Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen. Matthias Jahn
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Vieles spricht also dafür, auch noch den – vorbehaltlich besonderer völkerrechtlicher Rechtsbehelfe –[15] „letzten Schritt“ gemeinsam zu gehen. Zum einen die Tatsache, dass niemand den Prozessverlauf so gut kennt wie der ursprüngliche Verteidiger in der Instanz (oder jedenfalls der Revision), was ihn wiederum zur Einhaltung der vom BVerfG an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde aufgestellten Anforderungen an die Substantiierung wie niemand anderen qualifiziert. Die einfachrechtliche Problematik muss nicht mehr gesondert aufbereitet werden, auch die mitteilungsbedürftigen Dokumente und sonstigen Unterlagen sind vorhanden oder können mittels (wiederholter) Ausübung des Akteneinsichtsrechts aus § 147 StPO unschwer beschafft werden.[16] Es kann zudem einen erheblichen Vorteil bedeuten, wenn zu einer bestimmten, im Verfassungsbeschwerdeverfahren unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zur Prüfung gestellten Frage bereits eine Revisionsbegründungsschrift verfasst wurde, an die nunmehr angeknüpft werden kann. In diesem Sinne besteht tatsächlich „eine Art Kooperationsprinzip“ (Gusy) zwischen dem Strafrecht vor dem Fachgericht und dem Strafverfassungsrecht: „Beide Seiten greifen ineinander, und beide Seiten können voneinander lernen“.[17] Und dieser Lernprozess ist sicherlich dort am effektivsten, wo er sich in einer Person vereint. Allerdings umfasst die Beiordnung als Pflichtverteidiger vor dem Fachgericht selbstverständlich nicht mehr die Tätigkeit im Rahmen der Verfassungsbeschwerde. Sie stellt kein Rechtsmittel im Sinne der Prozessordnungen dar, gehört damit also auch nicht mehr zum von der Bestellung umfassten Rechtsweg.[18]
Teil 1 Die Aufgaben des Strafverteidigers im Verfassungsbeschwerdeverfahren › A. Überlegungen vor Mandatsannahme › III. Strategien im Graubereich
III. Strategien im Graubereich
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Misst der Verteidiger nach eingehender Sachprüfung der Sache jedoch keine Erfolgsaussichten zu, sollte er seinen Mandanten darauf auch deutlich hinweisen. Eine für den Laien nachvollziehbare schriftliche Stellungnahme sollte nicht unterbleiben. Beharrt der Mandant dennoch auf seiner Ansicht und besteht weiterhin auf Einlegung der Verfassungsbeschwerde, ist folgende Vorgehensweise zumindest theoretisch und grundsätzlich ohne Verstoß gegen Regeln des Berufsrechts denkbar: Da außerhalb der mündlichen Verhandlung – welche in der Praxis die absolute Ausnahme darstellt – im Verfassungsbeschwerdeverfahren kein Anwaltszwang herrscht, kann sich der Verteidiger gegen ein gesondert zu vereinbarendes Honorar bereit erklären, einen Schriftsatz zu entwerfen, welchen der Beschwerdeführer selbst in eigenem Namen beim Gericht anbringt. Auf einem ganz anderen Blatt steht freilich, ob sich ein Anwalt für solche Ghostwriterdienste zur Verfügung stellen sollte.
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Hinweis
Erscheint eine solche Strategie im Graubereich nicht angängig, besteht zuletzt noch die Möglichkeit, zur Wahrung der Rechte des Beschwerdeführers und zur Vermeidung drohender Verfristung die Verfassungsbeschwerde mit dem Hinweis einzulegen, dass dies zunächst nur zur Fristwahrung geschehe und erst in einem Folgeschriftsatz mitgeteilt werde, ob diese aufrecht erhalten werde. Der Nachteil: Die nachträgliche, d.h. nach Ablauf der Beschwerdefrist eingehende, Ergänzung des Vorbringens ist nur noch in engen Grenzen möglich.[19] Kommt der Anwalt nach reiflicher Überlegung oder weiterer Überzeugungsarbeit am Mandanten zu dem Schluss, die Verfassungsbeschwerde sei aussichtslos, sollte sie mit Zustimmung des Mandanten zurückgenommen werden. Eine Gebühr wird in diesem Fall nicht erhoben; das Verfahren endet durch Austragung aus dem Register.[20] Im äußersten Fall bleibt dem Anwalt schließlich noch die Möglichkeit der Aufkündigung des Mandatsvertrages, im eigenen Interesse unter gleichzeitiger Anzeige gegenüber dem BVerfG.[21]
Teil 1 Die Aufgaben des Strafverteidigers im Verfassungsbeschwerdeverfahren › A. Überlegungen vor Mandatsannahme › IV. Kosten- und Gebührenaspekte
IV. Kosten- und Gebührenaspekte
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Das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht enthält in §§ 34, 34a BVerfGG Regelungen zu Kosten, Gebühren und Auslagen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens.
1. Gerichtskosten im Verfassungsbeschwerdeverfahren
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Gemäß § 34 Abs. 1 BVerfGG ist das Verfahren vor dem BVerfG grundsätzlich kostenfrei.
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Das Gericht kann jedoch dem Beschwerdeführer eine Gebühr bis zu 2.600 € – in der Praxis sind es meist zwischen 300 € und 1.000 € –[22] auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Missbrauch darstellt (§ 34 Abs. 2 BVerfGG). Rechtsschutz hiergegen sieht (jedenfalls) das BVerfGG nicht vor.[23] Die Statistik beweist, dass dies bei verfassungsrechtlichen Eingaben mit strafrechtlichem Hintergrund deutlich häufiger der Fall ist als bei Verfassungsbeschwerden aus anderen Rechtsgebieten.[24] Nach ständiger Praxis des BVerfG[25] liegt eine missbräuchliche Verfassungsbeschwerde unter anderem auch dann vor, wenn sie offensichtlich unzulässig ist und ihre Einlegung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden musste. Missbrauch wird vom Gericht auch dann angenommen, wenn ihm gegenüber unter grobem Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten falsche Angaben über entscheidungserhebliche Umstände gemacht werden[26] oder in der Beschwerdeschrift erneut vorgetragen wird, was zuvor bereits durch eine BVerfG-Kammer nicht zur Entscheidung angenommen wurde.[27] Aufgabe des Gerichts sei es, grundsätzliche Verfassungsfragen zu entscheiden, die für das Staatsleben, die Allgemeinheit und insbesondere die Grundrechtsverwirklichung des Einzelnen von Bedeutung sind, und – wo nötig – die Grundrechte des Einzelnen durchzusetzen. Das BVerfG[28] will es deshalb nicht hinnehmen, dass es in der Erfüllung dieser Aufgaben durch substanzlose Verfassungsbeschwerden behindert werde und dadurch anderen Bürgern nur mit erheblicher Verzögerung in deren Angelegenheiten Grundrechtsschutz gewähren könne. Dem Beschwerdeführer wird daher auch in Strafsachen zugemutet, wenigstens durch seinen Rechtsanwalt vor Einlegung der Verfassungsbeschwerde die einschlägige Rechtsprechung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde zu ermitteln und die Erfolgsaussichten seines Rechtsbehelfs zu prüfen.[29] Wann eine Verfassungsbeschwerde im bezeichneten Sinne allerdings „offensichtlich“ unzulässig ist, lässt sich in Parallele zur Entscheidung der Revisionsgerichte in Strafsachen nach § 349 Abs. 2 StPO nicht zielsicher eingrenzen. Das Gericht – insbesondere seine Kammerrechtsprechung – geht bei der Beurteilung weit über die Fälle hinaus, welche im Rahmen der Rechtswegerschöpfung diskutiert werden.[30]
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Eine Sorgfaltspflichtverletzung seines Verfahrensbevollmächtigten muss sich der Beschwerdeführer wegen § 93 Abs. 2 S. 6 BVerfGG zurechnen lassen. Sollte die Einlegung der Verfassungsbeschwerde auf einer unzulänglichen anwaltlichen Beratung beruhen, bleibt dem Beschwerdeführer die Geltendmachung eines Regressanspruchs also unbenommen. Das Gericht weist den anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer nicht selten sogar explizit auf diese Möglichkeit hin. In jüngeren Entscheidungen[31] hat es die