle Überschuldung, d.h. dass das Aktivvermögen des Schuldners die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt.[103] Die Ermittlung erfolgt auf der Grundlage eines Überschuldungsstatus (stichtagsbezogene Überschuldungsbilanz).[104] Maßgeblich ist der tatsächliche Wert der vorhandenen Wirtschaftsgüter.[105] Stille Reserven, etwa handels- oder steuerrechtlich nicht aktivierbare immaterielle Wirtschaftsgüter sowie der „good-will“, sind zu berücksichtigen.[106] Der Buchwert unter Berücksichtigung der Abschreibungen gemäß Steuer- oder Handelsrecht ist dagegen nicht maßgeblich.[107] Auf der Passivseite sind alle echten Verbindlichkeiten, d.h. alle gegenwärtigen Zahlungsverpflichtungen, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Insolvenzmasse zu berichtigen wären, einzustellen.[108] Da die Regelung des § 19 Abs. 1 S. 2 InsO a.F. (bis auf Weiteres) nicht anwendbar bleibt, erscheint problematisch, ob die Feststellung des Marktwerts der vorhandenen Wirtschaftsgüter anhand von Liquidations- oder (regelmäßig höheren) Fortführungswerten zu erfolgen hat.[109] § 19 Abs. 1 S. 2 InsO a.F. sah den Ansatz zu „going-concern-Werten“ vor, wenn eine positive Fortführungsprognose gestellt werden konnte. Aktuell scheidet Überschuldung bei positiver Fortführungsprognose – auch als Krisenmerkmal i.S.d. § 283 Abs. 1 StGB – dagegen bereits a priori aus.[110] Der Prognosezeitraum soll sich (entsprechend der im Kontext drohender Zahlungsunfähigkeit relevanten Zeitspanne) regelmäßig auf das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr beziehen.[111] Einer strafrechtlichen Restriktion bedarf der Grad der Wahrscheinlichkeit einer positiven Fortführungsprognose. Während insolvenzrechtlich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung erforderlich ist,[112] kommt es strafrechtlich darauf an, dass die Fortführung nicht gänzlich unwahrscheinlich ist.[113] Neben dem Grundsatz „in dubio pro reo“ [114] ist strafrechtlich zu bedenken, dass Überschuldung in diesem Kontext eine derart vertiefte wirtschaftliche Krise beschreiben soll, die im Falle einer Bankrotthandlung Strafwürdigkeit begründet. Letzteres ist bei Vorliegen bilanzieller Überschuldung nur der Fall, wenn die Unternehmensfortführung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist.[115] Die Bewertungsproblematik der Wirtschaftsgüter stellt sich daher nur bei (mit hoher Wahrscheinlichkeit) negativer Fortführungsprognose. Der tatsächliche Wert vorhandener Vermögensgegenstände wird (häufig maßgeblich) dadurch beeinflusst, ob deren Verwertung im Rahmen einer Liquidation oder der Unternehmensfortführung realisiert werden soll. Da das letztgenannte Szenario im Falle einer negativen Fortführungsprognose faktisch ausscheidet, ist die Wertermittlung bei der Feststellung von Überschuldung im Kontext von § 283 StGB an den Liquidationswerten, nicht dagegen am „going-concern-Wertansatz“, auszurichten.[116] Sofern strafrechtlich eine negative Fortführungsprognose festgestellt ist, besteht kein Anlass bei Ermittlung des tatsächlichen Werts, dennoch die Fiktion einer Unternehmensfortführung zu berücksichtigen. Im Falle einer positiven Fortführungsprognose bedarf es einer zusätzlichen Prüfung anhand eines Überschuldungsstatus, wie gesehen, nicht mehr, da in diesem Fall Überschuldung unabhängig von dem Ergebnis des Vermögensvergleichs ausscheidet. Die Feststellung von Überschuldung bereitet

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