Verteidigung von Ausländern. Jens Schmidt
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![Verteidigung von Ausländern - Jens Schmidt Verteidigung von Ausländern - Jens Schmidt Praxis der Strafverteidigung](/cover_pre1171410.jpg)
a) Ausweisungsinteresse
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Bereits die Unkenntnis der Ausweisungstatbestände kann schnell zu einem Fallstrick werden; so sollte der Verteidiger beispielsweise wissen, dass der Drogenkonsum einen Ausweisungsgrund darstellen kann (§ 54 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG), wenn er diesen Umstand strafmildernd geltend machen will. Die richtige Wahl der Verteidigungsstrategie setzt daher eine detaillierte Kenntnis der einzelnen Ausweisungstatbestände voraus.
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In Anlehnung an die frühere Rechtslage unterscheidet das neue Recht zwischen verschiedenen Fallgruppen, die als „schwer-“ (§ 54 Abs. 2 AufenthG) bzw. „besonders schwerwiegend“ (§ 54 Abs. 1 AufenthG) eingestuft werden. Der Ausweisungsgrund wird also durch die Regelung seinem Schweregrad nach bewertet und – als eine Art Gegengewicht – dem Bleibeinteresse des Betroffenen im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung gegenübergestellt.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
aa) Das „schwerwiegende“ Ausweisungsinteresse (§ 54 Abs. 2 AufenthG)
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Hat ein bestimmter Lebenssachverhalt in § 54 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG eine Regelung erfahren, kann selbst dann nicht auf die Grundnorm des § 53 Abs. 1 AufenthG zurückgegriffen werden, wenn § 54 AufenthG die Ausweisung aufgrund dieses Sachverhalts an bestimmte Voraussetzungen knüpft, die im konkreten Einzelfall nicht vorliegen; liegt also eine Zuwiderhandlung gegen Rechtsnormen vor, steht einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG die Sperrwirkung der spezielleren Norm (§ 54 AufenthG) entgegen (vgl. 55.1.0 Anwendungshinweise zum AufenthG)[8]. Das Interesse des Verteidigers sollte sich daher in erster Linie auf die Vorschrift des § 54 AufenthG konzentrieren. Insofern sind folgende Ausweisungstatbestände von besonderer Bedeutung:
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§ 54 Abs. 2 Nr. 1. Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist.
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Der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG setzt eine rechtskräftige Verurteilung voraus. Voraussetzung ist ein einziges Urteil[9]. Unerheblich ist, ob die Strafe wegen einer einzelnen Tat verhängt oder im Wege einer (nachträglichen[10]) Gesamtstrafe gebildet worden ist.[11] Unbeachtlich ist auch, ob die Strafe zu Bewährung ausgesetzt worden ist,[12] was gegenüber dem alten Recht eine erhebliche Verschärfung darstellt.
Hinweis
Wird die Strafe gemäß §§ 56, 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist diese Tatsache jedoch im Rahmen der Gefahrenprognose zu berücksichtigen[13]; da bei positiver Sozialprognose die Ausweisung regelmäßig nicht auf spezialpräventive Gründe gestützt werden kann (vgl. Rn. 84), fällt die Gefahrenprognose zum Vorteil des verurteilten Ausländers aus, sofern generalpräventiv motivierte Erwägungen (ausnahmsweise) unzulässig sind (vgl. Rn. 92 f.). In diesem Fall wird also im Ergebnis der Generalprävention die entscheidende Bedeutung zukommen.
Ist eine Gesamtfreiheitsstrafe (nachträglich) zu bilden, gilt es § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB zu beachten, wenn neben der Freiheitsstrafe eine Geldstrafe ausgeurteilt worden ist; in diesem Fall kann ausnahmsweise von der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe abgesehen werden, was zum Fortfall des Ausweisungstatbestandes führen kann, wenn die Einsatzstrafe zwar eine Freiheitsstrafe darstellt, aber (knapp) unterhalb der Jahresgrenze liegt. Wird durch die Einbeziehung der Geldstrafe das für den Verurteilten kritische Strafmaß erreicht, so z.B. bei drohendem Verlust der Beamteneigenschaft,[14] ist anerkannt das die (Nicht-)einbeziehung der Geldstrafe einer besonderen Begründung bedarf. Die hierzu ergangene Rechtsprechung sollte in geeigneten Fällen auch im Hinlick auf § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden.
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Weitere Voraussetzung ist die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat.
Dies ist bei in Tateinheit begangenen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten der Fall, wenn in den Urteilsgründen ausdrücklich ausgesprochen oder nach den Tatumständen oder den verletzten Straftatbeständen offensichtlich ist, dass das Gericht die Freiheitsstrafe von mind. einem Jahren schon allein im Hinblick auf die Vorsatztat(en) verhängt hat (vgl. 53.1.1.1 Anwendungshinweise zum AufenthG). Lässt sich der auf die fahrlässig begangenen Tat(en) entfallende Strafanteil nicht in Abzug bringen, scheidet der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG aus.[15]
Hinweis
Angesichts dieser Rechtslage stellt es eine nur scheinbare Wohltat dar, wenn das Gericht den bzw. die fahrlässig begangenen Tatteil(e) gemäß § 154a StPO einstellt. Obwohl die Zustimmung der Verteidigung nicht erforderlich ist, sollte der Verteidiger auf die daraus resultierenden, gravierenden ausländerrechtlichen Folgen aufmerksam machen.
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Ist wegen in Tatmehrheit begangener vorsätzlicher und fahrlässiger Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe verhängt worden, ist der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfüllt, wenn
• | wegen einer Vorsatztat eine Einsatzstrafe von mind. einem Jahr ausgesprochen worden ist, |
• | aus den für die Vorsatztaten verhängten Einzelstrafen ausdrücklich eine gesonderte Gesamtfreiheitsstrafe von mind. einem Jahr gebildet worden ist oder |
• | nach den Strafzumessungserwägungen des Gerichts, den Tatumständen oder den verletzten Straftatbeständen offensichtlich ist, dass das Gericht auch allein wegen der Vorsatztaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von mind. einem Jahr verhängt hätte (vgl. 53.1.1.1 Anwendungshinweise zum AufenthG). |
Hinweis
Ist der ausländische Mandant wegen vorsätzlicher und fahrlässiger Taten angeklagt und eine die 1-Jahres-Grenze übersteigende Freiheitsstrafe zu erwarten, kann es ratsam sein, den „Weg der Verständigung“ zu suchen, um so den auf die Vorsatztaten entfallenden Strafanteil auf ein unterhalb der kritischen Grenze liegendes Strafmaß zu reduzieren.
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Die Vorschrift des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG sieht keinen bestimmten Zeitpunkt vor, in dem die Straftat begangen worden oder die Verurteilung erfolgt ist. Das Ausweisungsinteresse ist also auch in Fällen gegeben, in denen die Straftat vor dem Inkrafttreten der Regelung bzw. ihrer Änderungen[16] begangen worden ist, wenn die Norm in dem für die gerichtliche Beurteilung maßgebenden Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung Geltung beanspruchte und ihre Voraussetzungen vorlagen.[17]
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