Bankrott und strafrechtliche Organhaftung. Jörg Habetha

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Bankrott und strafrechtliche Organhaftung - Jörg Habetha Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht

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an die Feststellung von Zahlungsunfähigkeit als Krisenmerkmal des § 283 Abs. 1 StGB nicht. Es handelt sich – auch in der insolvenzrechtlichen Judikatur – bei Lichte besehen nur um Richtwerte mit Indizcharakter. Die „10 %-Grenze“ markiert bei genauer Betrachtung nur einen Referenzwert für eine zivilrechtliche Beweislastverteilung: Während der Schuldner im Fall von Liquiditätslücken, die diesen Referenzwert übersteigen, die Beweislast dafür trägt, dass Zahlungsunfähigkeit nicht vorliegt, kehrt sich die Beweislastverteilung bei Unterschreitung des Schwellenwertes um.[51] In das Strafrecht kann diese Beweisregel schon prozessual unter Beachtung des „in dubio pro reo“ Satzes nicht übernommen werden.[52] Das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit ist selbst bei Erreichen oder Überschreiten dieser Grenze – selbst nach insolvenzrechtlicher „Vorgabe“ – widerlegbar, d.h. hierdurch keineswegs ausreichend sicher festgestellt. Aus diesem Grund ist strafrechtlich ein „Sicherheitszuschlag“ veranlasst. Um Unsicherheiten auszuschließen, ist im Rahmen von § 283 Abs. 1 StGB eine Liquiditätslücke von wenigstens 25 % der (ernsthaft eingeforderten) Verbindlichkeit erforderlich, um die Voraussetzungen des Krisenmerkmals zu begründen.[53]

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      Entsprechendes gilt für die strafrechtliche Feststellung der Dauerhaftigkeit der Liquiditätslücke zur Beurteilung der Zeitraumilliquidität.[54] Die dreiwöchige Frist berücksichtigt nur die Dauer, welche die Kapitalbeschaffung „für gewöhnlich“ erfordert.[55] In Einzelfällen besteht – auch nach der Rechtsprechung in Zivilsachen – die Möglichkeit, dass eine Liquiditätslücke – absehbar – noch zu einem späteren Zeitpunkt zurückgeführt werden kann.[56] Dies gilt insbesondere für (kleinere) Unternehmen, die wirtschaftlich nur von wenigen Auftraggebern abhängig sind.[57] Die Anwendung starrer Grenzen, die unabhängig vom jeweils zu würdigenden Einzelfall Geltung beanspruchen, erscheint im strafrechtlichen Kontext zur Abgrenzung zwischen (noch) straflosem und überhaupt strafbarem Verhalten problematisch. Jedenfalls ist strafrechtlich auch im Zusammenhang der Abgrenzung von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsstockung ein Sicherheitszuschlag veranlasst. Strafrechtlich ist danach ein Illiquiditätszeitraum von wenigstens sechs Wochen Voraussetzung.[58]

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      Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Krisenmerkmal der Zahlungsunfähigkeit im Kontext der §§ 283 ff. StGB die Feststellung einer Liquiditätslücke von mindesten 25 % der fälligen – und ernsthaft eingeforderten – (Geld-)Verbindlichkeiten erfordert, die dauerhaft, d.h. wenigstens über einen Zeitraum von sechs Wochen (Zeitraumilliquidität) fortbesteht.

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      Die Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit sind durch eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder zu beschaffenden Mittel (Liquiditätsbilanz bzw. Liquiditätsstatus) festzustellen.[59] Da ebenfalls im Rahmen von § 283 StGB bloße Zahlungsstockungen, wie gesehen, nicht genügen,[60] ist zusätzlich eine prognostische Beurteilung der Zeitraumilliquidität anhand eines Finanzplans erforderlich, um auch zukünftige, innerhalb des mindestens sechswöchigen Prognosezeitraums zu erwartende Liquiditätszuflüsse und fällig werdende Verbindlichkeiten zu erfassen.[61] Zu berücksichtigen sind auch kurzfristig veräußerbare Vermögensgegenstände bzw. sonst liquide Mittel, die kurzfristig, ggf. auch durch Kredite, beschafft werden können.[62]

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      Darüber hinaus hat die Rechtsprechung gebilligt, Zahlungsunfähigkeit (alternativ) allein anhand wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen – die auch im Rahmen von § 17 Abs. 2 InsO Indizien einer Zahlungsunfähigkeit sind – festzustellen.[63] Dies relativiert die praktische Bedeutung einer eigenständigen Auslegung des Merkmals Zahlungsunfähigkeit im strafrechtlichen Kontext.[64] Zu den insoweit relevanten Indizien zählen etwa Mahnungen, die Zustellung von Mahn- oder Vollstreckungsbescheiden, Scheck- und Wechselproteste, der Verzicht auf Skonti, die erkennbare Suche nach Kreditgebern oder erhebliche Ausweitung der Kreditlinie, ein Wechsel der Hausbank oder Kontenpfändungen.[65] Zudem ist insbesondere eine längerfristige bilanzielle Überschuldung Indiz dafür, dass eine Zahlungsunfähigkeit nicht nur vorübergehenden Charakter besitzt. Die durch eine andauernde Überschuldung belegte, manifeste negative Eigenkapitalbilanz erschwert die Beschaffung von zusätzlichem, liquiditätssicherndem Fremdkapital nicht selten erheblich oder schließt diese aus.[66] Die Kumulation derartiger Beweisanzeichen, die eine Zahlungsunfähigkeit belegt, erfolgt anhand eines chronologischen Warnzeichendiagramms.[67]

      Teil 3 Anwendungsbereich des Bankrotts in der Krise des Bankkunden – Schutzzweck und Reichweite der KrisenmerkmaleB › III. Drohende Zahlungsunfähigkeit

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      Die Zieldivergenz zwischen Insolvenzverfahren und Strafrecht ist im Rahmen des Krisenmerkmals drohender Zahlungsunfähigkeit besonders ausgeprägt. Der Insolvenzgrund drohender Zahlungsunfähigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 InsO verlangt, dass der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage ist, die bestehenden Zahlungspflichten zum Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.[68] Ziel des ergänzend eingeführten Insolvenzeröffnungstatbestands ist es, dem Schuldner eine frühzeitige Insolvenzantragstellung zu ermöglichen, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu Erhalt, Sanierung und Fortführung des betroffenen Unternehmens treffen zu können.[69] Im Gegensatz hierzu bewirkt das Merkmal im strafrechtlichen Regelungskontext eine erhebliche Vorverlagerung der Strafbarkeit.[70] Der Zielkonflikt liegt deutlich zu Tage.[71] Dieser Umstand verhindert nicht selten die Verwirklichung der insolvenzrechtlichen Intention des Gesetzgebers.[72] Die unbesehene Übernahme des insolvenzrechtlichen Begriffsverständnisses scheidet daher auch hier aus.[73] Das Tatbestandsmerkmal einer „drohenden“ Zahlungsunfähigkeit umschreibt sowohl den erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit, mit dem der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit zu erwarten ist, gleichzeitig den im Rahmen der Prognose zu berücksichtigenden Zeitraum. Das Merkmal ist im Rahmen von § 283 Abs. 1 StGB mit Blick auf das Erfordernis ausreichender Strafwürdigkeit sowie auf Art. 103 Abs. 2 GG[74] Ansatzpunkt von Restriktionen.[75] Überdies ist ebenfalls der strafprozessuale Grundsatz „in dubio pro reo“ zu beachten, der zu einer restriktiven Handhabung der insolvenzrechtlichen „Vorgabe“ im Rahmen des Bankrotts führt.[76] Dies gilt sowohl für die Kriterien der Zahlungsunfähigkeit, an denen die drohende Zahlungsunfähigkeit anknüpft, als auch für die zusätzlichen prognostischen Elemente.

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      Mit Blick auf das Schutzgut von § 283 Abs. 1 StGB wird die Intensität der Gefährdung wirtschaftlicher Interessen der Gläubigerschaft sowohl durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des späteren Eintritts von Zahlungsunfähigkeit des Schuldners[77] als auch durch die zeitliche Nähe dieser Folge[78] bestimmt. Strafrechtlich genügt nicht eine „nahe liegende Möglichkeit“ des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit. Erforderlich ist, dass unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls der Eintritt von Zahlungsunfähigkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.[79] Dabei sind nur bereits entstandene, d.h. rechtlich bereits begründete, Zahlungspflichten zu berücksichtigen.[80] Die zu prognostizierende Liquiditätslücke muss auch hier einen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten erfassen, d.h. mindestens 25 % betragen.[81] Darüber hinaus bedarf ebenfalls der Prognosezeitraum zusätzlicher Restriktion. Ein Abstellen auf den letzten Fälligkeitszeitpunkt bestehender Verbindlichkeiten[82] ist gerade mit Blick auf begründete Dauerschuldverhältnisse zu weitgehend. Die Prognoseunsicherheit wächst mit zunehmender Zeitspanne deutlich und gerät zunehmend in den Bereich der Spekulation. Ein ausgedehnter Prognosezeitraum ist zwar mit dem insolvenzrechtlichen Zweck von § 18 InsO, dagegen nicht mit dem strafrechtlich maßgeblichen Strafwürdigkeitserfordernis vereinbar. Zugleich erfordert

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