Verteidigung von Ausländern. Jens Schmidt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Verteidigung von Ausländern - Jens Schmidt страница 16
![Verteidigung von Ausländern - Jens Schmidt Verteidigung von Ausländern - Jens Schmidt Praxis der Strafverteidigung](/cover_pre1171410.jpg)
16
Abschiebung ist die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht. Sie setzt neben der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht die fehlende Gewähr für deren freiwillige Erfüllung voraus. Außerdem muss in der Regel zuvor eine Abschiebungsandrohung mit der Bestimmung einer Ausreisefrist ergehen. Schließlich darf der Abschiebung kein Abschiebeverbot oder -hindernis entgegenstehen.
Teil 1 Verteidigung und Ausländerrecht › II. Verteidigungsstrategien zur Vermeidung der Ausweisung
II. Verteidigungsstrategien zur Vermeidung der Ausweisung
17
Da das Strafurteil oftmals die einzige Entscheidungsgrundlage der Ausländerbehörde bildet,[1] stellt es einen schweren Verteidigungsfehler dar, wenn der „Kampf um die Ausweisung“ – wie so oft – erst im verwaltungsrechtlichen (Vor-)Verfahren aufgenommen wird. Ist der Ausweisungsgrund durch das strafrechtliche Urteil „festgeschrieben“, ist der Handlungsspielraum erheblich eingeschränkt. Die Chancen, ausländerrechtliche Maßnahmen zu vermeiden, können dagegen beträchtlich erhöht werden, wenn der Verteidiger bereits im Strafverfahren gestaltend tätig wird und mit Blick auf die drohende Ausweisungsentscheidung verteidigt.[2] Die Frage der drohenden Ausweisung sollte daher bei Festlegung der Verteidigungsstrategie (vgl. Rn. 459) stets Berücksichtigung finden.
Anmerkungen
Vgl. BVerwGE 35, 291, 294.
Vgl. auch Ventzke StV 1994, 337, 338; Jung StV 2004, 567 ff.
Teil 1 Verteidigung und Ausländerrecht › II. Verteidigungsstrategien zur Vermeidung der Ausweisung › 1. Vorbemerkung
1. Vorbemerkung
18
Zum Jahresanfang 2016 wurde das im Aufenthaltsgesetz geregelte Ausweisungsrecht grundlegend reformiert bzw. erheblich verschärft. Eine erste Änderung[1] trat zum 1.1.2016 in Kraft und war in erster Linie dem Umstand geschuldet, dass der Gesetzgeber erheblichen Änderungsbedarf sah,[2] nachdem das bislang geltende Ausweisungsrecht – insbesondere durch die Rechtsprechung des EGMR – immer mehr Ausnahmen von der bislang geltenden Ausweisungssystematik vorsah. So war z.B. bereits nach altem Recht anerkannt, dass im Hinblick auf Art. 8 EMRK auch im Falle der „zwingenden Ausweisung“ (§ 53 AufenthG a.F.) eine Einzelfallprüfung geboten sein kann,[3] womit der Ausweisung zugleich der als „zwingend“ bezeichnete Charakter genommen wurde. Die erste Novelle diente also in erster Linie einer Anpassung an das durch die Rechtsprechung fortgebildete Recht; gleichwohl war bereits mit der ersten Änderung des AufenthG eine (erhebliche) Verschärfung einzelner Ausweisungstatbestände verbunden, da die Voraussetzungen gegenüber dem bislang geltenden Recht zum Teil erheblich herabgesetzt worden sind. Kaum war die Gesetzänderung in Kraft getreten entbrannte nach den „Kölner Vorfällen“ in der Silvesternacht 2015 eine (weitere) Diskussion um die Verschärfung des Aufenthaltsgesetzes, die schließlich in eine zweite Novelle[4] mündete, welche zum 17.3.2016 in Kraft trat.
Hinweis
Eine Anpassung der Anwendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz ist bislang nicht erfolgt. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Richtlinien zur alten Rechtslage übernommen werden, sofern die neue Rechtslage keinen zwingenden Anlass zur Änderung gibt. Wenn in der nachfolgenden Darstellung auf die Anwendungshinweise verwiesen wird, erfolgt dies in der Erwartung, dass die bislang geltenden Regelungen durch die Verwaltung auch weiterhin angewendet bzw. bei Änderung der Anwendungshinweise übernommen werden.
Gleiches gilt, soweit die nachfolgende Darstellung auf Rechtsprechung verweist, die vor dem 1.1.2016 ergangen ist; insoweit besteht die Erwartung, dass die dort zitierten Entscheidungen auf die Neuregelungen (entsprechend) angewandt werden.
Anmerkungen
Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.7.2015, BGBl. I, 1386 ff.
BT-Drucks. 18/4097, S. 23, 49; Vgl. Bergmann/Dienelt-Bauer Vorb §§ 53–56 AufenthG Rn. 9.
Vgl. die 3. Auflage, Rn. 68, 96.
Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern, BGBl. 2016, 394 ff.
Teil 1 Verteidigung und Ausländerrecht › II. Verteidigungsstrategien zur Vermeidung der Ausweisung › 2. Nicht-EU-Ausländer (Erwachsene)
2. Nicht-EU-Ausländer (Erwachsene)
19
Auf Nicht-EU-Ausländer findet die Ausweisungssystematik der §§ 53 ff. AufenthG Anwendung.
§ 53 AufenthG enthält insoweit die für jede Ausweisung anzuwendende Grundnorm.[1] Anders als unter Geltung des alten Ausweisungsrechts ist stets eine Abwägung der beteiligten Interessen im Einzelfall erforderlich, wobei die zum alten Recht entwickelten Grundsätze, insbesondere die Geltung und Reichweite von Art. 8 EMRK,[2] zu berücksichtigen sind; ein abgestuftes System von „Ist-“, „Regel-„ und „Kann-Ausweisung“ ist nicht mehr vorgesehen, es existiert nur noch ein Ausweisungstatbestand.[3] Der Grundtatbestand wird durch §§§ 54, 55 AufenthG ergänzt[4]; während § 54 AufenthG das „Ausweisungsinteresse“ konkretisiert, wird in § 55 AufenthG das „Bleibeinteresse“ des betroffenen Ausländers normiert. Die Vorschriften orientieren sich an den Regelungen zum alten Recht, wobei einzelne Ausweisungstatbestände (ersatzlos) gestrichen[5] und bei anderen durch Absenkung der Voraussetzungen eine erhebliche Verschärfung erfolgt ist. Daneben ist in Abweichung zum alten Recht über die Ausweisung nicht (mehr) nach Ermessen zu entscheiden, d.h. es liegt eine gebundene Entscheidung vor, die bei Fehlen der Voraussetzungen im gerichtlichen Verfahren durch das Gericht ersetzt werden kann.[6] Wird der Ausländer ausgewiesen, gilt es schließlich zu beachten, dass das neue Ausweisungsrecht eine Befristung zwingend vorschreibt (vgl. § 11 Abs. 2 AufenthG); die Ausländerbehörde kann die Entscheidung nicht mehr – wie nach altem Recht oftmals üblich – zurückstellen.
Hinweis